# taz.de -- Initiative Maria 2.0: Scheitern auf christliche Weise | |
> Die Maria 2.0-Aktivistinnen wollen mehr Rechte in der katholischen | |
> Kirche. Sie werden scheitern – und das auf ganz christliche Art und | |
> Weise. | |
Bild: Eine Aktivistin von Maria 2.0 demonstriert in Ulm für mehr Rechte in der… | |
Scheitern ist kein Problem im Christentum, zumindest kein größeres. Zur | |
Erinnerung für den religiös unmusikalischen Teil der taz-Leserschaft: Jesus | |
von Nazareth, auf den sich das Christentum bekanntlich beruft, endete als | |
verschmähter Aufrührer im römischen Palästina der Zeitenwende am Kreuz, | |
öffentlich zu Tode gefoltert – auf den ersten Blick nicht unbedingt der | |
Messias und König, auf den das jüdische Volk so sehnlichst wartete. | |
Nun, die wenigen Anhängerinnen und Anhänger des so offensichtlich | |
gescheiterten Wanderrabbis betonten, dass er nach drei Tagen auferstanden | |
und ihnen noch leibhaftig, samt Kreuzesnarben, begegnet sei – das Ganze | |
also kein wirkliches Scheitern war. Aber das überzeugte halt nur sie. | |
Immerhin ist die Anhängerschaft Jesu seitdem beachtlich gestiegen: Weltweit | |
sind es rund 2,2 Milliarden Menschen, allein in Deutschland über 40 | |
Millionen. | |
Diese Definition von Scheitern sollte man im Kopf haben, wenn man sich | |
[1][die Initiative Maria 2.0] anschaut. Sie vereint in den | |
deutschsprachigen Ländern Hunderte, wenn nicht Tausende Katholikinnen. Ihre | |
Forderung: Zugang von Frauen zu allen Weiheämtern, wie das im katholischen | |
Duktus heißt, also: das Frauenpriestertum. Dazu eine wirkliche Aufarbeitung | |
des Mega-Skandals der sexualisierten Gewalt im Raum der katholischen | |
Kirche. Schließlich das Ende des Pflichtzölibats, also der Ehelosigkeit | |
katholischer Priester. | |
Die Mittel der „Maria 2.0“-Aktivistinnen (nur fürs Protokoll: Es sind auch | |
ein paar Männer dabei): Sie verweigern ihren Dienst in der Kirche, also zum | |
Beispiel das ehrenamtliche Schmücken des Altars, das Putzen der Kirche oder | |
die Kinderbetreuung in den Gemeinderäumen. Auf Deutsch gesagt: Sie haben | |
keinen Bock mehr, die Drecksarbeit zu machen, während nur [2][Männer alle | |
Macht behalten und in der Öffentlichkeit glänzen können], ja allein | |
berechtigt sind, das Zentrum der katholischen Frömmigkeit, die Eucharistie, | |
zu feiern. | |
Jetzt die Steile These: Maria 2.0 wird scheitern – aber auf christliche, | |
genauer: katholische Art und Weise. Das bedeutet: am Ende eigentlich nicht. | |
## Engagement für später | |
Es ist nicht zu erwarten, dass die katholischen Bischöfe in Deutschland, | |
der Papst in Rom oder gar ein weltweites Konzil zu Lebzeiten der „Maria | |
2.0“-Aktivistinnen das Frauenpriestertum einführen. Die deutschen | |
Katholiken dürften das gar nicht allein, aber vor allem sind dafür die | |
Beharrungskräfte in der Weltkirche noch viel zu stark, und das nicht | |
unbedingt nur im Vatikan. Man frage zum Beispiel einmal polnische oder | |
afrikanische Bischöfe, was sie vom Frauenpriestertum (und von der Homo-Ehe) | |
halten. | |
Aber eines Tages wird es das Frauenpriestertum auch in der katholischen | |
Kirche geben, vielleicht zu der Zeit, wenn wir auch den Mars besiedelt | |
haben. Ob dann aber die katholische Kirche noch eine Rolle spielt, ist | |
nicht ausgemacht. Die Mehrheit der Frauen wird sie bis dahin wahrscheinlich | |
verloren haben. | |
Die meisten Frauen, die sich bei Maria 2.0 engagieren, dürften ähnlich | |
denken – aber ihr Handeln ist dennoch aller Ehren wert, ja dringend nötig. | |
Denn sie halten das Thema, genauer: den Skandal der offensichtlichen | |
Diskriminierung der Hälfte der katholischen Christenheit in der | |
Öffentlichkeit. Sie benennen es als das, was es ist, nämlich eine weder | |
biblisch, noch historisch, noch theologisch zu begründende Idiotie, | |
Schweinerei und Herzlosigkeit. | |
Jesus hat sich nie, auch nicht mit einer Silbe oder einer irgendwie so zu | |
interpretierenden Aussage, gegen das Frauenpriestertum ausgesprochen. Im | |
Gegenteil war sein Umgang mit Frauen seiner Zeit weit voraus. In den ersten | |
Jahrzehnten des Christentums gab es Apostelinnen, unter anderem Maria | |
Magdalena, und Gemeindevorsteher*innen – und aus diesem Kreis entstand | |
später das Priestertum der christlichen Kirche. Auch theologisch ist die | |
Argumentation, die das Priestertum nur Männern zubilligt, im besten Fall | |
abenteuerlich, in der Regel aber schlicht absurd. (Eine solch irrwitzige | |
„Argumentation“ lieferte jüngst etwa der emeritierte katholische | |
Dogmatik-Professor Karl-Heinz Menke aus Bonn.) | |
## Warum der Kampf? | |
Warum kämpfen die Frauen von Maria 2.0 dennoch ihren Kampf, dessen | |
glückliches Ende sie aller Voraussicht nach nicht mehr erleben werden? | |
Dafür lohnt ein Blick auf die Namensgeberin der Initiative, Maria von | |
Nazareth, die Mutter Jesu, die Mutter Gottes. Viel erzählt die Bibel nicht | |
von ihr. Aber sie scheint eine Respektsperson gewesen zu sein, nachzulesen | |
etwa in der Geschichte der Hochzeit zu Kana. | |
Ihr Verhältnis zu ihrem Sohn war nicht immer ganz konfliktfrei – „Was | |
willst du von mir, Frau?“, schnauzt sie Jesus im Johannesevangelium an. | |
Aber sie war eine von zwei, drei mutigen Menschen, die sich bei der | |
Kreuzigung Jesu als Aufrührer nicht verdrückt haben, anders als der | |
Feigling Petrus übrigens, der nach katholischer Definition dann ja der | |
erste Papst war. Und sie spielte in der Jerusalemer Urgemeinde nach dem Tod | |
Jesu eine herausragende Rolle, wie die Geschichtswissenschaft | |
herausgefunden und etwa die Apostelgeschichte festgehalten hat. | |
Maria war eben nie nur die reine, gehorsame Magd, eine Rolle, auf die vor | |
allem die katholische und die orthodoxe Kirche sie über Jahrhunderte | |
beschränken wollten, um mit Verweis auf sie die Rolle der Frau in der | |
Kirche klein zu halten. Nein, sie war ganz offensichtlich eine | |
selbstbewusste, wichtige und kluge Frau, die früher und besser als die | |
meisten Männer verstanden hat, was ihr Sohn eigentlich war, trotz allen | |
irdischen Scheiterns. | |
Das Christentum hat keine Angst vor dem vorübergehenden Scheitern hier auf | |
Erden. Es sieht Stärke in der Schwachheit. Das Handeln der Aktivistinnen | |
von Maria 2.0 ist deshalb prophetisch im besten Sinne des Wortes. Auch die | |
Prophetinnen des Alten Testaments wie Debora und Hulda sind, wie ihre | |
männlichen Pendants, häufig verlacht und verfolgt worden – und heute | |
berufen sich das Judentum und das Christentum auf sie. | |
Im Lukasevangelium lobt Maria Gott: „Er zerstreut, die im Herzen voll | |
Hochmut sind; / er stürzt die Mächtigen vom Thron / und erhöht die | |
Niedrigen.“ Die Aktivistinnen von Maria 2.0 hätten sich keinen besseren | |
Namen für ihre Initiative wählen können. | |
28 Sep 2019 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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