# taz.de -- Mietenpolitik als Klassenkampf: „Die Angst, ausziehen zu müssen�… | |
> Mietenwahnsinn: HAU- Theaterfestival „Berlin bleibt!“. Wir sprachen mit | |
> Christiane Rösinger, die dort die Mietenfrage behandelt – als Musical. | |
Bild: Christiane Rösinger hat den Song „Mieter*innen stressen zurück“ ges… | |
taz: Christiane Rösinger, heute wird dein Musical uraufgeführt. Was wird | |
geschehen? | |
Christiane Rösinger: Es ist ein Musical, entstanden als Auftragsarbeit für | |
das HAU Hebbel am Ufer, in dem ununterbrochen gesungen wird. Auch die | |
Zwischenteile sind rezitativ. Es ist ein Berlin-Musical. Die Stadt ist | |
unter schlechtem Einfluss. | |
Unter welchem Einfluss? | |
Die Stadt wird verkauft. Für uns ist angeblich kein Platz mehr darin. Die | |
Stadt ist nur noch etwas für Reiche; für akademische Doppelverdiener, | |
Leute, die erben und Eigentum erwerben können. Und für die anderen ist | |
angeblich kein Platz mehr. Wir Mieter*innen sind lästig bei der Verwertung. | |
Aber wir dürfen nach unserer Verdrängung vielleicht noch aus den Outskirts | |
zum Jobben kommen? | |
Wir sollen noch zum Arbeiten herkommen, denn so ganz ohne Service | |
funktioniert die Stadt nicht. Wir sollen das wenige Geld, das wir haben, | |
auch hier verkonsumieren. Aber wohnen und schlafen woanders. | |
Wir sind zu unappetitlich? | |
Das ist egal – Geld und Eigentum. Darum geht’s. | |
Was tun? | |
Es gibt Leute, die sich dagegen wehren. Die Mieter*innen stressen zurück! | |
Du bist die Hauptfigur? | |
Das bin seltsamerweise ich, ja. (lacht) Ich spiele ununterbrochen. Es geht | |
aber um verschiedene Menschen, die verschiedene Probleme mit ihrer Wohnung | |
haben. Bei mir sollen die Mietwohnungen in dem Haus, in dem ich seit 30 | |
Jahren wohne, in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Ich habe Angst | |
davor, ausziehen zu müssen. | |
So ergeht es dir wirklich? | |
Ja, das ist bei mir wirklich so. Es gibt eine Szene davon im Musical: | |
Scharen von Käufern kommen zur Besichtigung und laufen durch meine Wohnung. | |
Das ist eine der entwürdigendsten Situationen, die man sich vorstellen | |
kann. Das ist mir geschehen! | |
Bei uns kam ein neuer Eigentümer in die Neuköllner Nogatstraße, netter | |
junger Erbe im Alternativo-Look. Er hatte das ganze Mietshaus gekauft und | |
dann uns mit unserer Tochter, die noch nicht ein Jahr alt war, und zwei | |
Nachbarn rausgeklagt. Das Gericht gab ihm recht, weil er angeblich drei | |
Wohnungen für sich und sein Hobby-Fotolabor braucht. Das hat er im | |
Kinderzimmer unserer Tochter eingerichtet. Wir haben uns bis heute nicht | |
ganz davon erholt. Alle anderen in dem Haus zahlen ihm jetzt am Anschlag | |
steigende Mieten, er wohnt mittendrin. Bizarr? | |
Ja, wir sind viele und stehen alle unter diesem schlechtem Einfluss. Bei | |
uns im Musical gibt es ein Pärchen, das sich nicht trennen kann. Sie wohnen | |
in einer ganz kleinen Wohnung und finden keine andere. Eine andere hat drei | |
Jobs, um ihre Miete bezahlen zu können. Das sind so die Mieterprobleme. Ein | |
schlechter Einfluss ist aber auch die Touristifizierung der Stadt. | |
Man muss seine Mietwohnung vermarkten, um die Miete bezahlen zu können. Die | |
Kommodifizierung der Gastfreundschaft? | |
Ja, Airbnb ist ein Problem. Alles wird auf Touristen-Fressläden | |
ausgerichtet und für die Bewohner gibt es keine Bäckereien mehr. Das sind | |
so die Einflüsse, gegen die man sich wehren muss. Die Mutlosen sagen, | |
dagegen kann man sich nicht wehren. Dagegen sagen die anderen: Doch! Du | |
kannst doch etwas machen. Das ist so plakativ, wie es im Musical sein muss. | |
Man solidarisiert sich, wir solidarisieren uns. Wir nehmen uns das Recht | |
auf Wohnen! | |
Nicht nur eine virtuell-liberale Berechtigung zu, sondern das ökonomische | |
Recht, das real durchgesetzte Recht auf? | |
Genau! Und dann kommt es natürlich zum Kampf von Gut gegen Böse, wie im | |
Märchen auch. Zum Schluss siegt das Gute. Ich sage noch nicht genau wie. | |
Aber ich kann sagen, dass es ein Wunder gibt durch deus ex machina. | |
Ein Theatermittel seit der Antike. Wie auch der Chor, den du auch einsetzt. | |
Wie hast du dein Ensemble gefunden? | |
Die Band begleitet mich ja auch auf meiner Solotournee. Mit Andreas Spechtl | |
(Sänger und Texter der Band Ja, Panik!, d. Red.) arbeite ich schon seit | |
über zehn Jahren zusammen. Und durch meine Flittchenbar am Kotti bin ich | |
mit vielen Musiker*innen befreundet. Es spielt kein einziger Schauspieler | |
mit. Das ist das Prinzip. | |
Wie hast du die Mietaktivist*innen gefunden? | |
Ich wohne in der Nähe von der Wrangelstraße. Die Initiative Bizim Kiez | |
veranstaltet dort viel auf der Straße: Reden, Performances, Musik, | |
Versammlungen. Und dann bin ich einfach mal zu einem Plenum gegangen, wie | |
es halt so ist. Dort habe ich erst mal meine Idee vorgetragen. Wir sind | |
jetzt rund 20 Leute im Ensemble, haben Ende Mai erst mal ohne den Chor | |
probiert und nun seit 12. August auch mit dem Expert*innen-Chor. | |
Du bist Popmusikerin, solo, mit den Lassie Singers und der Band Britta. In | |
deinem Stück „Eigentumswohnung“ singst du, „der Kapitalismus ist an allem | |
schuld, wir verlieren die Geduld“. Das ist, gelinde gesagt, griffig. Kommt | |
das Arbeiterlied in der Form des Protestsongs zurück? | |
Ha, das muss man sich erst mal trauen! Ich fand so was schon immer gut. Ich | |
sag ja immer, ich war als Kind schon links. Irgendwie hat es sich dann so | |
ergeben. Ich war ja auf das Thema der überbewerteten Liebe spezialisiert, | |
den Pärchenterror. Das war irgendwann durcherzählt. Ab dem Britta-Lied „Wer | |
wird Millionär?“ ging es dann um Gesellschaftliches, um Protest und | |
Anprangerung. Mein großes lyrisches Vorbild ist ja Heinrich Heine. In | |
seinen Gedichten ist es Liebeslyrik und Verzweiflung, in seinen sogenannten | |
Reisebildern hat er deutsche Zustände angeprangert. | |
Und bist du auch um den Schlaf gebracht? | |
Ja, aber das ist normal. Ich gehe jeden Abend mit einem anderen Satz und | |
einer anderen Melodie ins Bett. Gestern das: (singt) „In Wien werden die | |
Leute vor Spekulation mit Wohnraum geschützt.“ Aber das geht dem ganzen | |
Ensemble so. | |
Und das ist auch Teil des Musicals? | |
Ja. Es gibt ein Lied, das Andreas Spechtl geschrieben hat, „Gemeindebau“ | |
über Wien als Vorbild für Berlin. Dann gibt es eine Coverversion des | |
Stückes „Loswerden“ der Band „Die Regierung“. Den Rest habe ich selbst | |
geschrieben. Insgesamt sind 21 Songs im Musical! Die Dinge sind natürlich | |
komplexer, als man es in einem Musical in Reimform darstellen kann. Aber | |
bis vor Kurzem war es ja fast verpönt, den Kapitalismus anzuprangern. Bei | |
meinem Erlebnis mit der Wohnung hieß es dann: „Tja, wer halt keine | |
Eigentumswohnung kaufen kann, hat Pech gehabt.“ Und dazu ist mir dann ein | |
Zitat eingefallen von Heiner Müller, der ja auch mal mein Nachbar in der | |
Muskauer Straße war: „Die Mietenpolitik hier im Land ist Klassenkampf!“ Und | |
das ist einfach richtig. Es ist Klassenkampf. Das ist schwarz-weiß und | |
nicht grau. | |
Es steht also Klasse gegen Klasse. Und nun? | |
In einer Demokratie kann man eingreifen. Wir können dafür sorgen, dass der | |
Staat Gesetze macht, Wohnraum für alle besorgt und der Mieter zum Beispiel | |
vor Eigenbedarfskündigungen wie bei dir schützt. Das ist gar nicht schwer, | |
dafür braucht man nur ein Gesetz. Die Erben sollen sie sich Wohnungen | |
kaufen, die sowieso leerstehen, oder neu bauen. Aber sie dürfen die Leute | |
nicht aus deren Wohnung jagen. Ganz einfach. | |
Und das willst du im inzestuösen bundesdeutschen Theaterwesen anschieben? | |
Diese tollen alten Kästen müssen sich öffnen, demokratisieren und die Stadt | |
widerspiegeln. Von daher ist es meines Erachtens nicht so, dass man die | |
Bewegung korrumpiert, wenn man sie ins Theater holt. | |
Werden wir ein glückliches Ende erleben? | |
Die Mieter solidarisieren sich und beschließen, wirklich etwas zu machen. | |
Der Song dazu: „Mieter*innen stressen zurück“. Es kommt zum Straßenkampf | |
zwischen den Immobilienschaffenden und den Leuten in der Demo. Das | |
Kriegsglück schwankt hin und her. Und dann kommt etwas auf die Bühne, was | |
uns zum großen, erstrebenswerten Sieg verhilft. Und was das ist, das ist | |
eben die Überraschung. | |
Autor und Interviewte kennen sich und duzen sich deshalb im Interview. | |
26 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Anselm Lenz | |
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