# taz.de -- Wandgemälde in der Waldemarstraße: Geschichte wird gemalt | |
> Das bekannte Wandbild in der Kreuzberger Waldemarstraße 81 wurde | |
> restauriert. Das Künstlerkollektiv kritisiert Kommerzialisierung der | |
> Murals. | |
Bild: „Wir bleiben drin“: das Wandbild (Ausschnitt) im Jahr 1975 | |
Der haushohe Baum auf der Fassade der Waldemarstraße 81 leuchtet, frisch | |
nachgemalert, in kräftigem Grün und hellem Braun. Seine Äste schlängeln | |
sich um die Fenster und überall schauen Tiere hinter den Blättern hervor. | |
Eine Passantin blickt an der Fassade hoch und kommentiert: „Hier fühlen | |
sich anscheinend alle wohl: Füchse, Hasen, Frösche. Alle finden einen | |
Platz.“ | |
Zwischen den aufgemalten Ästen stehen Sätze in verschiedenen Sprachen: „Die | |
Häuser denen die drin wohnen“ oder: „A place to live is a basic right, | |
specualtion isn't.“ – „Ein Platz zum Wohnen ist ein Grundrecht, Spekulati… | |
hingegen nicht.“ Und auf Höhe des ersten Stocks in großen Lettern: „Wir | |
bleiben alle.“ | |
Die politischen Künstlerkollektive pappsatt und orangotango hat das | |
Wandbild von 1975, Relikt aus der Urzeit der Kreuzberger Hausbesetzerszene | |
und eines der ersten Wandbilder in Berlin, teils nachgemalt, teils | |
umgestaltet. Fünf KünstlerInnen seien damit beschäftigt gewesen, erzählt | |
Tobi von pappsatt, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. | |
Mitte September war man schließlich fertig. | |
Die Genossenschaft Luisenstadt eG, der das ehemals besetzte Haus gehört, | |
habe die Malerei bei dem (inzwischen aufgelösten) Kollektiv in Auftrag | |
gegeben: der Putz blätterte ab, die Farben verblassten. pappsatt und | |
orangotango, die sich bereits zuvor in Kunstprojekten mit dem Thema | |
Stadtentwicklung auseinangesetzt haben, sagten zu: „Es hat uns auch deshalb | |
gereizt, weil wir das Thema Verdrängung von damals in die Gegenwart holen | |
wollten“, sagt Tobi. | |
## Flüchtigkeit der Stadt | |
Dass ein Wandbild aufwändig konserviert oder sogar weiterentwickelt wird, | |
ist eher die Ausnahme in Berlin. Normalerweise verschwinden Wandbilder eher | |
– weil Baulücken geschlossen werden. Oder weil die Fassade saniert wird und | |
es den Hausbesitzern zu teuer ist, die Wandbilder zu konservieren oder zu | |
erneuern. | |
Manchmal verschwindet dadurch auch ein Stück Stadtgeschichte: Zum Beispiel | |
das „Parlament“, dieses 1.200 Quadratmeter große Wandgemälde mit den | |
Karikaturen von Konrad Adenauer, Helmut Kohl und anderen Politgrößen, das | |
man bis 2016 am besten aus der fahrenden S-Bahn heraus zwischen | |
Savignyplatz und Zoo bewundern konnte, bevor es hinter einem Neubau | |
verschwand. | |
Aber muss man darum trauern – oder ist es nicht vielmehr Vergänglichkeit, | |
die sich stetig verändernde Stadt, die sich gerade auch in der Flüchtigkeit | |
von Wandbildern spiegelt? | |
Seit 1975 fotografiert der Berliner Künstler Norbert Martins Wandbilder: | |
950 Kunstwerke habe er auf diese Weise seit 1975 archiviert, 15.000 Fotos, | |
„ein Stück Stadtgeschichte“, sagt Martins. Er sagt: „Ein Wandbild hält … | |
Schnitt 15 bis 18 Jahre. Es ist natürlich Kunst auf Zeit.“ | |
## Keine Musealisierung | |
Martins, der von der Szene längst angerufen wird, wenn irgendwo ein neues | |
Wandbild entsteht, damit er mit seiner Kamera vorbeikommt, findet: | |
„Erneuerung gehört dazu und ist ja auch etwas Normales.“ Alleine in diesem | |
Jahr habe er 20 neue Wandbilder seinem Archiv hinzugefügt. | |
„Wir wollten keine Musealisierung des alten Wandbilds“, betont | |
Ex-pappsatt-Künstler Tobi. Deshalb habe man versucht, das Thema Verdrängung | |
– damals im Kontext der Westberliner Hausbesetzungen – ins Heute der | |
steigenden Mietpreise zu holen: Die Tiere, die jetzt in den Baum gemalt | |
sind, heimische Tiere wie der Marder aber auch ein Pinguin, sollen die | |
diverse Stadtgesellschaft von heute versinnbildlichen. Aus dem alten Spruch | |
„Wir bleiben drin“, ist „wir bleiben alle“ geworden, den die Tiere in | |
unterschiedlichen Sprachen sagen. | |
„Uns war wichtig, dass der Baum und das Transpi bleiben“, sagt Eva, die | |
seit sechs Jahren im Haus wohnt, und ihren Nachnamen ebenfalls nicht nennen | |
will. Sie und die anderen HausbewohnerInnen haben das Bild gemeinsam mit | |
pappsatt entworfen. | |
Allerdings seien sie jetzt in der privilegierten Position, MitgliederInnen | |
einer Genossenschaft zu sein, sagt Eva: „Wir bleiben drin“ würde also nicht | |
mehr so zutreffen, wie in den 70er-Jahren, wo das Haus vom Abriss bedroht | |
war und eine bunte Gemeinschaft darin wohnte. Aber, sagt Eva: „Wir wollten | |
Solidarität zeigen mit dem, was um uns herum passiert.“ | |
## Wandmalerei zur Profitsteigerung | |
Martins kann sich indes noch erinnern, wie das Wandbild am 1. Mai 1975 | |
entstand. Er war da, fotografierte die Hausbesetzerinnen, die das Bild ohne | |
Gerüst malten, sich einfach mit den Farbeimern aus dem Fenster hängten. | |
Martins hat der Kulturverwaltung sein Archiv angeboten: „Aber mein Preis | |
war denen zu teuer.“ | |
Ironischerweise, sagt Künstler Tobi, würden inzwischen ausgerechnet die | |
großen Immobilienfirmen den Wert der Wandmalereien für sich entdecken. „Die | |
Firmen geben kommerzielle Gemälde in Auftrag, um den Wert ihrer Gebäude zu | |
steigern.“ Die Malereien zitierten stilistisch Street-Art-Kunst, seien aber | |
gerade nicht politisch, sondern rein illustrativ. | |
Tatsächlich sponsert der umstrittene Konzern Deutsche Wohnen inzwischen das | |
Mural Festival (engl. für Wandmalerei). Die landeseigene Howoge schreibt | |
alle zwei Jahre einen Wettbewerb aus, wo KünstlerInnen eine Hausfassade | |
gestalten können. Tobi sagt: „Wir sehen diese Kommerzialisierung sehr | |
kritisch.“ | |
23 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
Anina Ritscher | |
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