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# taz.de -- Graffiti und Homophobie: Wie ist das gemeint?
> Berlin rätselt über eine Graffiti-Serie. „Der Schriftzug schürt massiv
> Ängste“, sagt Bastian Finke vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt MANEO.
Bild: Das Grafitto (Ausschnitt; siehe unten)
„Schwule sterben aus“. Dieser rätselhafte Schriftzug findet sich von Pankow
bis Köpenick, von Schöneberg bis Lichtenberg gehäuft an Berliner Brücken,
Bahnhöfen und Gebäuden.
Geht es dabei um eine homophobe Beleidigung, um einen Aufruf zur Gewalt,
der sprachlich so formuliert ist, dass er juristisch nicht als solcher zu
verfolgen wäre? Geht es womöglich um sexuell übertragbare Krankheiten? Oder
um eine Provokation aus der Szene, die das Aussterben einer schwulen
zugunsten einer queeren Identität zum Thema macht?
Insgesamt 77 Mal meldeten seit Mai Bürger*innen, LGBTI*-Vereine und Polizei
das Vorkommen des Graffitos, wie aus der Antwort des Senats auf eine
Anfrage der Abgeordneten Sebastian Walter und Anja Kofbinger (B’90/Grüne)
hervorgeht, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
„Ich bin selbst jeden Tag mit dem Fahrrad an einem der Graffitos im
Mendelssohn-Bartholdy-Park vorbeigefahren und habe über seine Bedeutung
gerätselt“, sagt Walter der taz am Mittwoch. Als Bekannte ihm von weiteren
Sichtungen erzählten, hätte ihn dies zu systematischeren Recherchen und
schließlich zu der Anfrage im Parlament bewegt, erzählt Walter, der –
gemeinsam mit Kofbinger –, als queerpolitischer Sprecher seiner Fraktion im
Abgeordnetenhaus fungiert.
## Politisch motivierte Kriminalität
Der Senat geht bei den Graffiti von einem homophoben Hintergrund aus. Der
Schriftzug sei „grundsätzlich geeignet, Schwule zu verunsichern und/oder zu
empören“, heißt es in dem Antwortschreiben. Das tatsächliche Motiv hätte
jedoch durch Ermittlungen bisher nicht geklärt werden können. Aufgrund des
einheitlichen Schriftbildes liege aber nahe, dass es sich um nur eine
verursachende Person handelt, schreibt Staatssekretär Torsten Akmann.
„Dieser Schriftzug schürt massiv Ängste unter schwulen Männern“, meint
Bastian Finke, Leiter des schwulen Anti-Gewalt-Projektes Maneo gegenüber
der taz. „Selbst wenn er nicht direkt zur Gewalt aufruft: es wird eine
falsche Behauptung aufgestellt, die homophobe Implikationen in sich trägt“,
sagt Finke der taz.
Auch Walter teilt die Einschätzung in der Antwort des Senates auf seine
Anfrage. Er findet gut, „dass die Polizei verstanden hat, dass es sich um
eine politisch motivierte Sache handelt“.
Bis jetzt hat es 36 Strafanzeigen aufgrund des jeweils meist großflächig
gesprühten Schriftzuges gegeben. Im Fachkommissariat für „Politisch
motivierte Kriminalität – rechts“ (PMK – rechts) des Staatsschutzes hatte
man diese bearbeitet und den Vorgang schließlich an die Staatsanwaltschaft
abgegeben.
## „Auslese“ von Schwulen
Warum das Verfahren in der Kategorie „rechts“ geführt wurde, war bis zum
Redaktionsschluss nicht von der Polizei zu erfahren.
Vermutet werden kann, dass die Aussage „Schwule sterben aus“ als
sozialdarwinistisch gewertet wurde und so in die Zuständigkeit der PMK –
rechts geraten ist. Diese Einheit ermittelt dem Internetauftritt der
Polizei zufolge, „wenn Bezüge zum völkischen Nationalismus, Rassismus,
Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus“ vorliegen.
Der Schriftzug würde sich nach dieser Lesart auf eine „Auslese“ von
Schwulen in sozialer, ökonomischer, moralischer, vielleicht auch
genetischer Hinsicht beziehen.
Das Verfahren gegen die Person hinter den Graffiti wurde zwischenzeitlich
aufgrund mangelnder Ermittlungserfolge eingestellt, heißt es im
Senatsschreiben. „Ich finde es enttäuschend, dass das Verfahren vorschnell
eingestellt wurde“, meint Sebastian Walter. „Es ist ja nicht abzusehen, ob
diese Graffiti-Serie jetzt endet“, sagte der Abgeordnete der taz.
## Bürger*innen zeigen Homophobie an
„Diese Sache macht klar, dass es immer noch viel zu tun gibt“, meint
Sebastian Finke von Maneo. „Mehr Anstrengungen und eine Verstärkung der
Mittel von Seiten des Senats sind nötig, um sich der Homophobie, auch der
allgemeinen, nicht nur der rechten, entgegenzustellen“, so Finke.
So bleibt unklar, was mit „Schwule sterben aus“ gemeint ist. Es wäre nun an
der sprühenden Person – wenn vielleicht auch anonym –, für Aufklärung zu
sorgen. Den Bürger*innen, die den Schriftzug angezeigt haben, gilt Respekt.
12 Sep 2019
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
## TAGS
Homophobie
Rechtsradikalismus
Schwerpunkt LGBTQIA
Stadtentwicklung
Schwerpunkt Rassismus
Homosexualität
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