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# taz.de -- Noch mehr klimaschädliche Pkws: Obskure Liebe zum VW-Bus
> Es gehört zum guten Ton, SUVs zu hassen. Aber der Streit um die
> Urzeitautos lenkt ab vom eigentlichen Thema: der Autoverkehr kollabiert.
> Zum Glück.
Bild: Der VW-Bus gilt als menschenfreundlich und schön – da interessiert die…
Hamburg taz | Sonderbare Zeiten, in denen man nahezu mit Sympathie auf
einen BMW-Kombi guckt oder ein Mercedes-Coupé. Und sich erinnert, dass das
vor ein paar Jahren undenkbar war. Aber vor ein paar Jahren waren noch
nicht so viele SUVs unterwegs und der Grad der Aggression, die die auf sich
ziehen, steigt ebenso zuverlässig wie die Zahl der Neuzulassungen.
Es gibt so viele gute Gründe dafür, SUVs abzulehnen, dass man nicht weiß,
mit welchem man anfangen soll, zumal sind sie sämtlich bekannt, auch den
SUV-FahrerInnen. Deswegen ist die interessante Frage nicht, ob die
Ablehnung gerechtfertigt ist. Sondern die, warum sich ein Überschuss von
Gefühl in dieser Ablehnung findet, eine Dosis Zorn, die zu groß ist, als
dass sie ihren Grund allein im CO2-Ausstoß dieser Autos hätte.
Wenn Umweltschädlichkeit und hoher Platzverbrauch inakzeptabel sind, dann
ist es erstaunlich, warum so viele der akademischen Mittelschichtler, die
bekennende SUV-Hasser sind, VW-Busse und alte Volvo-Kombis fahren.
Natürlich, die lange Nutzung hebt die Ökobilanz, und doch: die Flotte der
neuen – und durchaus kostspieligen – VW-Busse ist groß und über ihre
Notwendigkeit werden selten Debatten geführt. Ein neuer VW-Bus ist durchaus
nicht preiswerter als einer der günstigen SUVs. Doch die alten Kombis und
die Busse stehen für ein Lebensgefühl, das zwar ebenfalls raumgreifend ist
und das im Falle der VW-Busse ebenfalls vom Gefühl des Erhoben-Seins zehrt
– aber, und das nimmt sie aus der Schusslinie, sie gelten nicht als
a-sozial.
Die SUV-Debatte ist eine Umweltdebatte, aber eben nicht nur. Es ist eine
Auseinandersetzung um Raum und zugleich um gesellschaftliche Abschottung.
Wer SUV fährt, so der Vorwurf, verfolgt das eigene Interesse so ostentativ
auf Kosten der anderen, dass es nahezu ein Akt der Selbstbehauptung ist,
dies nicht hinzunehmen. Das SUV ist ein Auto, [1][dessen
Konstruktionsprinzip Mächtigkeit ist]. Und sein Kollateralschaden ist
Umweltfeindlichkeit und ein hohes Risiko für diejenigen, die das Pech
haben, in einen Unfall mit ihm verwickelt zu werden. Das SUV ist für seine
Feinde und Feindinnen die Negation einer Außenwelt, die von Bedeutung sein
könnte. Es ist das motorisierte Pendant zu dem neuen Kopfhörermodell, das
seine TrägerInnen von Geräuschen der Außenwelt abschirmt.
## Besonders verhasst: die SUV-Fahrerin
Kein Wunder, dass der Kampf weitgehend humorlos geführt wird. Kein Wunder,
dass es vorgefertigte Schilder gibt, auf denen steht: „[2][SUV-Fahren
verursacht Impotenz]“. Geht es nach den SUV-Gegnern, werden deren Fahrer
bald so isoliert sein wie die Raucher. Eine interessante Fußnote ist, dass
die SUVs nach nostalgischen Kleinwagen die erste Fahrzeugklasse sind, bei
denen Frauen als FahrerInnen thematisiert werden. Kein Text über SUVs, in
denen nicht mit Überraschung, gefolgt von erhöhtem Ressentiment,
festgestellt wird, dass es Frauen, häufig Mütter der gehobenen Mittel- oder
Oberschicht seien, die diese Autos wählen. Es ist ein bemerkenswerter Fall
von positivem Sexismus: Warum sollten Frauen per se sozialer denken? So wie
das Erstaunen, dass Elternschaft als solche nicht zu nachhaltigem Leben
führt, erstaunlich ist in Zeiten, in denen ein neu erworbener Kombi zu den
Insignien der Elternschaft gehört.
Da stehen dann die Kombieltern empört vor den SUV-Eltern und auch wenn man
gefühlsmäßig eher bei den Kombis stehen mag: Sie führen eine
Stellvertreterdebatte. Heiner Monheim etwa, der seit Jahrzehnten zum Thema
Verkehr forscht, sagt, dass Pläne wie die von Olaf Scholz, SUVs höher zu
besteuern, bestenfalls Kosmetik seien. Und dass es darum ginge, die realen
Kosten, die Autos verursachen, von ihren FahrerInnen bezahlen zu lassen. In
den Niederlanden wurde schon vor 20 Jahren ein Taxometer entwickelt, das
individuell für jedes Auto, je nach Größe, Schadstoffausstoß, gefahrener
Strecke und Parkplatzbeanspruchung eine Abgabe berechnet.
Warum man nie davon gehört hat? Nachdem es dem Rechtspopulisten Geert
Wilders gelungen sei, die damalige Regierung auszuhebeln, die das Projekt
vorangebracht hatte, sei es in der Versenkung verschwunden, sagt Monheim.
Es sei faszinierend, wie sich die Autogesellschaft gegen jede Veränderung
sperre. Da kommt einem der VW-Chef in den Sinn, der [3][kürzlich in der taz
einräumte], dass es schwierig sei, aus den SUVs Ökoautos zu machen – aber
immerhin sei ihr Absatz so reißend, dass man mit dem Geld die
Elektroautoforschung voranbringen könne.
Aber diese Zeiten, das glaubt zumindest Monheim, währen nicht mehr lange.
Die Debatten um sparsamere Autos, Elektroautos seien nur noch die letzten
Zuckungen einer sterbenden Form der Mobilität. Nicht von ungefähr: Der
Großteil der SUV-Käufer ist jenseits der 50. Und die Generation, „die mit
den klareren Augen“, sagt Monheim, die jetzt vor den Türen der
Internationalen Autoausstellung demonstriere, sei diejenige, die sich vom
Autowahn trennen werde.
Es ist interessant, jetzt mit Mobilitätsforschern zu sprechen, die schon
seit Jahrzehnten für eine Gesellschaft kämpfen, in der das Auto bestenfalls
eine Nebenrolle spielt. Eine Gesellschaft, in der der Fußgänger, der
Radfahrer das Maß der Dinge ist. Diese Forscher sind Zeugen einer scheinbar
unaufhaltsamen Motorisierung, doch sie sind bemerkenswert optimistisch,
dass eine Zeitenwende unausweichlich ist. Und das gerade deshalb, weil sie
den Kollaps der gegenwärtigen Autowelt für erfreulich nahe halten.
Der österreichische Verkehrsplaner und Vertreter der Fußgänger bei den
Vereinten Nationen, Hermann Knoflacher, glaubt, dass die Diskussion um die
SUVs eine Sündenbockdebatte ist: „Weil die Autofahrer merken, dass sie in
den Städten nichts mehr verloren haben, lenken sie den Zorn auf die SUVs
um.“ Dabei gehe es um viel mehr: einen Lebensraum, der nicht auf Autos
ausgelegt ist. Knoflacher hat in den 70er Jahren das „Gehzeug“ erfunden,
ein Holzgestell, das sich Fußgänger umschnallen können, um damit den einem
Auto entsprechenden Raum einzunehmen.
## Der Radfahrer als Maß aller Dinge
Aber für ihn geht das Thema weit über Fahrzeuggrößen hinaus: Er hat das
Gehzeug auch in einem pädagogischen Fachbuch eingebracht, weil er der
Meinung ist, dass das Auto sogar Familienstrukturen unterminiert. Es sei
nachweisbar, dass mit dem Grad der Motorisierung einer Gesellschaft die
Zahl der Kinder sinke. Man müsse sich das wie bei den Fröschen vorstellen,
sagt Knoflacher: wenn das Milieu nicht mehr geeignet dafür sei, bliebe der
Nachwuchs aus. Das Gehzeug hält er für ein geeignetes Mittel, um
festzustellen, ob Eltern primär Menschen oder Autofahrer seien: Wenn die
Kinder das Gehzeug auf dem Autoparkplatz abgestellt hätten und die Eltern
es wegräumten, sei Letzteres der Fall.
20 Jahre, nachdem Hermann Knoflacher sein Gehzeug gebaut hat, ist der
Student Michael Hartmann in München über Autodächer entlanggegangen, weil
er nicht einsah, warum er als Fußgänger so wenig Platz hatte. Schließlich
versuchte er, sich die Straße als Fußgängerraum zu erobern. Man stellte ihn
vor Gericht, zuvor ließ man ein Gutachten in der Psychiatrie erstellen.
Darin hieß es, er sei „wach beziehungsweise bewusstseinsklar und allseits
orientiert“. Ebenso aber attestierte man ihm „Verdacht auf überwertige
Ideen und Sendungsbewusstsein“, eine „etwas überwertige Sicht von der
autofreien Zukunft“. Er selbst bekannte: „Ich denke, ich bin meiner Zeit
voraus.“
## Den Zorn nutzen
In den 50er Jahren hat er der ADAC eine Kampagne zur Verschmalerung der
Fußwege geführt und es ist betrüblich zu sehen, wie gut sie funktioniert
hat. Um Hartmann ist es still geworden, sein Aufbegehren wirkt im Rückblick
vor allem rührend, und das ist erschreckend.
Es mag sein, dass sich die Debatte um die SUVs bald tot läuft. Dass „ein
paar Sündenböcke geschlachtet werden, ohne die Schafe anzurühren“, so
beschreibt es Hermann Knoflacher. Dass ein paar Aufgebrachte weiter zornige
Botschaften à la „Braucht Ihr Ego so ein Auto?“ hinter die
Windschutzscheiben der dicksten Autopanzer klemmen, ohne dass sich dadurch
etwas änderte.
Aber vielleicht, vielleicht nimmt man das Momentum dieses Zorns, um
tatsächlich zu entscheiden, wer bestimmen soll im öffentlichen Raum: Autos
welcher Fahrzeugklasse auch immer – oder aber das Fußgängervolk.
23 Sep 2019
## LINKS
[1] /Die-Geschichte-des-SUV/!5623860
[2] https://rausausunsererstadt.de/wp-content/uploads/2019/06/NoSUV_Sticker.pdf
[3] /Aktivistin-und-VW-Chef-im-Streitgespraech/!5622446
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
SUV
Verkehr
Volkswagen
Elektroauto
Autoverkehr
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