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# taz.de -- Machtkampf um Grünen-Fraktionsvorsitz: Verborgene Botschaften
> Harmonie oder mehr Profil? Beim Wettbewerb um den Fraktionsvorsitz der
> Grünen prallen unterschiedliche Strategien aufeinander. Eine Analyse.
Bild: Wollen wieder ChefInnen werden: Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt
Berlin taz | In Bewerbungsschreiben sind die letzten Sätze oft die
wichtigsten, denn sie bleiben im Gedächtnis haften. Grünen-Fraktionschef
Anton Hofreiter, der im Moment daran arbeitet, wieder Chef zu werden,
schreibt ganz am Ende in seinem Bewerbungsbrief an die Abgeordneten: „Ich
habe meine Rolle als Vorsitzender gemeinsam mit Katrin immer so verstanden,
den Zusammenhalt unserer Fraktion und der Grünen insgesamt zu wahren.“
Darin steckt eine verborgene Botschaft: Mit den anderen beiden, [1][mit Cem
Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther], könnte es anders laufen. Es könnte
Streit geben, mehr Profilierung gegeneinander, mehr Unruhe. Hofreiter und
seine Co-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt werben gerade in eigener Sache.
Seitdem Grünen-Promi Özdemir und die Bremer Bundestagsabgeordnete
Kappert-Gonther erklärt haben, gegen sie anzutreten, müssen beide für ihre
sicher geglaubte Wiederwahl kämpfen. [2][Welche Strategien stehen
gegeneinander]?
Hofreiter und Göring-Eckardt versprechen Harmonie und Geschlossenheit. Sie
haben sich in eine bestimmte Rollenverteilung gefügt. Die charismatischen
Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock, seit gut eineinhalb
Jahren im Amt, dürfen auf dem grünen Oberdeck glänzen, die Fraktion
versteht sich als Maschinenraum – und stellt die Expertise bereit. Diese
Hackordnung ist ungewöhnlich, in der Grünen-Historie gab oft die besser
ausgestattete Bundestagsfraktion den Ton an.
Gleichzeitig stimmen sich die beiden FraktionschefInnen eng mit der
Parteispitze ab. Die Geschlossenheit wird von Hofreiters und
Göring-Eckardts UnterstützerInnen als wichtiges Argument dafür angeführt,
am Status quo in der Fraktion festzuhalten. Er sei sicher, „dass (…) unser
Team-Play der Ausgangspunkt für unsere aktuelle Stärke ist“, schreibt
Hofreiter in seinem Brief, der der taz vorliegt.
## „Team-Play“ als Stärke
Hofreiter und Göring-Eckardt wissen, dass sie nicht unumstritten sind. Bei
der Vorstandswahl vor zwei Jahren hatten beide jeweils nur rund zwei
Drittel der Stimmen der 67 Grünen-Abgeordneten bekommen – ohne
GegenkandidatInnen. Auch in ihrer ersten Reaktion auf die überraschende
Konkurrenz fielen Schlüsselwörter wie „Zusammenhalt“ oder „Ausgleich“.
Göring-Eckardt betonte vor gut einer Woche: „Toni und ich führen die
Fraktion zusammen aus der Mitte heraus.“
Aus der Mitte heraus – auch in diesem Halbsatz stecken mehrere Botschaften.
Einerseits halten sich Hofreiter und Göring-Eckardt zugute, als ChefInnen
verschiedene Positionen integriert zu haben. Das Ende früher üblicher
Flügelstreitigkeiten wird in der Partei als wichtige Ursache für ihren
Erfolg gesehen. Dann wäre da ein kleiner Seitenhieb auf Özdemir. Viele
erinnern sich noch daran, wie zerstritten die ehemaligen Parteivorsitzenden
Özdemir und Simone Peter zwischen 2013 und 2018 waren.
Und nicht zuletzt zielt der Halbsatz auf die Abgeordneten, die am 24.
September die Fraktionsvorsitzenden neu wählen. Mitte, das heißt: Hofreiter
und Göring-Eckardt werben damit, die Interessen der Realos und Parteilinken
gleichberechtigt mitzudenken. Das ist nicht unwichtig. Entscheidend ist es
ja, Stimmen aus beiden Lagern, solche von Realos und Linken, auf sich zu
vereinen.
Sich mittig zu positionieren, kann deshalb erfolgreicher sein, denn als
eindeutig erkennbarer Flügelvertreter anzutreten. Das musste die Grüne
Kerstin Andreae erfahren, die 2013 gegen Göring-Eckardt im Wettbewerb um
den Fraktionsvorsitz antrat. Während Andreae, eine Reala aus
Baden-Württemberg, dafür warb, Brücken zur Wirtschaft zu bauen, war
Göring-Eckardt im vorherigen Wahlkampf mit sozialen Anliegen sichtbar – und
somit eher für die Fraktionslinken wählbar. Göring-Eckardt gewann die Wahl
damals deutlich.
## Raus aus den Schrebergärten
Özdemir und Kappert-Gonther sind in der derzeitigen Konstellation die
AngreiferInnen. Sie versprechen der Fraktion mehr Sichtbarkeit und Profil.
Ihre AnhängerInnen verweisen darauf, dass Özdemir andere Milieus anspreche
und ein glänzender Redner sei, der auf der wichtigen Bühne des Parlaments
bessere Auftritte hinlege als Hofreiter oder Göring-Eckardt. Sie nehmen
auch die Genervtheit mancher Abgeordneter auf, die finden, dass die
Fraktion neben dem Parteivorstand allzu unauffällig vor sich hin werkele.
Es gehe darum, „mit neuem Schwung der Gegenpol einer schwachen Regierung zu
sein“, schreiben sie in ihrer gemeinsamen Bewerbung.
Außerdem versprechen sie einen anderen Führungsstil. Die Fraktion sei
besonders erfolgreich, wenn Zusammenarbeit „nicht Zuarbeit aus fein
parzellierten Kleingärten heißt“, sondern gemeinsames Einstehen für
miteinander entwickelte Projekte. Das ist eine feine Spitze: Jeder
Grünen-Abgeordnete bewirtschaftet im Moment kleine, voneinander mehr oder
weniger sorgfältig abgetrennte Themenbereiche. Eine Tatsache, die immer
wieder zu Eifersüchteleien und Ärger führt.
Um die Erwartungen an die Grünen zu erfüllen, brauche es „die Stärke der
gesamten Fraktion“, sagt Kappert-Gonther, die bisher drogenpolitische
Sprecherin der Fraktion ist. „Ich glaube, dass diese Stärke sich noch mehr
entfalten kann als bisher.“ Inhaltliche Unterschiede sind bisher nicht
erkennbar. Weder Özdemir noch Kappert-Gonther mahnen Kurswechsel in
relevanten Themen an. Das ist bei grünen Wettbewerben um Ämter aber nicht
unüblich. Als es vor vergangenen Wahlen um die Spitzenkandidaturen ging,
musste man inhaltliche Differenzen mit der Lupe suchen. Die Personen stehen
im Vordergrund.
Am 24. September geht es nicht nur um den Fraktionsvorsitz, sondern auch um
die Aufstellung für die nächste Bundestagswahl. Wer die Fraktion führt,
kann eine herausgehobene Position im Wahlkampf und später ein Ministeramt
für sich beanspruchen. Am Ende könnte es deshalb auf eine strategische
Entscheidung hinauslaufen: Entweder wollen die Abgeordneten eine
Fraktionsspitze, die das bisherige Modell ruhig und harmonisch fortführt.
Oder sie wollen, dass Cem Özdemir wieder in die erste Reihe rückt – und
neben Habeck und Baerbock stärker das Bild der Grünen prägt.
16 Sep 2019
## LINKS
[1] /Machtkampf-um-Gruenen-Fraktionsvorsitz/!5625247
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
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Anton Hofreiter
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