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# taz.de -- Machtkampf um den Fraktionsvorsitz: Bei den Grünen ist die Hölle …
> Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther wollen den
> Grünen-Fraktionsvorsitz übernehmen. Haben die beiden eine Chance?
Bild: Gerade hatte die Partei mit dem Sonnenblumen-Logo noch einen Lauf, nun dr…
Berlin taz | Die Bundestagsabgeordnete schnaubt erst mal, wenn man sie auf
Cem Özdemirs Bewerbung für den Fraktionsvorsitz anspricht. Dann legt sie
los. Eine „Harakiri-Aktion“ sei das. Özdemir neige zu Egotrips und
versuche, die Partei nach rechts zu schieben. „Es läuft gerade wahnsinnig
harmonisch. Warum sollten wir ihn zum Chef machen?“ Die Abgeordnete, das
der Vollständigkeit halber, mag Cem Özdemir nicht besonders.
In der Bundestagsfraktion der Grünen ist derzeit die Hölle los. Seitdem Cem
Özdemir und die öffentlich wenig bekannte Abgeordnete Kirsten
Kappert-Gonther überraschend erklärt haben, [1][für den Fraktionsvorsitz zu
kandidieren], wird bei den Grünen telefoniert, bis die Drähte glühen.
Gerüchte schwirren umher, Spins werden verbreitet, alles hinter
vorgehaltener Hand, versteht sich. Namentlich zitieren lassen will sich
keiner.
Im Zentrum stehen zwei Fragen: Welche Chancen haben die beiden? Und was
treibt Özdemir an, der ja schon vor zwei Jahren mit dem Gedanken spielte,
Fraktionschef zu werden – damals aber keine Mehrheit für sich sah?
Klar ist: Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die die Fraktion seit
2013 gemeinsam führen, sind nicht unumstritten. An beiden gibt es –
unterschiedlich gelagerte – Kritik. Göring-Eckardt war zweimal
Spitzenkandidatin in Bundestagswahlkämpfen, die mit mittelprächtigen
Ergebnissen endeten. Warum sie bei der Vorstandswahl am 24. September noch
mal eine zweijährige Verlängerung bekommen sollte, leuchtet nicht jedem
Abgeordneten ein. Es gebe den Wunsch nach mehr Führung, heißt es in der
Fraktion, Entscheidungen würden verschleppt. Dem Bayer Hofreiter wiederum
wird ein Performanceproblem attestiert. Jener, sagt einer, habe seine
Rednerqualitäten in den Chefjahren nicht wirklich verbessert.
Es stimmt ja: Gerade im Vergleich mit Robert Habeck und Annalena Baerbock,
dem charismatischen Duo an der Parteispitze, bleiben die
Fraktionsvorsitzenden in der Außenwirkung deutlich blasser. Aber
gleichzeitig arbeiten die vier ChefInnen in Partei und Fraktion so gut
zusammen wie selten. Die Grünen kooperieren geräuschlos, konfliktfrei und
eng abgestimmt. „Toni und ich führen die Fraktion zusammen aus der Mitte
heraus“, sagte Göring-Eckardt am Sonntag als Reaktion auf die Konkurrenz.
Dieser Kurs habe sich für Fraktion wie Partei bewährt.
## Geräuschlos, konfliktfrei, abgestimmt
Die Sätze klingen harmlos, aber in ihnen schwingt eine wenig subtile
Botschaft mit. Vorsicht, mit den anderen beiden wäre es anders. Für einige
Abgeordnete, besonders solche aus dem linken Grünen-Flügel, ist gerade
Özdemir ein rotes Tuch. Seine Kritiker verweisen gern auf die Jahre
zwischen 2013 und 2018, die Zeit, als er mit der Linksgrünen Simone Peter
die Partei führte. Die beiden galten als Duo Infernale. Sie stritten sich,
profilierten sich gegeneinander und bedienten vor allem Interessen ihrer
jeweiligen Parteiflügel.
Manche linken Grünen fürchten nun die Variante „Cem und Simone 2.0“, ein
Szenario, in dem der Routinier Özdemir seine unbekannte Kollegin an die
Wand drücken würde. Leute, die es gut mit Özdemir meinen, betonen hingegen,
dass er gelernt habe – und selbstverständlich in der Lage sei, Interessen
der Gesamtpartei mitzudenken.
Eins ist unbestritten: Özdemir ist heute einer der bekanntesten Grünen
überhaupt. Der „anatolische Schwabe“ (Özdemir über Özdemir) ist einer d…
wenn nicht der beste Redner der Fraktion. Er hielt eine viel gepriesene
Rede gegen die AfD und wurde neulich mit dem Ignatz-Bubis-Preis
ausgezeichnet – für sein „außergewöhnliches Engagement zum Aufbau einer
friedlichen Welt“. Özdemir bekommt ganzseitige Porträts in überregionalen
Zeitungen und meldet sich immer wieder zu Außenpolitik zu Wort, zu Erdoğan
und der Türkei.
Als einer der wenigen deutschen Spitzenpolitiker mit Migrationshintergrund
ist er eine Marke geblieben, obwohl ihn die Grünen nach seiner zehnjährigen
Zeit als Bundesvorsitzender ohne mit der Wimper zu zucken in die
Hinterbänke im Bundestag durchreichten. Und ihn mit der intern nicht
unwichtigen, aber nach außen glanzlosen Aufgabe betreuten, die Geschicke
des Verkehrsausschusses zu lenken.
## Überzeugter Realo
Özdemir, ein Vertrauter von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, gilt
als überzeugter Realo. Er warb früh für eine Annäherung an die Wirtschaft,
lud den ehemaligen Daimler-Chef Dieter Zetsche zu einem Parteitag ein und
hält eine Vermögensteuer für linken Umverteilungsquatsch.
Seine Chancen auf eine Mehrheit in der Fraktion werden sehr unterschiedlich
eingeschätzt. Linke Grüne verweisen darauf, dass Özdemir immer ein
Einzelkämpfer gewesen sei – und nicht mehr als zehn Stimmen hinter sich
bringen könnte. Seine Unterstützer zählen allerdings anders. Wenn sich die
Abgeordneten, die zum Realo-Flügel gehören, zwischen Özdemir und
Göring-Eckardt entscheiden müssten, hätte die aktuelle Chefin nur ein
Viertel oder ein Drittel der Stimmen sicher, sagt einer. „Die
Unzufriedenheit mit KGE ist groß.“
Klar ist: Bei Vorsitzendenwahlen der Grünen ist der Brückenschlag
entscheidend. Um Erfolg zu haben, müssten Özdemir und seine Parteifreundin
Kappert-Gonther auch linke Abgeordnete für sich gewinnen. Diese Aufgabe
käme vor allem Kappert-Gonther zu, die zu diesem Flügel gehört. Ob ihr das
gelingt, ist im Moment offen.
Mehrere Linksgrüne sagen, dass Kappert-Gonther ihre Kandidatur weder
abgesprochen noch angekündigt habe. Dies sei ungewöhnlich, zumal sie mit
zwei anderen Abgeordneten als Koordinatorin des linken Flügels tätig ist.
Ebenfalls mehrere Abgeordnete geben an, dass sie Kappert-Gonthers
Ambitionen nicht auf dem Zettel gehabt hätten. Ihre Bewerbung habe
„eigentlich alle überrascht“, sagt ein gut vernetzter Grüner. Sie wirke
„skurril“ und zeuge von großer Chuzpe.
## Deutlich andere Akzente
Inhaltlich setzt die 52-Jährige deutlich andere Akzente als Özdemir. Es sei
die wichtigste politische Aufgabe der Grünen, „in Verteilungsfragen für
mehr Gerechtigkeit zu sorgen“, schreibt sie auf ihrer Homepage.
Kappert-Gonther sitzt erst seit 2017 im Bundestag, davor war sie
stellvertretende Fraktionsvorsitzende in der Bremischen Bürgerschaft.
ParteifreundInnen schildern sie als freundliche und versierte Kollegin, die
sich in ihren Themen gut auskennt. Vor ihrer Politikkarriere arbeitete
Kappert-Gonther als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.
Dass Özdemir den Wettbewerb zu diesem Zeitpunkt sucht, folgt einer gewissen
Logik. Die Fraktionsvorsitzenden haben im Falle einer Regierungsbeteiligung
gute Chancen auf ein Ministeramt. Seine Kandidatur könnte man als letzte
Frage an die Grünen sehen, ob sie ihn in der Bundespolitik in einer
Führungsrolle sehen wollen. Klug ist dabei, dass weder er noch
Kappert-Gonther die Konkurrenz mit den beliebten ParteichefInnen suchen. In
ihrem Bewerbungsschreiben stellen sie klar, dass sie im nächsten Wahlkampf
keine Spitzenkandidatur anstreben. Für diese Jobs gelten Habeck und
Baerbock als gesetzt.
Die Fraktion will nun in den nächsten Tagen das genaue Prozedere für die
Wahl vereinbaren. Es werde ein „klares und transparentes Verfahren“ geben,
kündigt ein Sprecher an. Wahrscheinlich sind wegen der nötigen Quotierung
der Doppelspitze zwei Wahlgänge: Erst treten die beiden Frauen
gegeneinander an, dann die beiden Männer.
9 Sep 2019
## LINKS
[1] /Neue-Fraktionsspitze-der-Gruenen/!5620995
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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