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# taz.de -- People of Color im Osten: Eine Lehrerin gegen Rassismus
> Ely Almeida kam wegen der Liebe aus Brasilien nach Bautzen. Nun engagiert
> sie sich dort gegen Vorurteile und Diskriminierung.
Bild: Sieht Bildung als Instrument im Kampf gegen Rassismus: Ely Almeida
Bautzen taz | Die Bautzner Altstadt schmückt sich mit pastellfarbenen
Häusern in Gelb, Rosa oder Hellgrün. An manche Fassaden der alten Gebäude
ist Stuck angebracht. Der schiefe Reichenturm am Marktplatz ist seit dem
15. Jahrhundert Teil des Stadtbilds. Über die Spree führen die massiven
Steinbögen der Friedensbrücke. „Wie kann ich wegen der Liebe hier in dieser
Stadt gelandet sein?“, fragte sich Ely Almeida nach ihrer Ankunft. Denn
Bautzen wirkt zwar, als wäre dieStadt die perfekte Kulisse für einen
Märchenfilm. Doch dafür gibt es zu viele Beschimpfungen, Hakenkreuze und
Männer, die ihr auflauern.
Ely Almeida ist eine Person of Color. Das macht es ihr nicht einfach, in
einer Stadt zu wohnen, in der rassistische Übergriffe zum Alltag gehören,
glatzköpfige Neonazis Teil des Stadtbilds sind. Die breite Mitte der
Gesellschaft schweigt. [1][Hetzjagden auf Geflüchtete] werden als
Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen abgetan. Almeida lebt hier seit
nunmehr zwöf Jahren. Rechte Hegemonie lässt sie nicht zu: Sie arbeitet mit
Geflüchteten, klärt über Rassismus auf und hat im Alltag selbst damit zu
kämpfen.
Das mit der Liebe begann in Brasilien. Ely Almeida ist damals Leiterin
einer Schule in einem kleinen Dorf an der Küste mit Austauschprogrammen
nach Italien und Deutschland. Ihr zukünftiger Mann übersetzt
Quartalsberichte des Austauschprogramms. Er will die Schule kennenlernen,
lernt aber vor allem Ely Almeida kennen. Sie verlieben sich. Er muss zurück
nach Sachsen. Sie führen erst mal eine Fernbeziehung. Als sie sich
entscheidet, nach Deutschland zu kommen, fragt er: Wo möchtest du leben –
in Bautzen oder in Leipzig?
Ely Almeida kennt Bautzen nicht, sie kennt Leipzig nicht, erfährt aber: Die
eine Stadt ist groß, die andere klein. Sie entscheidet sich für die kleine
Stadt. Für die malerischen Häuser und Brücken, deren Bilder sie im Internet
sieht. Sie glaubt, dass sie Anschluss finden wird.
## Die Integration fällt schwer
Als sie kurz nach ihrer Ankunft ihre zwei Söhne einschulen möchte, erfährt
sie, dass ein Gymnasium in Bautzen eine Portugiesischlehrerin sucht. Ely
Almeida gibt nun ehrenamtlich Unterricht und betreut ein Austauschprogramm
mit deutschen und mosambikanischen Schüler*innen. Zur Schulleitung hat sie
einen guten Draht. Eine Arbeitsstelle, Kontakt zu Einheimischen, eine
Lebensaufgabe – auf dem Papier klingt das nach Integration. Doch Bei Ely
Almeida gelingt sie trotzdem nicht.
Die heute 46-Jährige sitzt an dem großen Esstisch im Wohnzimmer ihrer WG.
Sie trägt roten Lippenstift, lächelt viel, ist freundlich und
aufgeschlossen. Wenn sie aber von ihrer Ankunft in Bautzen erzählt, kommen
hässliche Worte wie „Rassismus“, „Hass“, „Gewalt“ aus ihrem Mund. …
habe sie den Rassismus ständig gespürt, sagt Ely Almeida.
Einige Lehrer*innen wollten nichts mit dem Schüler*innenaustausch und
nichts mit ihr zu tun haben. Zwei Jahre lange habe sie ehrenamtlich in der
Schule gearbeitet. Einen bezahlten Job zu finden, gestaltete sich
schwierig. „Ich hatte keine hohen Ansprüche, ich wollte einfach nur im
Bildungssektor arbeiten“, sagt sie.
In Brasilien hatte sie Pädagogik studiert, sieben Jahre an einer
staatlichen Schule gearbeitet und drei Jahre als Schulleiterin an einer
„sozialen Vorschule“. In Deutschland aber wurden diese Qualifikationen
nicht anerkannt. Ely Almeida besuchte eine Weiterbildung, um anschließend
als Trainerin im Bereich politische Bildung zu arbeiten. Sie gab Workshops,
versuchte den Teilnehmer*innen gemeinsam mit Kolleg*innen Themen wie
Fairtrade oder Kinderrechte näherzubringen.
## 2015 nimmt der Rassismus zu
Von den Besucher*innen der Workshops wurde sie oft sonderbar behandelt,
sagt Ely Almeida. „Ich habe immer eine Exotisierung erlebt. Die Leute haben
mich mit Brasilien, Samba und Fußball in Verbindung gebracht, aber nicht
mit jemandem, der Wissen weitergeben kann.“ Sie schildert auch, dass
erwachse Teilnehmer*innn ihr ins Haar gefasst hätten, unvermittelt, einfach
so. Schüler*innen fragten sie, warum sie mit Akzent spreche. Man verstehe
sie nicht.
Almeida kämpft sich durch, will ankommen, dazugehören. Aber da sind die
anderen, die ihr erklären, wie fremd sie sei. An ein Seminar in Leipzig hat
Almeida besonders schlechte Erinnerungen. Der Workshop „Deutschland als
Migrationsgesellschaft“ war für Lehrer*innen gedacht. Die Teilnehmer*innen
hätten eine Art Patentrezept für den Umgang mit geflüchteten Kinder
gefordert. Auch seien immer wieder Sprüche bezüglich ihres „exotischen
Aussehens“ gefallen.
Als eine Kollegin ihr anbot, das Seminar abzubrechen, verneinte sie und zog
es durch. Doch etwas hatte sich verändert. „Diese Arbeit mache ich nur noch
an bestimmten Schulen“, sagt sie heute, „ich muss auch um mich selbst
sorgen.“
Alltagsrassismus habe es in Bautzen schon immer gegeben, sagt Ely Almeida.
Doch im Jahr 2015, als mehrere People of Color nach Bautzen kamen, wurde es
schlimmer. Davor, erinnert sie sich, hätten vielleicht nur vier oder fünf
weitere Schwarze in der 40.000- Einwohner*innen-Stadt gelebt.
## Verständnis der Polizei
Besonders im Winter komme es zu Übergriffen. Es ist früh dunkel. Und dann
die Weihnachtsmärkte. „Weihnachtsmärkte sind schrecklich für mich“, sagt
sie. Die Glühweinstände sind gut besucht. Auf abschätzige Blicke folgen
Beleidigungen, Verfolgungen. „Die Täter entschuldigen ihre Übergriffe vor
der Polizei meist mit ihrem Alkoholpegel“, sagt Almeida.
Oft würde das funktionieren, immer wieder würden sie auf [2][das
Verständnis der Polizei] stoßen. Opfer von rechter Gewalt sprechen oftmals
nicht akzentfrei Deutsch. Sie werden nicht ernst genommen. Ihnen fehlen die
Worte. Manchmal auch das Vertrauen in die Behörden, sagt sie.
Einmal fuhr Almeida mit dem Zug von Dresden nach Bautzen. Der Zug war
voller Fußballfans. Sie suchte einen Sitzplatz. Die anderen Fahrgäste
stellten ihre Taschen auf die freien Sitze. Ihre Frage, ob die Plätze noch
frei seien, verneinten sie. Ein Mann sprach Almeida an, sie könne sich
neben ihn setzten. Doch bald musste er aussteigen.
Dann wurde es schlimmer: Witze über Ausländer, dumme Sprüche,
Beleidigungen. Als sie in Bautzen ausstieg, liefen ihr einige der Fahrgäste
hinterher. Sie rannte zu ihrem Auto, noch als sie im Auto saß, hämmerten
die Verfolger auf das Fahrzeug. „Das ist nur wegen meiner Hautfarbe
passiert, ich bin keine Gefahr für die“, sagt sie.
## Revolutionäres Empowerment
Seit 2016 arbeitet Almeida zusätzlich in Bautzen als pädagogische
Mitarbeiterin in einem Verein, der sich für Geflüchtete kümmert. Sie gibt
Empowermentworkshops, inszeniert integrative Theaterstücke. „Es geht um
Dinge, die wir im Alltag erleben“, erzählt Almeida. Nach der Vorführung
werden Handlungsstrategien bei rassistischen und sexistischen Vorfällen
diskutiert. „Es ist für Bautzen revolutionär, dass wir mit solchen Themen
auf die Bühne gehen“, sagt sie.
Solche Veranstaltungen geben Denkanstöße, Fragen wie: Wie können wir die
Gesellschaft verändern? Braucht es in Bautzen ein Netzwerk aller Bars, um
gegen Sexismus vorzugehen? So ein Angebot gibt es jetzt in Bautzen. Dank
Almeida, dank ihrer – wie sie sie nennt –„Verbündeten“.
Vor 2015 wohnten in Bautzen hauptsächlich Leute, die sich untereinander
kannten. Als 2015 Geflüchtete in die Stadt kommen, reagierten vielen
Bautzner*innen verängstigt. Zäune wurden gebaut, Häuser verbarrikadiert.
Eine berentete Lehrerin aus Bautzen wird gefragt, ob sie Geflüchtete in
Deutsch unterrichten könne. Und auch sie erlebt, dass Geflüchtete „anders“
behandelt werden und Rassismus erfahren.
Als Dankeschön für die Unterrichtsstunden hatten zwei der von ihr
unterrichteten Geflüchteten auf ihrem Gartengrundstück Hochbeete gebaut.
Eines Samstags hätte sie die zwei jungen Männer mit dem Auto mitgenommen.
Dabei hatte die Lehrerin einen kleinen Unfall gebaut, zu Schaden kamen nur
ihr Auto und ihr Tor. Die Polizei sei fünf Minuten später dagewesen. Alle
drei Personen seien von der Polizei gefilzt worden.
## Racial Profiling
Die jungen Männer mussten ihre Fingerabdrücke abgeben. Das Auto der
Rentnerin sei durchsucht worden. Verdacht auf Drogenschmuggel, da sie nahe
der tschechischen Grenze seien. „Jetzt verstehe ich, was du meinst, es gibt
hier Rassismus“, hatte die Rentnerin nach dieser Erfahrung zu Almeida
gesagt. Nie hätte sie gedacht, eines Tages wegen Drogenschmuggel
verdächtigt zu werden.
„Ich könnte in einer Bäckerei arbeiten und hätte nicht so viel Stress, aber
ich wäre unglücklich, nicht das zu tun, was mir wichtig ist“, sagt Almeida
lächelnd. „Ich mache politische Bildung, weil ich glaube, dass das die
Lösung ist.“ Trotzdem hat sie einen Entschluss gefasst: Sie will umziehen.
Nach Berlin.
Und dennoch: Trotz der vielen Rechtsradikalen, das möchte Ely Almeida auch
erzählen, gäbe es in Bautzen auch die „Guten“, ohne die sie es sich nicht
hätte vorstellen können, in der Stadt zu leben. Bei der „Wann wenn nicht
jetzt“-Veranstaltung gegen rechts kommen sie alle zusammen. Die, die für
ein buntes Bautzen kämpfen und die Stadt nicht den Rechtsradikalen
überlassen wollen.
## Trotz Morddrohungen weitermachen
Auf dem Kornmarkt sind am Nachmittag Stände aufgebaut: Blau-orangefarbene
Banner der Unteilbar-Demo hängen an den Infostand der Aktivist*innen.
Andere Gruppierungen und Vereine haben ebenfalls bunte Stände auf dem Platz
aufgebaut. Besonders viele Leute sind nicht auf den Bautzner Marktplatz
gekommen. Doch die Stimmung ist gut. Kinder toben sich auf einer roten
Hüpfburg aus.
Später spricht Almeida auf einem Podium in den Räumlichkeiten des Bautzener
Museums vor etwa 50 Menschen im Publikum, darunter wohl auch viele
Angereiste. „Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die hier gegen
Rassismus kämpft. Die breite Mitte schweigt immer noch, aber ich habe mehr
Verbündete“, sagt sie.
Im Publikum sitzen ihre Freund*innen: Darunter eine Bloggerin, die im
Internet über rassistische und rechtsextreme Vorfälle in Bautzen berichtet
und trotz einiger Morddrohungen weitermacht. Später tanzen sie ausgelassen
auf dem Bautzener Kornmarkt. Die Sonne verschwindet langsam hinter den
bunten Häusern. Matondo rappt auf der Bühne: „Ich sag Nazis und ihr sagt �…
„…raus.“ Almeida lacht. An diesem Tag gehört die Stadt ihnen.
31 Aug 2019
## LINKS
[1] /Debatte-um-Gewalt-in-Chemnitz/!5621376
[2] /Polizei-ohne-Statistik/!5551904
## AUTOREN
Linda Peikert
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