# taz.de -- Syrien-Gipfel in Moskau: Putin lässt Erdoğan abblitzen | |
> Der türkische Präsident will einen schnellen Waffenstillstand in Syrien | |
> erreichen. Für Putin hat aber der Kampf gegen „Terroristen“ Priorität. | |
Bild: Am Dienstag in Moskau: Der türkische Präsident Erdoğan zusammen mit Pu… | |
ISTANBUL taz | Im Konflikt um die letzte Rebellenhochburg [1][Idlib] im | |
Norden Syriens hat der russische Präsident Wladimir Putin gegenüber seinem | |
türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan keine Konzessionen gemacht. Bei | |
einem Treffen der beiden Präsidenten in Moskau am Dienstag vertröstete | |
Putin Erdoğan auf einen Syriengipfel gemeinsam mit dem iranischen | |
Präsidenten Ruhani am 16. September. | |
Nachdem syrische Regierungstruppen mit russischer Unterstützung einen | |
Großangriff auf Idlib gestartet haben und dabei auch den türkischen | |
Beobachtungsposten bei Murak (s. Karte) einkesselten, war Erdoğan nach | |
Moskau gekommen, um Putin zu überreden, einen sofortigen erneuten | |
Waffenstillstand gegenüber Assad durchzusetzen. | |
Putin sagte bei der abschließenden gemeinsamen Pressekonferenz, er verstehe | |
die Sorgen seines türkischen Kollegen, aber die Bekämpfung der | |
„Terroristen“ in Idlib habe Vorrang. Um Erdoğan nicht völlig mit leeren | |
Händen nach Hause zu schicken, sagte er, er unterstütze die türkischen | |
Bemühungen, gemeinsam mit den USA östlich des Euphrats entlang der | |
türkischen Grenze eine Pufferzone einzurichten. | |
Seit April greifen die Truppen des Assad-Regimes Idlib an. Nachdem diese | |
Angriffe lange ohne großen Erfolg blieben, haben vor rund zwei Wochen | |
russische Bodentruppen in die Kämpfe eingegriffen und auch die russische | |
Luftwaffe hat sich intensiver an dem Bombardements beteiligt. | |
Die Regimetruppen konnten deshalb vor wenigen Tagen die wichtige Stadt Chan | |
Scheichun im Süden der Provinz Idlib erobern und haben den türkischen | |
Beobachtungsposten bei Murak mit rund 200 türkischen Soldaten isoliert und | |
eingeschlossen. Außerdem wurde ein türkischer Militärkonvoi aus der Luft | |
angegriffen, der zur Verstärkung für den Beobachtungsposten unterwegs war. | |
Erdoğan sah daraufhin das mit Russland im September letzten Jahres | |
vereinbarte [2][Idlib-Abkommen] verletzt und schlug Alarm. | |
Gegenüber Putin sagte er in einem Telefonat am vergangenen Freitag, die | |
„nationale Sicherheit“ der Türkei sei in Gefahr. Er verlangte die | |
Widerherstellung des Waffenstillstandes, wie damals in Sotschi vereinbart. | |
Aus Sicht von Putin und Assad hat aber Erdoğan die von der Türkei im | |
Sotschi-Abkommen übernommenen Verpflichtungen nicht eingehalten. | |
Dem Abkommen zufolge hätte die Türkei eine Zone rund um Idlib von Rebellen | |
und Dschihadisten räumen sollen und weitere Angriffe aus Idlib heraus auf | |
russische und syrische Truppen unterbinden sollen. Das ist aber nie | |
passiert. Im Gegenteil: Die Dschihadistengruppe Hai'at Tahrir al-Scham | |
(HTS) hat die von der Türkei unterstützten Rebellengruppen besiegt und ihre | |
Angriffe auf Assad-Truppen noch verstärkt. | |
Deshalb spricht die russische Armee nun davon, es ginge ausschließlich um | |
den Kampf gegen HTS, für die der Waffenstillstand sowieso nie gegolten | |
hätte. | |
## UNO warnt vor humanitärer Katastrophe | |
Außerhalb der Türkei hat vor allem die UNO auf die Angriffe auf Idlib | |
reagiert. Sowohl Generalsekretär António Guterres wie auch das | |
Flüchtlings-Kommissariat der UN warnen vor einer kaum vorstellbaren | |
humanitären Katastrophe, weil die rund 3 Millionen Zivilisten in Idlib kaum | |
noch eine Möglichkeit haben, sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen. | |
Hunderte sind bereits getötet worden, Hunderttausende sind auf der Flucht. | |
Die EU und USA schauen den Angriffen des Assad-Regimes weitgehend tatenlos | |
zu. Selbst als kürzlich bekannt wurde, dass russische und syrische | |
Kampfflugzeuge Krankenhäuser angegriffen und zerstört haben, die unter | |
anderem mit Geld aus Deutschland aufgebaut worden waren, kam aus Berlin | |
keine Reaktion. | |
Werden die Angriffe auf Idlib fortgesetzt, befürchtet die Türkei eine neue | |
Flüchtlingswelle, da die Menschen aus Idlib nur noch in Richtung Türkei | |
flüchten können. Zwar hat die Assad-Regierung vor wenigen Tagen erklärt, | |
sie würde im Süden der Provinz Fluchtkorridore für Zivilisten öffnen, doch | |
die Menschen in Idlib misstrauen dem Regime, vor dem sie oftmals bereits | |
aus anderen Landesteilen nach Idlib geflüchtet waren. | |
Da die Türkei bereits 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat | |
und die Kritik im Land immer lauter wird, könnte eine neue Welle von mehr | |
als hunderttausend Flüchtlingen Erdoğan ernsthaft in Schwierigkeiten | |
bringen. Die türkische Armee wird deshalb alles tun um zu verhindern, dass | |
die Flüchtenden die Grenze überschreiten. | |
NaN NaN | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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