| # taz.de -- Plan für Pufferzone in Syrien: Atempause für Idlib | |
| > Der russisch-türkische Plan für eine Pufferzone im umkämpften Idlib in | |
| > Syrien birgt viele Unwägbarkeiten. Werden sich die Milizen zurückziehen? | |
| Bild: Zehntausende Kämpfer halten sich in Idlib und Umgebung auf | |
| BERLIN taz | Auf den ersten Blick klingt der Plan schlüssig: Genau vier | |
| Wochen haben sich die Türkei und Russland Zeit gegeben, um an den Rändern | |
| des von Rebellen gehaltenen Gebiets in Nordwestsyrien eine Pufferzone zu | |
| errichten. In diesem Streifen sollen die Waffen schweigen. Damit bleibt | |
| eine groß angelegte Luft- und Bodenoffensive syrischer und russischer | |
| Truppen auf die Provinz Idlib also zunächst aus. Auch die seit Wochen | |
| befürchteten Zerstörungen und das damit verbundene enorme Leid für die | |
| Bewohner sind vorerst abgewendet. | |
| Nach ihrem dritten Treffen in nur drei Wochen traten Russlands Präsident | |
| Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan am | |
| Montagabend im russischen Schwarzmeerort Sotschi gemeinsam mit ihrem Plan | |
| vor die Presse. Wichtigste Punkte: Die Pufferzone soll syrische | |
| Regierungstruppen und Rebellen voneinander trennen. In einem 15 bis 20 | |
| Kilometer breiten Streifen sollen die Regierungsgegner ihre schweren Waffen | |
| – Panzer, Raketen- und Granatwerfer – abziehen. Zudem sollen extremistische | |
| Kämpfer, allen voran die Kämpfer der Dschihadisten-Miliz Hai’at Tahrir | |
| al-Scham (HTS), die Zone verlassen. Am 15. Oktober soll die | |
| demilitarisierte Zone stehen. Türkische und russische Einheiten sollen in | |
| dem Gebiet gemeinsam die Einhaltung der Vereinbarung kontrollieren. | |
| In der Praxis könnte sich der Plan – wie so viele Vereinbarungen im | |
| siebenjährigen Syrienkrieg – als schwer durchsetzbar erweisen: Mehrere | |
| Zehntausend Kämpfer halten sich in Idlib und an den Rändern der | |
| Nachbarprovinzen auf. Von den kurdischen Regionen abgesehen ist Idlib das | |
| letzte bedeutende von Regierungsgegnern gehaltene Gebiet. | |
| Auf einen Teil der Rebellen übt die türkische Regierung starken Einfluss | |
| auf. In den vergangenen Monaten hat Ankara versucht, verschiedene Milizen | |
| unter einem Kommando zu vereinen. Die protürkischen Rebellen könnten sich | |
| unter Druck bereit erklären, schweres Gerät abzugeben. Nadschi Mustafa, | |
| Sprecher des Rebellenbündnisses Nationale Befreiungsfront (NLF), begrüßte | |
| das Sotschi-Abkommen am Dienstag. Zugleich zeigte er sich aber skeptisch, | |
| ob es auch umgesetzt werde. „Wir müssen abwarten“, so Mustafa. | |
| ## Extremisten-Rückzug unwahrscheinlich | |
| Eine anderer bedeutender Teil der Rebellen gehört extremistischen Kräften | |
| an, allen voran der HTS-Miliz, die nicht nur von Moskau und Damaskus, | |
| sondern auch von der Türkei als Terrororganisation betrachtet werden. Dass | |
| diese Kämpfer zum Rückzug bereit sind, ist unwahrscheinlich. Die Milizen, | |
| die vor Ort das Sagen haben, saßen bei den Beratungen in Sotschi nicht mit | |
| am Tisch. | |
| Die Türkei wird nun nach eigenen Aussagen versuchen, Rebellen aus den | |
| Reihen der Dschihadisten abzuwerben, um HTS zu schwächen. Was aber mit den | |
| Kämpfern passiert, die sich weder an die Sotschi-Abmachung halten noch sich | |
| der Türkei unterwerfen, ist unklar. Am Ende wird die Türkei mit den | |
| Extremisten fertig werden müssen. | |
| Für Russland und das Assad-Regime könnten die radikalen Kräfte erneut als | |
| Rechtfertigung dienen, deren Stellungen anzugreifen. Waffenruhen und | |
| Deeskalationsvereinbarungen sind in der Vergangenheit immer wieder | |
| gescheitert. In Aleppo war dies ebenso zu beobachten wie in Ost-Ghuta. | |
| Beide Gebiete brachte das Regime nach heftigem Bombardement wieder unter | |
| seine Kontrolle. | |
| Doch selbst wenn die Vereinbarung hält: Eine langfristige Lösung des | |
| Konflikts bringt die Pufferzone nicht. Das syrische Außenministerium | |
| begrüßte den Plan am Dienstag zwar als „Initiative, die dazu beiträgt, | |
| Blutvergießen zu vermeiden und die Sicherheit wiederherzustellen“. Es | |
| bekräftigte zugleich aber die Entschlossenheit der Regierung, den „Krieg | |
| gegen den Terror“ fortzusetzen, bis der letzte Quadratzentimeter Syriens | |
| wieder unter ihrer Kontrolle sei. Russland unterstützt das Regime von | |
| Baschar al-Assad bei diesem Ziel. | |
| ## Zeitfenster für Diplomatie | |
| Denkbar ist, dass Assad-Truppen mit russischer Unterstützung nach und nach | |
| vordringen und Idlib ihrem Machtbereich wieder einverleiben. Die Türkei | |
| könnte sich langfristig bereit erklären, Teile der von ihr oder | |
| protürkischen Milizen kontrollierten Gebiete an das syrische Regime | |
| abzutreten – unter der Voraussetzung, dass türkische Interessen in den | |
| Kurdengebieten gewahrt bleiben. Einen eigenen Staat oder eine mächtige | |
| kurdische Selbstverwaltung an der Grenze zur Türkei will Ankara um jeden | |
| Preis verhindern. | |
| Auf ein solches Szenario weist auch ein Teil der Sotschi-Vereinbarung hin: | |
| Danach sollen strategische Verkehrsverbindungen in Idlib wieder geöffnet | |
| werden. Das sind vor allem die Autobahnen M4 und M5, die von der Regierung | |
| kontrollierte Gebiete miteinander verbinden. Die syrische Zeitung al-Watan | |
| berichtete am Dienstag über Details der Vereinbarung. Sie schrieb von einem | |
| Dreistufenplan, in dessen letzter Phase die Rückkehr syrischer | |
| Regierungsinstitutionen nach Idlib vorgesehen sei. | |
| Allen Ungewissheiten zum Trotz öffnen die Pläne ein Zeitfenster für weitere | |
| Diplomatie. Beobachter zeigten sich am Dienstag erleichtert über die | |
| Atempause für die Zivilisten in der Region. In dem Rebellengebiet leben | |
| rund drei Millionen Menschen. Die Hälfte von ihnen wurde aus anderen | |
| Gebieten Syriens nach Idlib vertrieben, darunter viele Frauen und Kinder, | |
| die in Flüchtlingslagern leben. | |
| 18 Sep 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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