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# taz.de -- Waldbesetzer in Hamburg: Baumhaus gegen Neubauten
> In Hamburg-Wilhelmsburg besetzen Aktivist*innen einen Baum, um auf die
> Bedrohung eines Waldstücks durch ein Neubaugebiet hinzuweisen.
Bild: Drei sind oben geblieben: Besetzer in einem Wald in Wilhelmsburg
Hamburg taz | Einer der Besetzer hängt so hoch in der Eiche, dass er im
dichten Blattwerk nur als schwarzer Fleck auszumachen ist. Sein Gesicht ist
mit einem schwarzen Tuch vermummt. Wenn er sich bewegt, schwingt der ganze
Ast mit – auf gut 20 Metern Höhe. Unter ihm, auf etwa acht Metern, liegt
ein provisorisch zusammengezimmertes Baumhaus, ein Podest aus Balken und
Brettern.
Seit Sonntag haben hier sechs Besetzer*innen ausgeharrt, um gegen [1][die
geplante Bebauung] dieses kleinen Waldstücks im Hamburger Stadtteil
Wilhelmsburg zu demonstrieren. Geplant sind 1.000 Wohnungen in dreieinhalb
Blöcken zwischen einem früheren, ziemlich verwunschenen Wirtschaftskanal,
dem „Ernst-August-Kanal“, und einem großen Hafenbecken, dem Spreehafen.
Die Blöcke sollen zu je einem Drittel aus Sozialwohnungen, freifinanzierten
Wohnungen und Eigentumswohnungen bestehen und sich zu einem 30 Meter
breiten grünen Band am Kanal öffnen. Ein neuer Platz am Wasser und eine
neue Brücke sollen die Verbindung zu bestehenden Quartieren herstellen, ein
Grillplatz und ein Waldspielplatz die Lebensqualität sichern.
Damit hat die mit dem Projekt beauftragte städtische Gesellschaft IBA aus
ihrer Sicht die Wünsche von Bürgern berücksichtigt, die mitgeplant haben.
Die Bürgerinitiative „[2][Waldretter Wilhelmsburg]“ ficht das nicht an. Sie
hatte am Sonntag zu einem Waldrettungsfest geladen, zu dem nach eigenen
Angaben 800 Leute kamen und das die sechs Aktivist*innen nutzten, um die
Eiche zu besetzen.
## Eine Sekunde für ein Bäumchen
Ungewollt hat ihre Aktion aber zunächst einmal einen kontraproduktiven
Effekt. „Es geht um jeden einzelnen Baum“, hatte einer der sechs
Besetzer*innen heruntergerufen. Im Wald um sie herum kreischen jedoch die
Kettensägen. Ast für Ast fällt, um dem großen Kranwagen der Bundespolizei
eine Schneise zu dem Baumhaus zu bahnen. Für ein junges Bäumchen braucht
der Beamte mit dem orangenen Helm nicht länger als eine Sekunde.
„Neubauten sind keine Alternative, wenn es Leerstand in der Stadt gibt“,
ruft ein Aktivist von der Plattform. Bevor ein solcher Wald zerstört werde,
sollten erst einmal alle Menschen ihre Zweit- oder Drittwohnungen aufgeben.
In Zeiten des Klimawandels und Insektensterbens dürften nicht noch mehr
grüne Flächen in der Stadt verloren gehen.
Das sieht auch der Umweltverband BUND so. Der Wald sei vor etwa 60 Jahren
als Pionierwald entstanden und habe sich weitgehend ungestört entwickelt.
„Das Gebiet geht mit einer hohen Artenvielfalt an Vögeln, Fledermäusen und
Insekten in die nächste Sukzessionsstufe eines artenreichen Mischwaldes “,
sagt Landessprecher Paul Schmid.
Doch dort, wo eben noch Natur wucherte, steht nun ein weißes Sprungkissen
der Feuerwehr. Mit dem Kran ziehen Polizist*innen vier ihrer Kollegen in
die Höhe, um die Gruppe, die sich selbst „[3][Wilde Gasse]“ nennt, aus dem
Baum zu holen. Die Aktivist*innen klettern ihnen, so gut es geht, auf
selbst gespannten Leinen, teilweise barfuß aus dem Weg.
Die Stimmung ist entspannt. Ein Polizeiboot tuckert vorbei. Ein paar
Unterstützer*innen haben sich auf einem Steg gegenüber versammelt, nachdem
die Polizei sie von dem Weg nahe des Baumhauses verscheucht hat, und
spielen Gitarre. Fünf Demonstrant*innen am Boden lassen sich wegtragen:
Routine auf beiden Seiten, keine Eskalation. „Bringt uns alkoholfreies Bier
mit, wenn ihr uns abholt“, ruft einer vom Baum.
Um Viertel nach vier schnappt sich Einsatzleiter Dirk Claussen ein Megaphon
und bittet die Aktivist*innen noch einmal, selbst herunterzukommen. Dann
werde die Polizei auch nicht ihre Personalien aufnehmen. Die Höhenretter
gleiten danach wieder an Seilen vom Baum. Die Polizei will jetzt unten
warten. Die drei verbliebenen Demonstranten wollen oben bleiben. Und sie
werten ihren Protest selbst als Erfolg: „Bis gestern kannte diesen Wald
kaum jemand.“
## Wald als Schutz
Aus Sicht der Initiative Waldretter Wilhelmsburg schützt der Wald das
südlich angrenzende dicht bebaute Gebiet vor Lärm und Schadstoffen sowie
vor den Folgen des Klimawandels. Daneben habe er eine wichtige soziale
Funktion als Erholungsort für die Menschen im Stadtteil. „Viele haben nicht
die Möglichkeit, in den Urlaub zu fahren“, sagt deren Sprecherin Sigrun
Clausen. Statt den Wald abzuholzen, sollten Senat und IBA ihr Versprechen
wahr machen, industrielle Brachen zu bebauen, und auf die großzügig
bemessenen Hafenflächen zugreifen.
Ein Streit eben darum verschärft sich wenige Kilometer weiter südlich im
Stadtteil Altenwerder. Dort will der rot-grüne Senat ein ähnliches, 45
Hektar großes Waldstück [4][für Hafenbetriebe plattmachen]. Hier gibt es
keine Anwohner*innen, sondern nur Industrie und Logistik – dafür aber
23.000 Bäume, sechs geschützte Fledermaus- und diverse Vogelarten, die zum
Teil auf der Roten Liste stehen.
Die Naturschutzverbände Nabu und BUND klagen gegen das Projekt, das sich
die Grünen von der SPD abverhandeln ließen, und das nach einem im Hafen
geltenden Sonderrecht durchgedrückt werden soll. Die zuständige
Bezirksversammlung Harburg hat sich einstimmig für die Erhaltung dieses
„Vollhöfner Waldes“ ausgesprochen.
Kürzlich hat sich zudem eine „Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald“
gegründet, die den Senat bei seinen eigenen Klimaschutzambitionen packen
will. Jeden Sonntag im September protestiert sie ab elf Uhr „friedlich,
aber bestimmt“ gegen die Vernichtung des Waldes – bis auf Weiteres mit
einem Spaziergang.
9 Sep 2019
## LINKS
[1] https://www.iba-hamburg.de/de/aktuell/siegerentwurf-f%C3%BCr-spreehafenvier…
[2] https://waldretter.de/
[3] https://twitter.com/wildegasse
[4] /Bezirksversammlung-fuer-Naturschutz/!5585130/
## AUTOREN
Andrea Maestro
Gernot Knödler
## TAGS
Wald
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