Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hamburger Verlag Marta Press: Eine Stimme für alle Lebensformen
> Von Mietmutterschaft bis Sexismus in der Popmusik: Jana Reich
> veröffentlicht in ihrem Verlag Marta Press gesellschaftskritische Bücher.
Bild: Hat mit Anfang 20 begonnen, feministische Literatur zu lesen: Jana Reich
Hamburg taz | Was passiert mit uns, wenn wir der Stimme eines Rock-Sängers
zuhören? Im Buch „Sound und Sexismus: Geschlecht im Klang populärer Musik“
ist L. J. Müller dieser Frage in kritischer Absicht nachgegangen und hat
unter anderem Kurt Cobains Song „Smells like Teen Spirit“ analysiert. Die
raspelnde Stimme des Nirvana-Sängers mit ihrer tiefen Klangfarbe
transportiere nicht nur eine poetische Sprache, deren Bedeutung wir in der
Regel verstehen können. Die Stimme drücke auch die männliche Sexualität
eines Musikers aus, dessen Aufnahmen ein Millionenpublikum erreichen.
Für Müller beginnen hier die Probleme: Schon in der Stimme der Popmusik
werde Geschlecht hergestellt, wobei dem oberflächlichen Zuhören entgehen
kann, dass die Geschlechter auch im Klang hierarchisiert werden. Denn
während sich Sexismus in Songtexten in wiedererkennbaren Sprachbildern und
Worten bemerkbar macht, ist das Geschlechtliche der musikalischen Form
nicht so einfach zu vernehmen.
Müllers Versuch einer feministischen, musiktheoretischen Kritik will genau
hier eingreifen: Ästhetische Konventionen benennen, die Geschlecht in der
Musik erklingen lassen. Auch um zu zeigen, welche alternativen Strategien
Sängerinnen benutzen, um auf diese musikalische Ästhetik zu reagieren.
Dafür wurde „Sound und Sexismus“ vor Kurzem mit dem Book Prize der
International Association for the Study of Popular Music ausgezeichnet.
Verlegt hat das Buch die Hamburgerin Jana Reich. In ihrem Verlag Marta
Press sind im Laufe der vergangenen sechs Jahre bereits 70 Bücher zu
feministischen Themen erschienen: zu Rechtsradikalismus und Antifeminismus,
psychischer Erkrankung oder Gewalt und Nationalsozialismus. Im Verlagsjahr
2019 veröffentlicht das kleine Team immerhin 17 Titel, darunter übersetzte
Texte zur Mietmutterschaft und eine internationale Lizenzproduktion zur
politischen Ökonomie des globalen Sexhandels.
Eine zentrale Rolle spielt auch eine Buchreihe für Kinder, die nicht in
einer zweigeschlechtlichen Heterofamilie aufwachsen oder selbst vielleicht
nicht nur Junge oder nur Mädchen sind. Einen solchen Fall erzählt etwa
Luzie Loda im ihrem Buch „PS: Es gibt Lieblingseis“. Die Einschulung des
sechsjährigen Bella – schon der Name weist auf eine geschlechtliche
Indifferenz hin – bringt für ihn* unerwartete Herausforderungen mit sich.
Intersexualität ist zwar oft Gegenstand wissenschaftlicher Texte, für
Kinder ist das Angebot auf dem Buchmarkt aber bislang mager – ganz entgegen
der rechten Parole eines um sich greifenden „Gender-Wahns“. Junge Menschen,
die für ihre gelebte Wirklichkeit keine gesellschaftliche Entsprechung
finden, bleiben im Zweifelsfall mit ihren Erlebnissen allein. „Es ist
einfach notwendig, dass sich alle Lebensformen in Büchern wiederfinden“,
findet dagegen Verlegerin Reich.
Kinder in ihrer Wahrnehmung zu stärken, damit sie lernen, sich Hilfe zu
holen, wenn ihnen etwas Bauchschmerzen macht, ist auch das Ziel der Bücher
von Clemens Fobian. Der Autor mehrerer Kinderbücher hat unter anderem ein
Buch zur Prävention von sexueller Gewalt an Jungen gemacht. Ein anderes
handelt davon, wie Kinder mit Geheimnissen umgehen können.
Das Anliegen, die Autonomie von Betroffenen von Gewalt und Diskriminierung
zu unterstützen, um späteren Verletzungen vorzubeugen, ist tief im Verlag
verwurzelt. Es findet sich auch in seinem Namen wieder: Jana Reich hat ihn
nach ihrer Großmutter Marta benannt, deren Leben sinnbildlich für die
beiden Pole im Verlagsprogramm stehe: Einerseits habe die 1896 in das
beschwerliche Landleben hineingeborene Marta Luther – Mutter von acht
Kindern, Zeugin zweier Weltkriege – zahlreiche traumatisierende Ereignisse
erleben müssen: Flucht und Vertreibung, den Verlust zweier Kinder und ihres
Mannes. Doch ihre Persönlichkeit sei auch von einer ausgesprochenen
psychischen Widerstandskraft geprägt gewesen, sagt Jana Reich.
Gegründet hat sie ihren Verlag im Jahr 2013, nachdem die Suche nach einer
passenden Veröffentlichungsmöglichkeit für ein Buchmanuskript an nicht
unwichtigen Detailfragen gescheitert war: Es sollte von Töchtern handeln,
deren Mütter auch aufgrund intergenerationeller Traumata am
Borderline-Syndrom erkrankt waren und ihrer Mutterrolle nicht gerecht
werden konnten, worunter die Töchter litten.
Etablierte Verlage waren zur Veröffentlichung der über 30 Interviews mit
betroffenen Töchtern aber nur unter der Bedingung bereit, dass die
einzelnen Geschichten positiv enden. „Das war der Haken, wo ich nicht
mitgehen wollte“, sagt Reich, „weil die Biografien eben doch nicht positiv
endeten.“
Das Buch „Übersehene Kinder“, an dem Jana Reich zusammen mit ihrem 2014
verstorbenen Mann Alexander Reich gearbeitet hat, ist dann eines der
erfolgreichsten Bücher des jungen Verlags geworden. Gerade weil es nicht
beschönigt, sondern ein gesellschaftliches Problem angeht. „Meine Intention
mit dem Verlag ist es, Multiplikatorin zu sein, also Menschen mit solchen
Erfahrungen zu ermöglichen, eine öffentliche Stimme zu bekommen“, sagt
Reich.
In die Wiege gelegt worden war Reich das Büchermachen nicht. In ihrem
bildungsfernen Elternhaus in der DDR habe man mit Büchern nicht viel
anfangen können, erzählt sie. Es habe zu Hause nur eine Handvoll davon
gegeben, und wenn sie von ihrem Taschengeld ein antiquarisches Buch gekauft
habe, habe sie es an den Eltern vorbeischmuggeln müssen.
Mit Anfang 20, mit der Wende, fing Reich an, feministische Literatur zu
lesen und die Bücher ihrer langsam wachsenden Privatbibliothek mit
Freundinnen zu teilen und zu diskutieren – wie in einem Salon, das war ihr
Jugendtraum.
Immer wieder habe der Verlag dabei mit den Bedingungen eines immer
schneller werdenden Buchmarktes umzugehen. Im feministischen Bereich gebe
es etwa einen Trend hin zu kurzlebigen 100-Seiten-Büchern, sagt Reich. Das
seien eher leicht verdauliche Statements als fundierte Arbeiten zu einem
Thema.
## Schnelllebige Zeit
Die Intensität und Qualität radikalfeministischer Texte aus den 1970er- und
1980er-Jahren erreichten diese biografisch gerahmten Texte nur selten, sagt
Reich. Wo ein Gedanke im sogenannten „Netzfeminismus“ heute oft ende, hätte
er im Radikalfeminismus erst richtig angefangen. „Das gehört vielleicht zu
dieser schnelllebigen Zeit, dass manche Ansichten einfach erst mal
postuliert werden“, glaubt Reich.
Was auf editorischer Ebene zur Herausforderung werden kann, hat in Bezug
auf die Produktion von Büchern aber auch willkommene Neuerungen gebracht.
Denn wie viele andere Verlage, lässt auch Marta Press Taschenbücher heute
schnell und flexibel on demand im Digitaldruck produzieren. Während früher
selbst eine kleine Auflage im Offset-Druck bedeutete, dass bis zum
Abverkauf mehrere Tausend Euro Kapital in Buchform gebunden waren, immer
mit der Möglichkeit, dass sie liegen bleiben, ist dieses Risiko durch die
neuen Produktionswege zunehmend verschwunden. Nur die aufwendig
illustrierten und mit einem Hardcover versehenen Kinderbücher werden noch
in klassischer Weise produziert.
## Schwierige Branche
Die großen Umstrukturierungen der Buchbranche haben für kleine Verlage aber
dennoch viele neue Probleme erzeugt, die auch Marta Press betreffen. Weil
es zum Geschäftsmodell der On-demand-Druckereien gehört, auch die
Auslieferung der Bücher zu übernehmen, entsteht eine Doppelstruktur mit
traditionellen Verlagsauslieferungen, über die viele Buchhandlungen auch
heute noch ihr Sortiment bestücken. Buchhandlungen ist es dann oft zu
kompliziert, einzelne Bücher über einen gesonderten Bezugsweg einzukaufen.
Auch die Insolvenz des Buchgroßhändlers KNV im Februar 2019 hat Lücken
hinterlassen.
Reich sieht hier auch die Kulturförderung in der Verantwortung. Kleine
Verlage, betont sie, leisteten eine wichtige kulturelle Basisarbeit, indem
sie junge Autorinnen und Autoren unterstützten, bevor diese bekannt würden
und sich bei namhafteren Verlagen bewerben könnten. Eine angemessene
Wertschätzung werde ihnen aber nicht zuteil, wünschenswert sei aber eine
gezielte Förderung dieser Sisyphusarbeit, nicht zuletzt, um sie
gesellschaftlich sichtbar zu machen.
Das Vorhaben der Hamburger Kulturbehörde, einen zweijährlichen Buchpreis
auszurufen, sei allerdings keine gute Lösung. Auch die im Frühjahr dieses
Jahres gegründete Interessengemeinschaft „Liste unabhängiger Verlage
Hamburg“ hat sich gegen einen solchen Konkurrenzmechanismus ausgesprochen,
der für kleine Verlage wenig Nutzen bringe. Dieses Wochenende präsentiert
sich die Liste auf der internationalen Messe für unabhängige Verlage
„Indiecon“ im Hamburger Oberhafen. Der Marta-Verlag ist dort dieses Jahr
aber nicht vertreten.
6 Sep 2019
## AUTOREN
Marinus Reuter
## TAGS
Feminismus
Intersexualität
Buch
Sexismus
Bücher
Verlagswesen
Neues Album
Verlagswesen
Subventionen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Deichkind: Inkontinente Kapitalismuskritik
Rap is over. Deichkind sind nun eine Saufband mit CEO, der die Themen des
neuen Albums, „Wer Sagt Denn Das?“ per Marktanalyse ermittelte.
Unabhängige Verlage: Bieder, aber verdient
Der Wagenbach-Verlag erhält im Deutschen Theater den ersten Berliner
Verlagspreis. Förderpreise bekommen die Verlage Reprodukt und Berliner
Verlagshaus.
Verlage in Deutschland: Bedrohte Spezies
Kleine Verleger kämpfen um ihre Existenz. Kann der Staat helfen? Eine
Geschichte über Leserschwund und leere Kassen in Zeiten der Buchmesse.
Verleger Gustav Mechlenburg: "Wir fühlen uns eher albern"
Der Textem-Verlag schillert zwischen Kultur, Gespenstern und schönen
Männern. Geld ist mit der Unternehmung bislang nicht zu verdienen, aber
Renommee.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.