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# taz.de -- Verleger Gustav Mechlenburg: "Wir fühlen uns eher albern"
> Der Textem-Verlag schillert zwischen Kultur, Gespenstern und schönen
> Männern. Geld ist mit der Unternehmung bislang nicht zu verdienen, aber
> Renommee.
Bild: "Man braucht all das nicht, was wir machen. Es gibt keine Notwendigkeit, …
taz: Herr Mechlenburg, Sie sehen müde aus.
Gustav Mechlenburg: Wir haben immer irgendetwas zu feiern.
Was war es gestern?
Eigentlich nur Schnitzelessen im „Vienna“, aber tatsächlich haben wir ein
bisschen gefeiert, weil Volker Renner sein Buch fertig hat, einen Bildband
zu Steven Shaw. Shaw war Fotograf und hat eine legendäre Tour durch Amerika
gemacht und Renner ist ihm hinterhergefahren und hat die selben Orte
nachfotografiert.
Das wird ein Textem-Buch? Man sagt doch „Textem“ mit langem zweiten „e“,
nicht wahr?
Die meisten sagen „Textem“, weil sie denken, es käme von Text. Aber es ist
ein langes „e“ wie bei Morphem und Phonem aus der Linguistik. Ich kann es
nicht so richtig gut erklären. Es ist in etwa eine Textbaueinheit eines
Satzes.
Viele Verlagsgründer sind doch unglaublich programmatisch bei ihrer
Namensgebung.
Nein, bei uns war es so, dass wir die Webseite, mit der es angefangen hat,
dietexte.de genannt haben. Da haben wir unsere eigenen Texte in
unredigierter und ungekürzter Version hineingestellt, weil wir natürlich
immer beleidigt waren als Autoren, wenn die Redaktionen zu viel darin
herumdokterten. Dummerweise gab es um die Ecke eine Firma, die „die Texte“
hieß. Deshalb musste ich mir relativ schnell einen neuen Namen einfallen
lassen und den habe ich aus dem Lexikon. Ich finde es ganz gut, dass es
eine Null-Aussage ist.
Manche kleinen Verlage wollen partout klein bleiben. Ist es für Textem
erstrebenswert, zu wachsen?
Der Nautilus-Verlag hat mit seiner Autorin Andrea Maria Schenkel richtig
Reibach gemacht und vorher jahrzehntelang von irgendwelchen Förderern oder
Ausbeutung gelebt. Mit dem zweiten Titel ging es natürlich nicht mehr so
gut, mit dem dritten war das ganz klar – aber sie mussten, weil die
Grossisten, Thalia, Libri et cetera sagten, wir nehmen den Titel nicht auf,
wenn ihr nicht so und so viel davon liefert. Das heißt, sie mussten eine
Menge produzieren, von der sie von vorneherein wussten, dass sie sich nicht
verkaufen würden. Zu solchen Sachen habe ich keine Lust. Von daher ist das,
was wir machen, die absolute Unabhängigkeit. Das es mit dem Geld hapert,
ist eine andere Frage. Elitär finde ich uns gar nicht, wir fühlen uns eher
albern.
Albern?
Es ist ein Überschuss-Projekt. Einige Freunde von mir, die eben nicht
Philosophie studiert haben, sind erschlagen allein aufgrund der Masse in so
einem Kultur & Gespenster-Heft. Ich sage dann immer: „Blätter’ doch
einfach, vielleicht bleibst du irgendwo hängen, etwa bei der
Reise-Strecke“. Dass wir es intellektuell nicht drunter machen wollen, ist
schon klar, aber das hat eher einen aufklärerischen Aspekt für uns, eine
Weiterbildungsmaßnahme für uns selbst. Wir lernen mit jeder Ausgabe dazu,
weil wir das vorher auch alles nicht wissen.
Was genau meinen Sie mit „drunter“?
Gucken Sie in die Welt und Sie sehen, dass so getan wird, als ob man
wüsste, wie dumm die Leser sind. Es wird alles kaputt redigiert, alle
Hürden des um-die-Ecke-Denken-Müssens kommen weg. Bei uns schreiben zum
Teil Autoren aus universitären Zusammenhängen – aber unsere Hoffnung ist,
dass sie nicht universitär schreiben.
Die Themen der Reihe Stimmungsatlas – von Angst bis Verkrampfung – wirken
im besten Sinne bunt. Suchen Sie gezielt oder kommen die zu Ihnen?
Man sieht hier ja schon einmal: zweimal A, einmal V, einmal N, dann kommt Z
wie Zeit, dann L wie Laune – man sieht daran schon, dass uns das Alphabet
nur als enzyklopädischer Aufhänger interessiert und weil es schön aussieht.
Gerade gestern habe ich Bilder geschickt bekommen aus dem Voo-Store in
Berlin, das ist ein Modeladen – da liegen die Bücher zwischen den
Klamotten. Das ist sowieso ganz interessant: Eine bestimmte Art von
Künstlerbüchern vermittelt sich eher über Boutiquen. Die Buchläden haben
meist keinen Platz für Kleinverlage, deshalb gibt es eher sonderbare
Boutiquen, wo auf einmal solche Titel liegen.
Gibt es Titel, die Ihnen besonders wichtig waren?
Den Roman „Vondenloh“ wollte ich unbedingt machen. Frank Witzel ist gar
nicht so unbekannt, er hat bei Nautilus schon einige Bücher herausgebracht.
Für ihn war es eher tragisch: Wir haben nichts verkauft.
Gar nichts?
20 Stück vielleicht. Da ging nichts, auch bei den Rezensenten nicht. Ich
habe überall Freunde, und wenn Volker Weidermann schreibt, der Chef des
Feuilletons der FAS, dann wird es sowieso gekauft. Aber bei diesem Buch
sagte er, er habe es nicht zu Ende lesen können, weil das Cover so hässlich
gewesen sei. Das ist natürlich total blöd: Das Cover war vom Autor selber
gezeichnet und passt wahnsinnig gut. Ich schenke es Ihnen, es ist eines
meiner Lieblingsbücher.
Noch einmal zum Albernen.
Man braucht all das nicht, was wir machen. Es gibt keine Notwendigkeit, es
zu besitzen oder zu lesen. Das heißt nicht, dass wir nicht Debatten
lostreten wollen oder können. Aber es ist nicht dieses Checker-Universum,
wo man alle fünf Minuten auf Spiegel Online gucken muss, was los ist. Wir
finden uns zwar aktuell, aber manchmal muss man schon um die Ecke denken,
um den aktuellen Bezug zu finden.
Um auf Ihren Brotjob zu kommen: Hat es einen Einfluss, dass Sie viel Zeit
als Korrektor von Wirtschaftstexten verbringen?
Diesen Job habe ich erst seit November. Ich war in allen Redaktionen: bei
der taz, beim Spiegel, bei Make Up, das ist eine Computerzeitschrift, bei
der Financial Times. Ich lese quer durch die Bank, auch Comics für Carlsen
und Reprodukt. Wirtschaft interessiert mich nach wie vor nicht die Bohne.
Man lernt auch in den Zeitschriften nichts darüber. Manager lesen darin,
dass andere Manager auch gerne essen gehen, und freuen sich.
Noch einmal zum Geld: Ist der Verlag als Liebhaberprojekt gedacht?
Gedacht ist es schon so, dass er sich selber trägt. Aber das hat bislang
nicht funktioniert. Obwohl Kultur & Gespenster so gut in der Presse ankommt
und eigentlich ganz gut gekauft wird, hat es sich nie auf Null gerechnet –
nur die erste Ausgabe, die Schwarz-Weiß gedruckt war.
Wie lösen Sie das?
Bislang war das mein Geld, dann hatte ich länger keines, dann haben meine
Kollegen Nora und Jan die Stimmungsatlas-Reihe mitfinanziert. Ansonsten
sind viele Titel, die wir gerne drucken würden, noch in der Schublade.
Wie ist die Stimmung?
Für die Autoren übernehmen wir die seelische Betreuung. Wir selber freuen
uns, wenn etwas geht. Wenn nicht, dann nicht. Natürlich regt man sich ein
bisschen über die Buchhändler auf, sie sind unglaublich schnarchnasig.
Klar, sie haben wenig Platz für die Auslagen, aber man hat natürlich
gehofft, dass sie den Stimmungsatlas cool finden und neben die Kasse legen.
Aber es ist auch unsere eigene Schuld.
Inwiefern?
Der Mairisch-Verlag zum Beispiel ist viel straighter. Die haben ein viel
klareres Außenbild, eine klarere Idee von den Lesern. Aber wir haben auch
genau daran Spaß, dass wir nicht in eine Schiene passen, wir haben Leser
von 80 bis 15 Jahren und das ist zugleich unsere Freiheit. Das Modemagazin
Der schöne Mann ist uns auch so zugeflogen. Jetzt haben wir erst einmal die
Tragik, dass Spiegel Online darüber berichtet hat, die Bestellungen
schwappen herein und wir haben keine Exemplare mehr.
Indiskret gefragt: Wenn Sie und Kollegen den Verlag finanzieren, gehören
Sie der glücklichen Erbengeneration an?
Überhaupt nicht. Ich kriege als Korrektor für zehn Tage etwa 2.000 Euro,
1.000 brauche ich für meine Wohnung in Berlin und Hamburg, plus Handy – der
Rest geht in den Verlag. Andere von uns haben noch weniger.
Wie gut lässt sich der Verlag sozusagen nebenbei organisieren?
Ich muss täglich Mails beantworten und die Bestellungen weiterleiten, das
mache ich nebenbei oder nachts. Die richtige Arbeit kommt akut zustande.
Gerade ist Pause, die nächste Ausgabe von Kultur & Gespenster ist im Druck
und ich habe nur einen Stapel E-Mails zu beantworten, wo ich Manuskripte
ablehne. Da muss ich mir etwas Nettes ausdenken, damit die Leute nicht
enttäuscht sind und sich wieder melden. Viele Autoren schicken manchmal
Scheiß, aber das heißt nicht, dass sie es immer tun.
Die Kunst der schönen Absage.
Manchmal ist es nur ein Halbsatz, dass der Text nicht ins Programm passt.
Aber wenn ich merke, da ist Potenzial, versuche ich zwei oder drei Sätze.
Das kann ich aber nur zu ganz bestimmten mentalen Zeiten, dann haue ich 20
Absagen in einer halben Stunde heraus, aber vorher winde ich mich und kann
überhaupt nicht rangehen.
Denkt Textem über E-Books oder Apps nach?
Magazine sind so scheißgeil. Hier bei Gruner + Jahr sowieso.
Ich dachte, jeder will ein Buch schreiben.
Magazinmacher sind noch cooler. Jeder will das und dann kommen so Sachen
wie Beef und Business Punk und Dogs heraus. Aber zu den Magazinen: Das
funktioniert durch das Haptische. Und das Abgeschlossene hat man im
Internet eben nicht. Die komische App-Philosophie hat ja auch etwas mit
einer absichtlichen Verknappung zu tun. Das, was man einmal im offenen
Internet hatte, wird reduziert. Ich bin nicht gegen moderne Medien, es muss
nur passen, selbst die Fußnoten hier sind nicht so einfach.
18 Mar 2012
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Feminismus
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veröffentlicht in ihrem Verlag Marta Press gesellschaftskritische Bücher.
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