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# taz.de -- Independent-Filme aus Nigeria: Science-Fiction statt Drama
> In Kaduna in Nigeria hat eine Gruppe Filmemacher*innen gerade gewaltigen
> Erfolg. Und das ganz ohne teure Ausrüstung.
Bild: Victor Josiah hält die szenischen Proben fest. Teures Equipment braucht …
Godwin Josiah klingt so routiniert, als gäbe er seit Jahren andauernd
Interviews über seine Leidenschaft – das Filmen. Nur einmal hört er für
einen kurzen Moment auf zu reden und denkt an das, was in den vergangenen
zwei Wochen alles geschehen ist. Von einem Tag auf den anderen sind er und
seine acht Freunde – sie sind alle miteinander verwandt und Cousinen,
Cousins und Geschwister – auf der [1][Filmplattform YouTube] zu Stars
geworden.
Die Critics Company, wie sich die Kinder und Jugendlichen zwischen 5 und 19
Jahren nennen, erhält jeden Tag tausende neue Abonnenten, und ihr bisher
längster Film [2][„Z: The Beginning“] ist von Sonntag auf Montag mehr als
25.000-mal angesehen worden. Wenn dieser Text erscheint, werden es an die
200.000 Klicks sein.
Die Kommentare darunter sind überwältigend. „Diese Jungen werden den
nigerianischen Filmmarkt für immer verändern“ schreibt ein Nutzer. Ein
anderer findet: „Es braucht Talent und Kreativität, um einen Film zu
machen, und nicht Geld und Ausrüstung.“ Wieder jemand lobt das riesige
Improvisationstalent. Alle großen nigerianischen Zeitungen haben über sie
berichtet. Auch Nasir El-Rufai, Gouverneur des Bundesstaates Kaduna im
Norden Nigerias, hat sie zu einem Empfang eingeladen. Das Treffen ist von
Fotografen begleitet worden, was dafür gesorgt hat, dass längst Menschen,
die sich weder für Science-Fiction noch für YouTube interessieren, von
ihnen gehört haben.
„Es ist ziemlich aufregend, dass uns so viele Menschen da draußen kennen.
Damit hatten wir nie gerechnet“, sagt Godwin, der älteste in der Critics
Company. Mit den übrigen Mitgliedern sitzt er im Wohnzimmer seiner Eltern,
die jungen Filmemacher erinnern den Rummel der vergangenen Tage. Godwin
gibt zu: „Wir hatten wirklich schlaflose Nächte.“
## Nollywood macht zu viel Drama
Dabei hatten sie anfangs vor allem ein Ziel: Nachdem sie selbst unzählige
Produktionen – meist aus Hollywood – gesehen und diskutiert hatten, wollten
sie Filme machen, die ihnen gefallen und die es in Nigeria noch nicht gibt:
Science-Fiction mit unvorhersehbaren Wendungen, viel Action, ungewöhnlichen
Einstellungen und mit am Computer ergänzten Spezialeffekten.
[3][Nigerias Filmindustrie Nollywood] ist längst – nach Bollywood in Indien
– die zweitgrößte weltweit und ein wichtiger Zweig in Afrikas größter
Volkswirtschaft. Das Unternehmen PricewaterhouseCoopers schätzt, dass im
Jahr 2016 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Nollywood
erwirtschaftet wurden. Mitunter ist sogar von bis zu 5 Prozent die Rede.
Die Critics Company beeindruckt das jedoch nicht. „Wir müssen ein neues
Genre schaffen, anstatt nur Nollywood zu kopieren“, findet der 15-jährige
Victor Josiah. Seine Kritik lautet: Nollywood ist viel zu vorhersehbar „und
immer nur Drama“.
Auch wenn die Produktionen seit 1992, als der erste Nollywood-Film „Living
in Bondage“ erschien, viel aufwändiger, teurer und professioneller geworden
sind, sind die Geschichten meist gleich geblieben. Es gibt eine böse und
eine gute Figur. Letztere ist zum Schluss siegreich. Steht ein Bösewicht im
Mittelpunkt, dann ist der am Ende geläutert. Gern tauchen auch Geister
aller Art auf, die für mächtig Angst sorgen. Bei den Kannywood-Streifen –
so heißen die Filme, die rund um die nordnigerianische Wirtschaftsmetropole
Kano in der Sprache Haussa produziert werden – ist es nicht anders. „Die
Zuschauer kennen das Ende schon, wenn der Film anfängt“, sagt Godwin.
Die kurzen Filme der Critics folgen keiner Regel. Gemeinsam haben sie, dass
sie im Süden der Stadt Kaduna gedreht worden sind. Die Straßen sind
staubige Wege, Plastiktüten liegen an den Rändern oder werden vom Wind
aufgeweht. Ständig sind halbfertige Häuser aus bräunlichen oder gräulichen
Steinen, ein paar Mauern und verdorrte Grasbüschel zu sehen.
## Keiner braucht die Filmschule
Die Innenaufnahmen sind in Wohnzimmern und Küchen ihrer Eltern entstanden
und die Requisiten das, was ohnehin dort steht. Ausgerechnet in diesen
nordnigerianischen Alltagsszenen tauchen plötzlich am Computer entworfene
Gebäude auf, die es vielleicht in Zukunft einmal geben wird, oder die
jungen Schauspieler*innen finden sich in hochmodernen Räumen wieder. Dort
drücken sie auf Tasten herum und wirken angespannt und getrieben. Ohnehin
wird viel gerannt und gekämpft.
Die Dialoge fallen indes spärlich aus. Doch die wenigen Worte sagen genug.
In manchen Szenen reicht schon die ebenfalls spärlich eingesetzte Mimik.
Die Clips bringen das auf den Bildschirm, was die Gruppe motiviert und
antreibt. „Wir möchten uns ausprobieren und lernen“, sagt Godwin, „selbst
wenn Dinge nicht klappen, spornt es an, es beim nächsten Mal besser zu
machen.“
Gelernt hätten er und die anderen in den vergangenen sieben Jahren extrem
viel. „Unsere ersten Versuche waren so schlecht, dass wir sie schnell
wieder gelöscht haben“, gibt er zu. „Zuerst wollten wir Comedy machen,
fanden uns aber nicht einmal selbst witzig. Es hat auch nicht funktioniert,
ein witzige Drama zu drehen“, erinnert sich Victor. Als sie im vergangenen
Jahr mit der Arbeit an dem gut zehnminütigen Film „Z: The Beginning“
begannen, hätten sie nicht einmal die Hälfte von dem gekonnt, was sie
letztendlich umsetzen konnten.
Dafür haben sie weder eine Filmschule besucht, noch Kurse belegt.
Beigebracht haben sie sich das Filmen, Produzieren, Schreiben der
Drehbücher und Einfügen von Spezialeffekten mithilfe von
YouTube-Tutorials. „Angeschaut haben wir uns diese nachts, weil dann das
Datenvolumen für das Internet günstiger ist“, sagt Raymond Yusuff (17).
Wenn es denn Strom gab. Zu Ausfällen kommt es jeden Tag in Nigeria, und
meist weiß niemand, wie lange es braucht, bis er zurückkommt.
Dieselgeneratoren können sich Millionen von Menschen nicht leisten.
## Equipment ist nicht alles
Immerhin, die Akkus ihrer Kameras ziehen wenig Batterie. Für den ersten
Film hat die Critics Company ein altes Nokia-Handy genutzt. Heute filmen
sie mit einem Smartphone von Tecno, dessen Display längst zersprungen ist.
Zugleich zeigt es: Neues und teures Equipment ist nicht alles. Als Stativ
für ein Mikrofon und das Filmen von langen Einstellungen ließ sich
kurzerhand ein Selfie-Stick umbauen.
„Im Internet Zubehör kaufen und es nach Kaduna schicken lassen?“ Godwin
schüttelt den Kopf: „Wir haben alles selbst gebaut, weshalb wir auch keine
Ausgaben hatten.“ Damit widerspricht er auch der Einstellung, die viele
Gleichaltrige im Land hätten. Es gebe zwar großes Potenzial. „Junge
Menschen haben aber die Vorstellung, dass sie nur mit etwas anfangen
können, wenn sie hundertprozentig ausgestattet sind. Sie glauben nicht
daran, dass sie schon etwas mit dem, was sie haben, schaffen werden.“
Dafür eignet sich YouTube als Vertriebsweg. Der Kanal ist allen zugänglich
und macht unabhängig vom Willen und den Entscheidungen der großen Firmen.
Gleichzeitig können weltweit Zuschauer*innen erreicht werden.
In Nigeria, wo nach Einschätzung der Kommunikationskommission NCC heute
mehr als 111 der rund 200 Millionen Einwohner das Internet nutzen, sind
soziale Medien wie YouTube, Facebook und Twitter ohnehin extrem beliebt.
Godwin Josiah hat an der Universität von Kaduna ein Chemiestudium
aufgenommen, ist aber sicher: Er möchte sein Leben lang Filme machen – über
Afrika und besonders Nigeria. „Es gibt so viel, was noch nicht erzählt
wurde. Geht es um Afrika, dann denkt man immer nur an den Niedergang. Dabei
lassen sich die ganzen Erfolgsgeschichten gut mit Science-Fiction
erzählen.“
30 Aug 2019
## LINKS
[1] /Filmemacher-im-Internet/!5270153
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Z4dfVgFsjQc
[3] /Netflix-wird-internationaler/!5561034
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Youtube
Nigeria
Film
Nollywood
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Oscars
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Netflix
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