Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berichterstattung über Afghanistan: Nur tote Soldaten zählen
> Afghanistan hätte mehr mediale Aufmerksamkeit verdient. Zwei langjährige
> ARD-Korrespondenten reflektieren über das öffentliche Bild des Krieges.
Bild: Bundeswehrsoldaten 2013 auf dem Aufmarschplatz in Kundus. Wie soll man ü…
Wer das Klischeebild eines zur Selbstkritik nicht sonderlich befähigten
Politikers bestätigt haben will, ist beim früheren
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung an der richtigen Adresse. „Ich
kann mir eigentlich keine Fehler vorwerfen“, sagt der CDU-Politiker in der
vom NDR produzierten Podcast-Serie „Killed in Action – Deutschland im
Krieg“.
Jung war 2009 vom frisch angetretenen Job des Arbeitsministers
[1][zurückgetreten] – weil es kurz zuvor in seine politische Verantwortung
als Verteidigungsminister gefallen war, dass die Bundeswehr unzureichend
über den verheerenden Angriff auf zwei Tanklaster im afghanischen Kundus
informiert hatte. Und warum dann der Rücktritt?, fragt Kai Küstner, einer
der beiden Autoren des Podcasts. „Das war damals ein solcher Medienhype“,
entgegnet Jung. Es sei darum gegangen, „die Bundeswehr ein bisschen aus der
Schusslinie zu nehmen“.
Mit seinem NDR-Kollegen Christoph Heinzle wirft Küstner im Podcast den
Blick auf zwei Ereignisse, die nach ihrer Auffassung das öffentliche Bild
des Afghanistaneinsatzes grundlegend verändert haben. Neben dem Angriff auf
die Tanklaster in Kundus, der sich im September zum zehnten Mal jährt und
gerade Gegenstand einer Klage ist, die ein afghanischer Bürger beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hat, ist dies das
[2][Karfreitagsgefecht] von 2010, das „schwerste Gefecht der Bundeswehr
seit ihrem Bestehen“ (Küstner).
Herausgekommen ist eine Podcast-Serie mit sechs Folgen. Außerdem gibt es
vier Serienfolgen fürs lineare Radio und zwei Einzelsendungen. Christoph
Heinzle, Hörfunkkorrespondent der ARD in Afghanistan von 2003 bis 2008, und
Küstner, direkt danach sein Nachfolger, entwickeln ihre Geschichte in einem
grob strukturierten, relativ freien Gespräch, in das sie Interview-O-Töne
einfließen lassen – neben Jung kommen auch andere
Ex-Verteidigungsminister*innen (Karl-Theodor zu Guttenberg, Ursula
von der Leyen) und drei ins Karfreitagsgefecht involvierte Soldaten zu
Wort.
Besonders instruktiv ist die im Podcast formulierte Kritik an der
Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Sachen Afghanistaneinsatz. Von 2005
bis 2009 habe Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort Afghanistan im Plenum
des Bundestags nur einmal benutzt, kritisiert Omid Nouripour, der
außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen. 2009 habe sie
es dann auf einer Sondersitzung wegen der Kundus-Affäre tun müssen.
„Ausblenden und ausweichen“ – das sei vorher Merkels Motto gewesen.
Das wirft die Frage auf, ob Journalisten genug getan haben, um dieser
Strategie entgegenzuwirken. Die Korrespondenten vor Ort hätten aus
Gesprächen mit Soldaten gewusst, dass die Situation viel dramatischer war,
als die Bundesregierung es darstellte, sagt Heinzle. „Wir Journalisten
haben versucht, das zu transportieren, aber was davon letztlich in der
Öffentlichkeit ankommt, ist eine andere Frage.“
2014 endete der Einsatz der International Security Assistance Force (Isaf),
an dem die Bundeswehr beteiligt war, seitdem sind die Deutschen als
Ausbilder für die afghanische Armee tätig. „Wenn wir früher über die
Gefährlichkeit der Lage berichtet haben, bezog sich das auf die
Bundeswehr“, sagt Heinzle. Da sich die deutschen Soldaten in ihrer Funktion
als Ausbilder heute überwiegend in Lagern aufhalten, ist das Risiko
geringer als zu Kampfeinsatzzeiten. Dafür hat sich die Gesamtsituation
verschlechtert. Im ersten Halbjahr 2019 wurden nach Angaben der UN 1.200
Zivilist*innen getötet. Kam der Abzug der Isaf zu früh? Küstner sagt: „Ohne
dass das wie Selbstlob klingen soll: Es ist so gekommen, wie wir
Korrespondenten das prognostiziert haben.“
Vor allem aufgrund der Rolle der Bundeswehr sei Afghanistan lange stärker
im medialen Blickfeld gewesen „als der Irak, Syrien und andere
Konfliktherde“, meint Heinzle. „Wenn ein deutscher Soldat getötet wurde,
war es für uns die anstrengendste Zeit, da waren wir ständig auf Sendung“,
sagt Küstner. Solche „Aufhänger“ fehlten heute, ergänzt Heinzle.
Dabei wäre eine größere mediale Aufmerksamkeit angebracht. Es sei
erschreckend, wie viel Terrain die Taliban zurückerobert hätten, sagt
Küstner. Im Juli waren es – jedenfalls laut deren eigenen Angaben – 70
Prozent des Landes.
30 Aug 2019
## LINKS
[1] /Jung-tritt-zurueck/!5151840
[2] /taz-Recherche-zu-rechtem-Netzwerk/!5587013
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
Medien
Podcast-Guide
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
USA
Afghanistaneinsatz
Afghanistankrieg
Schwerpunkt Afghanistan
Bundeswehreinsatz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Islamistischer Einfluss in Afghanistan: Kundus ist Taliban-Land
Einst hatte die Bundeswehr ihr Feldlager in der nordafghanischen Provinz.
In der Hochburg der Taliban ist der Staat auf dem Rückzug.
Verhandlungen der USA mit den Taliban: Frieden ohne Waffenruhe?
Das Abkommen der USA mit den afghanischen Taliban verzögert sich und könnte
in letzter Minute doch noch scheitern.
Krieg in Afghanistan: Taliban-Großangriff auf Kundus
Die Gespräche zwischen den USA und den Taliban stehen kurz vor dem
Durchbruch. Ungeachtet dessen greifen die Taliban Kundus im Norden
Afghanistans an.
Krieg in Afganistan: 63 Tote bei Anschlag auf Hochzeit
In Afghanistan sind zahlreiche Menschen bei einem Selbstmordattentat
getötet worden. Die Taliban bestreiten, daran beteiligt zu sein.
EuGH-Urteil zu Afghanistan-Leaks: Kein Vertuschen
Die Bundesregierung klagte gegen die Veröffentlichung von
Afghanistan-Berichten. Der EuGH findet: Nur bei kreativer Leistung gilt das
Urheberrecht.
Bundeswehr in Afghanistan: Gefährlicher Einsatz
Eine Erhebung unter SoldatInnen nährt Zweifel am Sinn des
Afghanistan-Einsatzes. Nur die Hälfte der Befragten hält das Engagement für
zielführend.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.