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# taz.de -- Großbritannien und der Brexit: Der clevere Schachzug des Boris J.
> Das britische Unterhaus wird lahmgelegt. Ein Austritt des britischen
> Königreichs aus der EU ohne Deal scheint unausweichlich. Oder?
Bild: Die Abgeordneten sollen nach Boris Johnsons Wunsch erstmal nicht zusammen…
Berlin taz | Das hatte sich die Queen womöglich anders vorgestellt. Am
Mittwoch schauten nämlich nicht nur die Klatschgazetten des Königreichs
darauf, was aus ihrer Sommerresidenz Balmoral Castle in den schottischen
Highlands dringen würde, sondern auch das politische Großbritannien. Der
britische Premierminister Boris Johnson hatte bei Staatsoberhaupt Königin
Elisabeth [1][eine vorübergehende Schließung des Parlaments beantragt] und
damit vor allem die Opposition heftigst erzürnt. Nach dem Willen des
Konservativen Johnson sollen die Abgeordneten ab Mitte September vier
Wochen nicht tagen.
Die Sommerpause des britischen Parlaments dauert bis Dienstag. Danach
finden im September traditionell die Jahresparteitage statt. So weit alles
ganz normal – doch die regierenden Tories, die ihre Sitzung als letzte
Partei abhalten, tagen nur bis zum 2. Oktober. Geht es nach dem Premier,
kommen die Abgeordneten aber erst 12 Tage später wieder zusammen.
Dabei ist die Zeit denkbar knapp: Am 31. Oktober verlässt das Vereinigte
Königreich dann die Europäische Union – so wie es derzeit aussieht, ohne
ein Abkommen. Einen solchen No-Deal-Brexit will die Opposition im
britischen Unterhaus verhindern – doch bei einer so langen Pause hätten sie
kaum mehr Zeit, den Brexit ohne Scheidungsvertrag per Gesetz abzuwehren.
Das, so zürnen vor allem die GegnerInnen eines No-Deal-Brexits, ist [2][die
Motivation von Johnsons Vertagungsplan].
Als „Frevel an der Verfassung“ bezeichnete den Vorgang Parlamentspräsident
John Bercow. Er wurde offenbar von dem Vorgang im Urlaub überrascht und
teilte mit: „Wie auch immer man es verpackt, es ist ganz offensichtlich,
dass die Absicht hinter einer Sitzungsunterbrechung zu diesem Zeitpunkt
wäre, das Parlament von einer Brexit-Debatte […] abzuhalten.“
## Johnsons Rechtfertigung
Der Premier verwehrte sich gegen eine solche Interpretation. Nach Johnsons
Dafürhalten ist die Vertagung nötig, um die Präsentation eines neuen
Regierungsprogramms vorzubereiten. „Wir warten nicht auf den 31. Oktober,
um mit unseren Plänen weiterzumachen, dieses Land voranzubringen“, sagte
der Regierungschef am Mittwoch vor JournalistInnen. In einer Thronrede
werde die Königin am 14. Oktober das „sehr aufregende Programm“ der
Regierung darlegen. Die Queen’s Speech ist die traditionelle Ansprache, mit
der die Sitzungsperiode des britischen Parlaments eröffnet wird. Danach
hätten die Abgeordneten genug Zeit, vor dem EU-Gipfel am 17. und 18.
Oktober über das Programm der Regierung und die Brexit-Pläne zu
debattieren, so Johnson.
Ungewöhnlich ist nicht, dass das Parlament überhaupt auf Anraten des
Regierungschefs zeitweise geschlossen wird – die Abgeordneten im Unterhaus
müssen einer solchen Schließung nicht zustimmen. Außerdem ist sie in
Großbritannien auch sonst üblich, bevor ein neues Regierungsprogramm
vorgestellt wird. „Prorogation“ heißt dieser Vorgang, der eigentlich eine
Formalie ist: Die Regierung empfiehlt die Vertagung, das Staatsoberhaupt
willigt in der Regel ein.
Doch die Situation ist heikel – und die Länge der geplanten Pause höchst
ungewöhnlich: Seit den 1980ern dauerten solche Vertagungen selten länger
als zwei Wochen, sie waren eher kürzer.
Die nordirische Unionisten-Partei DUP, ohne die Johnson keine Mehrheit im
Parlament hätte, stellte sich am Mittwoch auf die Seite des Premiers. Auch
Tory-Generalsekretär James Cleverly verteidigte Johnsons Schritt auf
Twitter als Routine. Die Regierung setze eine Thronrede an – „genau wie es
alle neuen Regierungen tun“.
## „Zutiefst undemokratisch“
Doch das wird Johnsons GegnerInnen nicht beruhigen. Der frühere
Schatzkanzler Philip Hammond von Johnsons Tory-Partei [3][twitterte], es
sei eine Schande, wenn den Abgeordneten im Unterhaus die Möglichkeit
genommen werde, die Regierung in einer nationalen Krise zur Verantwortung
zu ziehen: „Zutiefst undemokratisch.“
Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei warf Johnson vor,
sein Vorgehen sei eine „Bedrohung für unsere Demokratie“. Labour wolle
parteiübergreifend daran arbeiten, „die Regierung zur Verantwortung zu
ziehen und einen desaströsen No-Deal zu verhindern“. Erst am Vortag hatten
sich die führenden Mitglieder der Oppositionsparteien nach eigenen Angaben
auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, um einen EU-Austritt ohne Abkommen
abzuwenden. Medienberichten zufolge hatte Corbyn am Mittwoch selbst mit der
Bitte um ein Gespräch an Königin Elisabeth geschrieben. „Die Gefahr
besteht, dass das königliche Vorrecht den Wünschen einer Mehrheit im
Unterhaus direkt entgegensteht“, zitierte ein BBC-Korrespondent aus dem
Brief. War der Vorgang schon vorher äußerst heikel für die Königin, zog sie
der Oppositionsführer spätestens damit direkt in die politische Debatte.
Doch Corbyn kam offenbar zu spät: Nach Medienangaben hatte die Königin sich
da bereits mit dem Kronrat beraten. Am späten Nachmittag kam die offizielle
Bestätigung: Königin Elisabeth stimmte den Plänen für eine verlängerte
Sitzungspause zu.
Eine Option für die No-Deal-Brexit-GegnerInnen wäre grundsätzlich noch ein
Misstrauensvotum – doch dazu bräuchte es die Unterstützung von Rebellen der
konservativen Tory-Partei sowie eine geschlossen agierende Opposition.
Selbst wenn Johnson gestürzt würde, könnte er aber theoretisch einen
No-Deal-Brexit Wirklichkeit werden lassen: Den Wahltermin legt der
scheidende Premierminister fest, möglich wäre also ein Datum bereits nach
dem EU-Austritt am 31. Oktober.
Das wissen auch Johnsons GegnerInnen, wie etwa die schottische
Regierungschefin Nicola Sturgeon (SNP). Gerüchte, die Regierung plane mit
einem solchen Wahltermin, kommentierte sie auf [4][Twitter] mit den Worten:
„Leg los. Haben Sie den Mut zu Ihren Überzeugungen, Boris Johnson. Setzen
Sie jetzt eine Wahl an – mit Wahltermin vor dem 31. Oktober – und lassen
Sie die Menschen abstimmen. Oder sind Sie bange?“
28 Aug 2019
## LINKS
[1] /Brexit-und-das-britische-Unterhaus/!5619066
[2] /Boris-Johnsons-Plaene-fuer-das-Parlament/!5619118
[3] https://twitter.com/PhilipHammondUK/status/1166648143334780928
[4] https://twitter.com/NicolaSturgeon/status/1166653903015989248
## AUTOREN
Eva Oer
## TAGS
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