# taz.de -- Waldbrände in Brasilien: Endlich Feuer unterm Arsch | |
> Brasiliens Präsident Bolsonaro gerät mit seiner umstrittenen | |
> Umweltpolitik immer mehr unter Druck. Sogar die Agrarlobby rückt von ihm | |
> ab. | |
Bild: Ein Demonstrant zündet in São Paulo eine Landkarte Brasiliens an | |
SALVADOR DA BAHIA taz | Zunächst hatte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro | |
das Angebot noch abgelehnt. 20 Millionen Euro hatten die G7-Staaten in | |
Aussicht gestellt, um die brennenden Amazonaswälder zu löschen. Doch Jair | |
Bolsonaro vermutete Hintergedanken bei der internationalen Großzügigkeit. | |
Am Dienstag konnte er sich in einem Interview mit der Tageszeitung Folha de | |
São Paulo nicht mehr daran erinnern: „Das habe ich gesagt?“, fragte er und | |
schob hinterher: „Erst soll er [Macron] seine Worte zurücknehmen, dann sein | |
Angebot machen und darauf antworte ich dann“, diktierte er seine | |
Bedingungen. Macron hatte den Brasilianer*innen zuvor öffentlich einen | |
Präsidenten gewünscht, „der dem Amt auch gewachsen ist“. Daraufhin hatte | |
Bolsonaro einen beleidigenden Facebook-Post über Macrons Gattin Brigitte | |
gelikt. Auf die Frage der Journalisten, ob er sich auch bei der Première | |
dame entschuldigen wolle, brach er das Interview brüsk ab. | |
[1][Soweit die diplomatischen Verwerfungen]. Brasilien selbst befindet sich | |
derzeit aus anderen Gründen im Schockzustand: Rauchwolken, die vergangene | |
Woche aus dem Amazonasbecken bis nach São Paulo gezogen waren und dort am | |
helllichten Tag die Sonne verdunkelt hatten, [2][Satellitenaufnahmen von | |
Tausenden von Feuersbrünsten in mehreren Bundesstaaten], Hilferufe der | |
Indigenen, deren Lebensraum in Flammen aufgeht. | |
Am vergangenen Wochenende gingen in São Paulo, Rio de Janeiro, Brasilia und | |
anderen Großstädten Tausende gegen die Regierung und für die Rettung der | |
Wälder auf die Straße. Dieses Mal sprachen nicht nur bekannte | |
Oppositionelle wie der Sänger Caetano Veloso sich gegen Bolsonaros | |
Umweltignoranz aus, der noch im Juni verkündet hatte, Umweltschutz | |
interessiere doch nur Veganer. Kritik kam auch von konservativen | |
Politikern. | |
João Doria, Gouverneur von São Paulo von der gemäßigt rechten | |
Sozialdemokratischen Partei (PSDB), [3][hatte Bolsonaro noch vor der | |
Stichwahl unterstützt]. Jetzt rückt er von ihm ab: „Ich habe in London von | |
europäischen Investoren harte Kritik an der brasilianischen Umweltpolitik | |
gehört. Radikalismus ist kein guter Weg!“ Er und seine Partei stünden | |
stattdessen für Ausgewogenheit. Doria riet dem Präsidenten, sich dem Dialog | |
zu öffnen. | |
Politischer Dialog ist nichts, womit Bolsonaro sich auskennt. Er zieht es | |
vor, einfache Lösungen anzubieten. Amazonien hatte er als Goldgrube | |
gepriesen, die das Land aus der Krise führen sollte, würde sie nur radikal | |
wirtschaftlich erschlossen. Konsequent hatte er etwa das Budget des | |
Umweltbundesamts Ibama um fast die Hälfte gekürzt und verkündet, die | |
Indigenen wollten nicht wie Tiere im Zoo, sondern in der Stadt mit Zugang | |
zu Internet und Zahnarzt leben. Bergbauunternehmen sollten in indigenen | |
Gebieten operieren dürfen und Schutzgebiete nach Belieben verkauft werden. | |
Holzhändler, Goldgräber und Großfarmer verstanden die Signale – und das | |
Institut für Weltraumforschung (Inpe) verzeichnete erhöhte | |
Waldrodungsquoten. Der Präsident tat die unbequemen Zahlen als Fälschung | |
ab. Den Leiter des international anerkannten Instituts entließ er. Doch | |
Bolsonaro hatte nicht mit den internationalen Märkten gerechnet, die längst | |
mit Umweltstandards operieren. Die Aktien von Fleischproduzenten fielen in | |
Folge der Brände ebenso wie die Landeswährung: Rindfleisch von | |
Rodungsflächen ist kein Exportschlager. | |
Die Wirtschaftseinbußen missfallen der Agrarlobby, die den Präsidenten | |
bislang unterstützt hat. Blair Maggi, einer der größten Sojaproduzenten der | |
Welt, warnte im Interview mit der Finanzzeitschrift Valor Económico: „Das | |
brasilianische Agrobusiness hat über Jahre daran gearbeitet, erfolgreich | |
Produktion und Umweltschutz zu vereinen, und damit das Vertrauen der Märkte | |
gewonnen – die Rhetorik von Bolsonaro kann uns auf den Nullpunkt | |
zurückwerfen und das Inkrafttreten des Handelsabkommens zwischen EU und | |
Merosul um Jahre verzögern.“ Marcello Brito, Vorsitzender der | |
Brasilianischen Vereinigung des Agrobusiness (ABA), hält es nur für eine | |
Frage der Zeit, bis Brasilien Ziel internationaler Boykotts wird. | |
## Militäreinsatz gegen Waldbrände | |
Derzeit zeigen Brasiliens TV-Sender, wie Freiwillige, Militärs und | |
Feuerwehrleute gemeinsam gegen die Flammen vorgehen. Laut Minister Salles | |
befinden sich 44.000 Militärs ständig im Amazonasgebiet und können zu | |
Löscharbeiten eingesetzt werden. | |
Die eben noch amputierten Umweltinstitute Ibama und ICMBio sollen ebenfalls | |
Hilfe leisten. Finanzminister Paulo Guedes hat Geld für Rettungsmaßnahmen | |
freigegeben. Zwei Löschflugzeuge und ein Hubschrauber sind im Einsatz. Am | |
Dienstag wollte sich der Staatschef mit den neun Regierungschefs der | |
Amazonasstaaten treffen, um die Lage zu besprechen. | |
Sein Umweltminister Ricardo Salles wurde derweil bei einem Auftritt bei | |
einer Unesco-Veranstaltung zum Klimawandel im brasilianischen Bundesstaat | |
Bahia vom Publikum so nachhaltig ausgebuht, dass er nur wenige Minuten | |
sprechen konnte. Sogar seine Partei distanzierte sich öffentlich von ihm | |
und verkündete, sie habe mit seinen Entscheidungen und Handlungen nichts zu | |
tun. | |
Eine Meinungsumfrage des Instituts MDA ergab, dass 39,5 Prozent der | |
Befragten die Regierungspolitik für schlecht oder sehr schlecht halten – im | |
Februar waren es noch 19 Prozent. Der Präsident behauptet, er sorge sich | |
nicht um seine Wiederwahl. Er ziehe es vor, vier Jahre lang eine gute | |
Regierung zu machen, als acht Jahre eine schlechte. | |
27 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christine Wollowski | |
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