# taz.de -- Einsatz in einer Flüchtlingsunterkunft: Polizist erschießt Geflü… | |
> In Stade tötet ein Polizeibeamter einen 19-Jährigen. Der Flüchtlingsrat | |
> kritisiert, dass die Beamten besser hätten vorbereitet sein müssen. | |
Bild: Nur im Notfall zu verwenden: die Polizeiwaffe | |
Ein Polizeibeamter hat am Samstag in einer Flüchtlingsunterkunft in | |
Stade-Bützfleth einen 19-jährigen Afghanen erschossen. Nun ermittelt die | |
Staatsanwaltschaft Stade die genauen Umstände. Dabei werde man „ein | |
besonderes Augenmerk darauf richten, ob der Polizeibeamte in Notwehr | |
gehandelt hat“. Die Beamten waren per Notruf wegen eines Streits zwischen | |
zwei Personen gerufen worden. | |
Der Anrufer, so erklärt der Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft, Kai | |
Breas, habe gesagt, er habe Angst vor seinem Mitbewohner, dem späteren | |
Opfer der Schüsse. Da der 19-Jährige bereits polizeibekannt war, seien zwei | |
Streifenwagen gekommen. Vor Ort habe es zu diesem Zeitpunkt „keinen | |
körperlichen Streit“ gegeben. Der 19-Jährige sei nicht ansprechbar gewesen. | |
Die Beamten hätten zunächst Pfefferspray eingesetzt. Da dies keine Wirkung | |
zeigte und der 19-Jährige die Polizisten mit einer Hantelstange aus Eisen | |
attackiert habe, habe einer der Beamten auf ihn geschossen. Das Opfer starb | |
trotz Notarzteinsatzes wenig später. | |
Laut Staatsanwaltschaft war der Mann nicht vorbestraft. Ein Verfahren wegen | |
Nachstellung sei wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Auffällig sei er | |
geworden, da er mit einem Messer bewaffnet durch die Stadt gelaufen sei und | |
gegen einen LKW getreten habe. Weitere Angaben will Breas mit Verweis auf | |
das laufende Verfahren, das vermutlich „mehrere Monate“ dauern werde, nicht | |
machen. Zu Informationen, dass der Erschossene psychisch krank gewesen sei, | |
will er sich nicht äußern. | |
## Kritik am Vorgehen der Polizei | |
Dies hatte der Ortsbürgermeister von Stade-Bützfleth, Sönke Hartlef (CDU), | |
gegenüber dem [1][Stader Tageblatt] geäußert. Der 19-Jährige sei „eine | |
ganze Zeit neben der Spur“ gewesen. Zuletzt habe er sich aber unauffällig | |
verhalten. Laut Stader Tageblatt war er wegen psychischer Probleme in | |
stationärer Behandlung gewesen, sei aber medikamentös eingestellt wieder | |
entlassen worden. Eine Ausbildung zum Tischler, die er an den | |
Berufsbildenden Schulen in Stade begonnen hatte, habe er wegen psychischer | |
Probleme abgebrochen. | |
Stades Bürgermeisterin Silvia Nieber (SPD) erklärte in einer | |
Pressemitteilung, dass aus datenschutzrechtlichen Gründen „keine Auskünfte | |
zur persönlichen Situation des Betroffenen gegeben“ würden. „Wir sind alle | |
tief betroffen von den Geschehnissen am Wochenende.“ Die fünf weiteren | |
Bewohner der Unterkunft würden intensiv betreut, um die schwierige | |
Situation für sie zu erleichtern. | |
Inzwischen regt sich Kritik am Vorgehen der Polizei. „Wenn die Polizei | |
vorab über die Problematik informiert war, kann es eigentlich nicht | |
überraschend sein, dass der Mann nicht angemessen reagiert“, sagt Kai Weber | |
vom [2][niedersächsischen Flüchtlingsrat]. „Auf solche Reaktionen muss die | |
Polizei gefasst sein.“ Auch der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes, der zu | |
Polizeigewalt forscht, hinterfragt das Vorgehen der Beamten. Ein Angriff | |
mit einer Hantelstange sei „ganz klar kein Grund, zur Waffe zu greifen“, da | |
man ihr ausweichen könne. Bereits die Tatsache, dass der 19-Jährige nicht | |
auf den Einsatz des Pfeffersprays reagiert habe, sei ein klarer Hinweis, | |
dass man eine Problemperson vor sich habe. | |
Dem Impuls der Beamten, ein Problem sofort lösen zu wollen, könne man nur | |
durch kontinuierliches Training entgegenwirken. Dafür sei aber auch „eine | |
politische Linie“ der Führungsebene, sich in solchen Situationen stärker | |
zurückzuhalten, notwendig. Bei einem Einsatz wie in Stade sei es sinnvoll, | |
abzuwarten, einen Psychologen einzuschalten und gegebenenfalls das | |
Spezialeinsatzkommando, das Mittel habe, die Situation aufzulösen, ohne | |
sich und andere zu gefährden. | |
Für Feltes ist der Umgang der Polizei mit psychisch Erkrankten ein | |
drängendes Problem. Die Zahl der in Deutschland von der Polizei | |
Erschossenen schwankt von 2009 bis 2017 zwischen sechs und 13 pro Jahr – | |
davon war die Hälfte psychisch krank. Feltes erwartet, dass sich das | |
Problem durch den Zuzug traumatisierter Flüchtlinge verschärfen wird, denn | |
deren Versorgung sei unzureichend. | |
Das niedersächsische Innenministerium verweist auf diverse Fortbildungen. | |
Der Umgang mit psychisch erkrankten Personen sei Bestandteil des Studiums | |
an der Polizeiakademie Niedersachsen. Zudem gebe es eine – freiwillige – | |
Fortbildung für DienststellenleiterInnen, es sei auch Thema bei zwei | |
obligatorischen Fortbildungen von PolizeitrainerInnen. Erkundigt man sich | |
beim [3][Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen], ist die | |
Antwort ambivalent: Das Fortbildungsangebot stoße bei vereinzelten | |
Polizeidirektionen auf großes Interesse – in der Breite sehe man aber keine | |
Notwendigkeit, sagt die therapeutische Leiterin des Netzwerks, Frauke | |
Baller. | |
19 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tageblatt.de/lokales/blaulicht_artikel,-Toedliche-Schuesse-in-St… | |
[2] https://www.nds-fluerat.org/ueber-uns/der-fluechtlingsrat/ | |
[3] https://www.ntfn.de/ntfn-info/kontakt/ | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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