# taz.de -- Peaches-Ausstellung in Hamburg: Kommunismus der Körperöffnungen | |
> Sextoys begehren auf: Die Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ läuft im | |
> Kunstverein Hamburg. | |
Bild: Plastik oder Fleisch, what's the difference? | |
HAMBURG taz | Nicht die schlechteste Frage, „Warum sollte man einer | |
Musikerin so eine Ausstellung ausrichten?“, stellte am Freitagabend Bettina | |
Steinbrügge, die Direktorin des Hamburger Kunstvereins, in den brechend | |
vollen Raum. [1][Dort ist nun „Whose Jizz Is This?“ zu sehen], die erste | |
institutionelle Einzelausstellung der kanadischen Wahlberlinerin Peaches. | |
Wobei: Zu sehen gibt es da einiges, aber auch zu hören. Von einem | |
„immersiven“ Konzept ist die Rede, ein „dekonstruiertes Musical“ der | |
Anspruch; und so gibt es eben auch skulpturale und musikalische Elemente, | |
Roboter und einen Springbrunnen. | |
Um besagte Frage nicht aus dem Blick zu verlieren: Ausdrücklich keine | |
Retrospektive soll die Sache sein, auch wenn sich dieser Tage 20 | |
Bühnenjahre zelebrieren ließen, und Peaches [2][dem Hamburger Abendblatt | |
von einem „riesigen Archiv“ erzählte]; Material also hätte es gegeben. | |
Aber: kein Ausruhen auf vergangenen Verdiensten, den mitreißenden | |
Elektropunk-Hymnen wider Geschlechterstereotype und immer gleiches | |
Rollenspiel etwa. Oder all den glücklich, verschwitzt und auch ein klein | |
wenig verunsichert in all die Nächte entlassenen Konzertbesucher*innen, | |
seit sie im Jahr 2000 mit dem Album „The Teaches of Peaches“ erstmals | |
Ärsche in Bewegung zu bringen suchte. | |
Eine Emanzipationsgeschichte will Peaches erzählen, in der eben doch wieder | |
vieles von dem aufscheint, was die Menschen von ihr kennengelernt haben | |
können in den vergangenen 20 Jahren: Sexspielzeuge sind’s, „double | |
masturbators“, die sich da befreien; denen es nicht mehr reicht, Mittel zum | |
Zweck zu sein, begrapscht und benutzt zu werden und am Ende schamhaft | |
verwahrt in schmuddeligen Abseiten. In 14 „Szenen“ ist ihr Weg in Szene | |
gesetzt, ein Weg von passiv zu aktiv, vom sex toy zum „Fleshie. Oder | |
genauer: vom Einzelnen zum Kollektiv, den „Fleshies“, so nennen sich in | |
frischem Selbstbewusstsein die befreiten Silikonobjekte. | |
Sie finden einander, realisieren: Es gibt noch mehr wie mich!, gründen eine | |
Gemeinschaft, wollen „no longer be a receiver“ sein, so sagt es ein | |
animiertes Fleshie in Szene 7, einer Art Selbsthilfegruppensitzung; | |
beanspruchen, Intimität teilen zu dürfen „with whomever I please“. Am Ende | |
wird ein großes, lüsternes Durcheinander stehen: Aus den vereinzelten | |
Ersatzdienstleister*innen wird „Fleshie Island“, ein gigeresker | |
Gispsabguss, eine Zusammenklumpung einschlägiger Körperteile: „Kollektives | |
Bewusstsein, keine Form bleibt bestehen“, schreibt Peaches dazu im | |
erklärenden Faltblatt, „die neue Fantasie“. | |
## Besucher werden nicht Teil der Orgie | |
Komplemetär zum Aktivwerden der einen gibt es, in Szene 9, auch eine sich | |
ändernde Rolle für das Publikum: Auf Schaumstoffpolstern liegend, können da | |
von der Decke herab projizierte kaleidoskopisch ineinandermorphende | |
fragmentierte Körperteile angesehen werden; die Besucher*innen werden | |
ausdrücklich zu Zuschauer*innen, sind nicht Teil dieser „Orgie“, sondern | |
nur ihre Zeug*innen, – ausdrücklich „in a passive state“, so das Faltbla… | |
: Das von den Fleshies ausgerufene „#Fuckhumans“ bekommt so, vielleicht, | |
einen doppelten Sinn: Die, die sonst ficken, müssen lernen, sich ficken zu | |
lassen. | |
Dass sich nicht jede Station so ohne Weiteres entschlüsseln lässt, dass die | |
Geschichte sich am wirksamsten dort vermittelt, wo Peaches das Mittel der | |
Sprache wählt, des Textes: man kann das als Schwäche identifizieren, aber | |
man muss nicht. Denn wie zwingend, wie verbindlich ist eigentlich die | |
vielleicht beabsichtigte Erzählung? So wie es mehr als eine Art Begehren | |
gibt, so gibt es auch mehr als eine Weise, diese 14 Szenen mit Sinn zu | |
erfüllen. Zwar legen die Künstlerin und ihre Entourage eine, sagen wir: | |
empfohlene Reihenfolge vor, in der die 14 Szenen abzuschreiten seien. Auch | |
lenken Licht und Ton – also: wird beleuchtet oder nicht, die Musik lauter | |
oder leiser gedreht – die Aufmerksamkeit. Aber die vielen Facetten von | |
Peaches in eine für sie neue Form zu übersetzen, nämlichdie der | |
„Ausstellung“, das heißt auch für die Künstlerin selbst, Kontrolle | |
abzugeben. Von einer Konzertbühne aus bestimmt sie die Setlist, also die | |
Dramaturgie eines Abends. hier tut sie das nicht genauso. | |
Dabei bedient sich die Ausstellungsarchitektur erkennbar aus dem Fundus der | |
Musik- und Konzertindustrie: Bühnenelemente und Transportkisten, | |
Scheinwerfer, Nebelmaschinen und ein Laser verweisen mal mehr, mal weniger | |
ausdrücklich auf diesen nunmehr seit 20 Jahren bespielten, genutzten und | |
subvertierten Raum. | |
Dass das Sextoy da draußen, in der realen Welt nicht zuletzt herhalten muss | |
als ein Ersatz, der Gummimund aber so viel schlechter ja auch nicht sei als | |
der einer am Oralsex nicht sonderlich interessierten Partnerin, davon | |
erzählt gleich beim Betreten des Ausstellungsraums ein Video: einer dieser | |
enorm beliebten Auspack- und Ausprobierfilme, mit denen es YouTuber*innen | |
schon zu Wohlstand geschafft haben sollen – dieses oder ein sehr ähnliches | |
Video war die Keimzelle des ganzen Konzepts, so ist zu erfahren. | |
Gesetzt, es herrscht nicht Andrang wie zur Eröffnung: Gerade mit ein wenig | |
Zeit besucht, kann diese Ausstellung Gedankenfunken zum Sprühen bringen. | |
Wer das ein wenig gelenkter bevorzugt, linearer sozusagen, für den ist | |
vielleicht die andere Hamburger Peaches-Premiere etwas: Am Donnerstag | |
bringt die örtliche Kulturfabrik Kampnagel erstmals das „futuristische | |
Bühnenhappening“ namens „There’s Only One Peach With The Hole In The | |
Middle“ zur Aufführung. Das ist, noch einmal zurück zur Eingangsfrage, | |
nämlich auch ein Teil der Antwort. Im bereits vierten Jahr kooperiert der | |
Kunstverein mit dem [3][Kampnagel-Sommerfestival], das ebenfalls vergangene | |
Woche eröffnet hat. Dort ist Peaches gleich noch für eine Reihe Clubnächte | |
und Konzerte verantwortlich. | |
Bis 20. Oktober, Hamburg, Kunstverein | |
11 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kunstverein.de/ausstellungen/vorschau/whose-jizz-is-this | |
[2] https://www.abendblatt.de/kultur-live/article226704349/Gestatten-Peaches-ve… | |
[3] http://www.kampnagel.de/en/sommerfestival/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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