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# taz.de -- Systeme zur Personenidentifizierung: Wir wissen, wie und wo du schl…
> Das Herz ist fleißig – und jedes ist ein Unikat. Für seine Daten
> interessieren sich Technologiekonzerne und das Pentagon.
Bild: Tödliche Automatisierung: Erkennen Drohnen ihre Ziele bald an deren indi…
Berlin taz | Ein paar Milliarden Mal schlägt das Herz im Lauf des Lebens
eines Menschen. Wie die Atmung ist der Herzschlag selbstverständliche
Präsenz. Nur bei Infarktanbahnung, schwerer körperlicher Anstrengung,
Verliebtheit und anderen Malaisen wird er bewusster registriert. Vom
Sinusknoten, dem Taktgeber am Herzen, ausgehende elektrische Impulse halten
den Laden am Laufen, bis vielleicht ein Schrittmacher diese Aufgabe
übernehmen muss oder gleich der Exitus erfolgt. Soweit aber noch vorhanden,
können Töne und elektrische Aktivität des Herzens gemessen und grafisch
dargestellt werden. Die meisten haben schon einmal ein Elektrokardiogramm
angeschaut. Das Wellenbild jedes beliebigen Herzens mag für das laienhafte
Auge recht ähnlich aussehen, tatsächlich jedoch ist es individuell zunächst
einmal so unverwechselbar wie etwa ein Fingerabdruck.
Diese Eigenschaften unseres zentralen Organs – eindeutige Zuordenbarkeit,
relativ einfache Messbarkeit und im Regelfall permanente Verfügbarkeit –
machen den Herzschlag seit einigen Jahren zur interessanten Kenngröße
digitaler Identifizierung. Mit dem Aufkommen der Wearables – also
vernetzter Computer, die am Körper getragen werden, vor allem Smartwatches
oder Fitnessarmbänder – haben Technologieunternehmen und -forscher*innen
unser Herz im Blick. In Konkurrenz, gegebenenfalls in Ergänzung zu
[1][Gesichtserkennung], Iris- und Fingerabdruckscans könnte der Herzschlag
biometrischer Ersatz für Passwörter oder Personaldokumente sein.
Auch für polizeiliche Überwachung sind technologische Hilfen bei der
Identifizierung von Menschen weltweit von allergrößtem Interesse. Die hohen
Fehlerquoten, sogenannte false positives, sind dabei das größte Hindernis
für den großflächigen Einsatz.
Die ersten US-amerikanischen Städte [2][verbieten] inzwischen den Einsatz
der Gesichtserkennung im Polizeialltag, nicht nur wegen ethischer Bedenken,
sondern auch wegen der Unzuverlässigkeit der verfügbaren Systeme. Durch die
Verbindung mehrerer Technologien jedoch kann die Zahl der
Fehlidentifizierungen deutlich gesenkt werden. Es braucht nicht viel
Fantasie, sich die chinesische Entwicklung zur Erkennung von Menschen an
ihrem [3][Gang], kombiniert mit automatischer Gesichtserkennung und
vielleicht einer kontaktlosen Herztonmessung, vorzustellen. Mit jeder
weiteren eingesetzten Technologie wird das Ergebnis eindeutiger, das
Restrisiko einer falschen Identifizierung geringer.
## Auch das Pentagon mischt mit
Das Geschäftsfeld auf dem Markt der Biometrie ist nicht zuletzt wegen des
Sicherheitskomplexes riesig; und so ist es nicht verwunderlich, dass alle
mitverdienen wollen. Die großen Technologiekonzerne, von Microsoft über
Facebook bis hin zu Apple, haben im vergangenen Jahrzehnt nicht zufällig
praktisch sämtliche erfolgversprechenden Start-ups auf dem Gebiet der
Gesichtserkennung aufgekauft und entwickeln immer neue Anwendungen, die
Messung und Marktwert des Herzrhythmus austesten.
Wie bei jeder technischen Nutzung von Körpermerkmalen ist auch hier deren
Speicherung und Verarbeitung durch Dritte nötig. Das können industrielle
und staatliche Player sein, deren Sicherheitsvorkehrungen für
Nutzer*innen kaum überprüfbar sind. Wer im Wissen darum ruhig Blut
bewahrt, darf nicht vergessen, dass jede Technologie noch Wege findet, sich
in fragwürdige Richtungen zu entwickeln. Gerade erst erklärte das Pentagon,
dass in seinem Auftrag das System [4][Jetson] entwickelt worden sei, das
ohne Körperkontakt den Herzschlag messen und zuordnen könne. Mit einem
Laser werde die vom Herzen verursachte Bewegung des Brustkorbes
aufgezeichnet und so ein für die Identifizierung eines Menschen hinreichend
genaues Abbild generiert. Jetson arbeite zuverlässig bis auf 200 Meter
Entfernung, vorausgesetzt, die anvisierte Person sei nicht zu dick
gekleidet, etwa in einen Wintermantel.
Die technischen Details lässt das US-Verteidigungsministerium nicht
zufällig im Dunkeln. Über die genaue Funktionsweise von Jetson kann also
nur spekuliert werden, wie auch Christian Arns, Sprecher der
Universitätsmedizin in Greifswald, bestätigt.
In der dortigen Kardiologie wird es für absolut möglich gehalten, „dass der
Laser mittels Laservibrometrie den Herzschlag mit allen seinen Komponenten
und deren Übertragung an die Körperoberfläche misst und letztlich die
einzelnen Wellen im Sinne eines zweidimensionalen ‚Herzprints‘ dargestellt�…
werden können. An der Praktikabilität beim bisherigen Entwicklungsstand
sind jedoch Zweifel angebracht. Die Beschränkungen erscheinen – noch –
recht stark. Dass die Zielperson 30 Sekunden lang in Ruhestellung
abgetastet werden muss und nur dünn gekleidet sein darf, ist im Einsatz
wohl eher hinderlich. Eine Verbesserung der Technologie wird, gerade mit
der für militärische Innovation üblichen massiven materiellen Förderung,
aber nur eine Frage der Zeit sein.
## Keine Blumensträuße
Eine weitere, technologisch schwer auszugleichende Schwäche des Systems
wird die Veränderlichkeit der kardialen Signatur sein. Inwieweit eine
absichtliche, temporäre Tarnung möglich ist, werden, wie schon bei anderen
Entwicklungen aus der Biometrie, gegebenfalls Hacker*innen prüfen. Dass
beispielsweise Fingerabdruck- und Irisscanner getäuscht werden können, ist
wiederholt nachgewiesen worden. Christian Arns verweist aber auch auf
ungewollt auftretende physiologische Variablen wie Probleme an den
Herzklappen, die den Pulsausschlag und sogar die Richtung des Blutflusses
durch die Klappen so stark beeinflussen können, dass die Messung zwar immer
noch ein individuelles Muster aufweisen mag, das aber nicht mehr unbedingt
einem früher in Datenbanken gespeicherten entspricht.
Die kontaktlose Messung der kardialen Signatur ist aber auch jenseits der
Identifizierung von Individuen durchaus interessant. In Greifswald kann man
sich Einsätze in Notfallsituationen im Rettungswagen vorstellen genauso
wie in Autos, die so die Fahrtüchtigkeit der Person am Lenkrad im Blick
behalten könnten. Die entsprechende Forschung steckt zumindest in
Deutschland noch in einer frühen Entwicklungsphase. Hier wird weniger auf
Laser, sondern beispielsweise auf Magnetfeldmessungen gesetzt.
Wenn nun aber das US-Verteidigungsministerium Interesse an einer
Technologie zur möglichst eindeutigen Identifizierung von Einzelpersonen
zeigt, dann nicht, um Blumensträuße zu verschicken. Der gewaltigen
militärischen Überlegenheit der US-Truppen bei ihren Einsätzen haben in den
vergangenen Jahrzehnten deren Gegner zunehmend Guerillataktiken und
terroristische Manöver entgegengesetzt.
Kurz gesagt, amerikanisches Militär begegnet inzwischen eher selten durch
Uniformen und Hoheitsabzeichen deutlich gekennzeichneten Gegnern auf einem
offenen Schlachtfeld. Eine asymmetrische Kriegsführung, also überraschende
Angriffe aus dem Hinterhalt mit Selbstmordanschlägen und
Autobombenattentaten auf die Repräsentant*innen der Großmacht, wird
dagegen häufiger. Die ausführenden und kommandierenden Individuen zu
erkennen und, bevor sie zur Tat schreiten, ausschalten zu können, und das
im Zweifelsfall weit außerhalb der unmittelbaren Einflusszone, ist so zu
einer wesentlichen Herausforderung geworden.
## Ein neues Mittel im Drohnenkrieg?
Der [5][Drohnenkrieg] ist das bekannteste Beispiel für den
Paradigmenwechsel des US-Militärs. Menschenrechtsorganisationen wie das
European Center for Constitutionial and Human Rights (ECCHR) halten diesen
prinzipiell für völkerrechtswidrig. Unter anderem sieht das ECCHR in
Drohnenattacken eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte, weil
„Personen angegriffen werden, deren Status vorher nicht hinreichend geprüft
wurde“. – Auftritt Jetson. Stellen wir uns ein solches Gerät in Drohnen
oder sogar gänzlich autonomen Waffensystemen vor, wird die
Einsatzperspektive biometrischer Identifizierung offensichtlich.
Waffen, die ohne menschliche Einflussnahme, rein algorithmisch gesteuert,
Entscheidungen über Leben und Tod treffen, tun dies auf Grundlage
sensorischer Informationen die mit „erlernten“ Mustern verglichen werden.
Ein vermeintlich eindeutig, zum Beispiel durch eine Kombination aus
automatischer Gesichtserkennung und Herzschlag identifiziertes Ziel, das in
Datenbanken als „Feind“ oder generell „Gefahr“ geführt wird, ist
unmittelbar, gnadenlos und ohne Bedenken zum Abschuss freigegeben.
Diese vorausgesetzte Eindeutigkeit der Identifizierung wird letztlich aber
immer nur ein Näherungswert sein. Die Debatte, wer dann die Verantwortung
für die Restunsicherheit übernimmt, ob sie nun 20 oder 0,2 Prozent beträgt,
wird wohl kaum mehr als eine akademische sein; und für die vermeintlich
legitimen „Ziele“ und sogenannten Kollateralschäden – beide dann ohne
messbaren Herzschlag – keinen Unterschied mehr machen.
10 Aug 2019
## LINKS
[1] /Gesichtserkennung-in-England/!5602459
[2] https://www.techdirt.com/articles/20190721/09211542624/oakland-california-w…
[3] https://www.apnews.com/bf75dd1c26c947b7826d270a16e2658a
[4] https://www.technologyreview.com/s/613891/the-pentagon-has-a-laser-that-can…
[5] /Konflikt-in-der-Strasse-von-Hormus/!5612577
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Militär
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