| # taz.de -- Klausurtagung der Grünen-Fraktion: „Bündnis90 spielt eine groß… | |
| > Die Grünen-Abgeordneten fahren nach Prag: Fraktionschefin Antje Kapek | |
| > über den Parteinamen, ein 365-Euro-Parkticket und Umfrage-Ergebnisse. | |
| Bild: Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek bei einer Rede im Abgeordnetenhaus | |
| taz: Frau Kapek, die Grünen-Fraktion ist ab diesem Donnerstag zur Klausur | |
| in Prag – wieso ist es Ihnen wichtig, als Erstes die Botschaft zu besuchen, | |
| wo das Ende der DDR seinen Anfang nahm? | |
| Antje Kapek: Für eine Partei, die „Bündnis 90/Die Grünen“ heißt, hat das | |
| Thema Mauerfall eine noch größere Bedeutung als für viele andere Parteien. | |
| Der Kampf für mehr Bürgerrechte, Freiheit und Demokratie ist Teil unserer | |
| DNA. Vor 30 Jahren sind Menschen auf die Straße gegangen, um die Teilung | |
| Deutschlands in Ost und West zu überwinden, und auch heute tun wir alles, | |
| damit unsere Gesellschaft unteilbar bleibt. Wir haben 1989 den Beginn einer | |
| emanzipatorischen Bewegung erlebt, und die Grünen sind nun eine Partei, der | |
| jede Form von emanzipatorischer Bewegung wichtig ist. | |
| Jetzt haben Sie aber gerade selbst bloß „die Grünen“ gesagt und nicht „… | |
| Bündnisgrünen oder „Bündnis 90/Die Grünen“ – so wie es auch die taz u… | |
| fast alle Medien tun. Ist es nicht an der Zeit, den Parteinamen der | |
| Realität anzupassen und ihn auch offiziell auf „Die Grünen“ zu | |
| konzentrieren? | |
| Der Mensch an sich neigt ja dazu, Abkürzungen zu benutzen, gerade in der | |
| Politik – da sprechen wir ja vom Asog statt vom Allgemeinen Sicherheits- | |
| und Ordnungsgesetz. | |
| Das ist ja wegen der Länge auch sinnig. | |
| Bei uns ist das auch alles andere als unsinnig: „Bündnis 90“ spielt nicht | |
| nur sprachlich eine große Rolle. Das zeigt sich auch in unserer | |
| Regierungspolitik in der rot-rot-grünen Koalition: angefangen bei der | |
| Frage, was aus dem Ex-Polizeigefängnis in der Keibelstraße wird, bis zu dem | |
| Plan, das frühere Stasi-Hauptquartier in einen Campus der Demokratie | |
| umzubauen. Und als wir zu Beginn der Legislaturperiode eine Debatte über | |
| die Stasi-Vergangenheit von Andrej Holm hatten, der ja kurze Zeit | |
| Staatssekretär für die Linkspartei war, hat das in der ganzen grünen Partei | |
| intensive Diskussionen ausgelöst. | |
| Nach der jüngsten Umfrage erreichen die Berliner Grünen immer noch 25 | |
| Prozent, stagnieren aber. Auf Bundesebene hat Ihre Partei bei drei | |
| Umfrageinstituten seit Juni sogar schon mehrere Prozentpunkte verloren. | |
| Haben Sie Ihren Zenit überschritten? | |
| Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich bin doch keine Demoskopin. Das klingt | |
| mir auch zu negativ. Schließlich liegen wir doch seit fast einem Jahr auf | |
| Rekordhöhe, weit über unserem Wahlergebnis von 2016. | |
| Nicht ganz, der Höhepunkt war im Juni mit 26 Prozent. | |
| Umfrageergebnisse sind doch immer volatil. Seit einem Jahr schneiden wir | |
| sehr gut ab, aber Umfragen sind keine Wahlergebnisse, sondern ein bloßes | |
| Stimmungsbarometer: Gute Ergebnisse sorgen für gute Laune, nicht so gute | |
| für schlechte. Mehr ist da nicht. | |
| Trotz Stagnation würde es ja immer noch dicke reichen, um die Regierende | |
| Bürgermeisterin zu stellen. Senatorin Ramona Pop, 2016 Spitzenkandidatin, | |
| hat uns dazu im Mai gesagt, sie setze sich nicht irgendwelche Krönchen auf. | |
| Sie sind als Fraktionschefin ja automatisch auch Anwärterin auf den Posten | |
| der Regierungschefin – was sagen Sie? | |
| Ich freue mich erst mal darüber, dass es bei den Grünen im Landesverband | |
| eine Spitzenfrau neben der anderen gibt. Wir haben damit ein echtes | |
| Alleinstellungsmerkmal – wir sind hier die einzige Partei, die von | |
| Spitzenfrauen geführt wird. | |
| Da lassen Sie jetzt den Werner Graf außen vor, der ja immerhin Co-Chef | |
| Ihrer Landesvorsitzenden Nina Stahr ist. | |
| Werner ist auch spitze! Aber mal ehrlich, in keiner anderen Partei in | |
| Berlin sind so viele Frauen in Spitzenpositionen, wie bei Bündnis 90/Die | |
| Grünen. Da können sich die anderen wirklich was bei uns abgucken: Die Zeit | |
| ist reif für mehr Weiblichkeit – aber die Entwicklung etwa bei der CDU ist | |
| rückläufig. | |
| Aber auch nur im Berliner Landesverband – das Foto jüngst mit Merkel, | |
| Kramp-Karrenbauer und von der Leyen, den drei CDU-Frauen in höchsten | |
| Posten, dürfte eines der Bilder des Jahres 2019 sein. | |
| In Berlin ist das nicht so. Da melden sich stattdessen Spitzenfrauen aus | |
| der CDU bei mir, dass wir das Paritätsgesetz mit Vorgaben für | |
| Kandidatenlisten vorantreiben sollen, damit es schon für die nächste | |
| Abgeordnetenhauswahl gilt. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich verstehe ja, | |
| dass Sie Frau Pop und mich nach unseren Ambitionen fragen müssen angesichts | |
| der Grünen-Umfrageergebnisse. | |
| Danke für das Verständnis. | |
| Aber Sie werden verstehen, dass es schwierig ist, zwei Jahre vor einer Wahl | |
| Personaldebatten vom Zaun zu brechen. Umso mehr, weil uns sowieso | |
| unterstellt wird, wir würden auf vorgezogene Neuwahlen hinarbeiten, um das | |
| Umfragehoch auszunutzen. Das ärgert mich sehr, denn ich empfinde das als | |
| einen Umgang mit Neuwahlen, den ich für viel zu locker und sogar | |
| demokratiefeindlich halte. Wir sind für fünf Jahre gewählt, und eine | |
| Koalition ist keine offene Beziehung, die sich an Umfragewerten orientiert. | |
| Wir Grüne werden irgendwann im Jahr 2021 entscheiden, in welcher | |
| Konstellation wir in den Wahlkampf gehen. | |
| „Volatil“ haben Sie vorhin über Umfragewerte gesagt. Macht es Sie nicht | |
| skeptisch, dass derzeit zwar jeder vierte Grün wählen würde, aber trotzdem | |
| in diesen Ferien von Tegel und Schönefeld mehr Leute denn je abfliegen? | |
| Unser Bundesvorsitzender Robert Habeck hat es gerade so schön bei Spiegel | |
| Online beschrieben: Sich den ganzen Tag zu disziplinieren im eigenen | |
| Verhalten ist ausgesprochen anstrengend … | |
| Wieso den ganzen Tag? Erst mal doch bloß an jenem einzelnen Tag, an dem die | |
| Entscheidung fällt: in den Sommerurlaub fliegen oder nicht? | |
| Er hat das breiter gefasst. Immer im Kopf zu haben: plastikfrei, | |
| biologisch, regional – da müsste man schon ein Engel sein, wenn man das | |
| durchhielte. Außerdem stelle ich sehr wohl fest, dass viele Menschen mir | |
| sagen, dass es Zeit zum Umdenken ist, für mehr Klimaschutz und eine andere | |
| Art von Verpackung und Mobilität. Sie wünschen sich bloß, dass es Ihnen | |
| leichter gemacht wird. Deshalb glaube ich, dass es hier staatliche Vorgaben | |
| geben muss – zum Beispiel für nachhaltige Verpackungen. Die Verantwortung | |
| darf nicht allein bei den Konsumenten liegen. | |
| Zu Ihren Ideen zu staatlichen Vorgaben für mehr Klimaschutz gehört ja auch | |
| eine City-Maut – schon jahrelang diskutiert und immer wieder verworfen. | |
| Warum sollte das jetzt erfolgreich sein? | |
| Berlin wird immer voller – das merken wir alle, sowohl in den U-Bahnen und | |
| Bussen als auch auf den Straßen: mehr Lärm, mehr Absage, mehr Gefahr. Ich | |
| muss mir daher die Frage stellen: Welcher Steuerungsansatz bringt den | |
| größten Erfolg und die meisten Einnahmen, die wir dann wieder in den ÖPNV | |
| und die Radinfrastruktur investieren können? Ist dies eine City-Maut, | |
| entweder für Teile der Innenstadt oder auch für die ganze Stadt – damit | |
| auch Pendler, Touristen und der ganze Lkw-Verkehr mit erfasst werden? Oder | |
| ist es die Parkraumbewirtschaftung? So oder so – wir wollen über das beste | |
| Modell für Berlin diskutieren. | |
| Aber da ist ja auch gewaltig Luft nach oben – die Anwohnervignette kostet | |
| derzeit lächerliche 10 Euro pro Jahr, also nicht mal 20 Cent pro Woche. | |
| Meines Erachtens ist das Parken der stärkste Hebel, um weniger Autos in der | |
| Innenstadt zu haben. Einen Euro pro Tag fände ich sinnvoll, warum also | |
| keine 365-Euro-Vignette? Ich möchte etwas für den Klimaschutz tun, aber ich | |
| möchte auch, dass wir eine sozial gerechte Lastenverteilung zwischen den | |
| Verkehrsteilnehmern haben. Auch das wird eines der Themen sein, die uns bei | |
| der Klausurtagung in Prag beschäftigen werden. | |
| Die SPD und die Linke hatten ihre Klausuren schon im Januar und im März, | |
| und dabei ging es auch um das suboptimale Klima in der Koalition. Kurz vor | |
| Ihrer Klausur ist wieder tiefer Streit da, wegen der Vertagung des | |
| Stadtentwicklungsplans Wohnen. | |
| Da würde ich widersprechen: Einen tiefen Streit gibt es nicht. Es gab in | |
| der Senatssitzung vergangene Woche eine Vorlage von Senatorin Lompscher, | |
| die hätte beschlossen werden können. Dann gab es aber noch Fragen, und die | |
| Sache wurde verschoben. Das ist nichts Ungewöhnliches. Die Diskussion – und | |
| eben kein Streit – dahinter ist: Müssen wir unsere Ziele beim Wohnungsbau | |
| erhöhen, weil es Menschen gibt, die behaupten, die bisherige | |
| Bevölkerungsprognose stimme nicht und Berlin wachse noch schneller? | |
| Kein Streit? Das klang aber in so manchen Äußerungen zuletzt anders. | |
| Ich habe in den letzten eineinhalb Wochen jedenfalls keine Krisengespräche | |
| mit meinen Koalitionspartnern gehabt. Ich erwarte, dass wir den | |
| Stadtentwicklungsplan beschließen und uns auf einen Umgang verständigen, | |
| sollte es tatsächlich eine neue Prognose geben. Das wird sich hoffentlich | |
| alles bis zur nächsten Senatssitzung klären … | |
| … die am 6. August ansteht, drei Tage nach dem Ende der | |
| Grünen-Klausurtagung. | |
| Richtig. Aber wir werden bei unserer Klausur nicht über die Stimmung in der | |
| Koalition reden, sondern über grüne Politik, und zwar mit drei | |
| Schwerpunkten: Was folgt aus den Errungenschaften des Mauerfalls von 1989 | |
| heute? Dazu Klima und Stadtgrün, und als dritter Bereich: Prag ist auch | |
| unsere Partnerstadt und macht gerade im Sommer ähnliche Erfahrungen mit | |
| sehr großen Touristenmengen wie Berlin. Für uns steht dabei im Vordergrund: | |
| Was wollen die Grünen pur? | |
| 1 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
| ## TAGS | |
| Antje Kapek | |
| Prag | |
| Grüne Berlin | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Katrin Lompscher | |
| Grüne Berlin | |
| Die Linke Berlin | |
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