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# taz.de -- Berlin droht Umwandlung in Eigentum: Die Stadt der verlorenen Häus…
> Trotz Mietenstopp und Vorkaufsrecht winken durch Umwandlung in Eigentum
> fette Rendite für Wohnungsunternehmen. Dagegen gibt es Protest.
Bild: Es droht die Umwandlung in Eigentum: Wohnungen in Berlin
Berlin taz | Für Josephine G. ging alles ganz schnell. Auf einmal hingen an
ihrem Haus Schilder: „Eigentumswohnung zu verkaufen“. Gerade einmal ein
paar Tage davor hatte die Hausverwaltung kurzfristig darüber informiert,
dass das Gebäude verkauft wurde – an eine intransparente Holding mit
unklarer Besitz- und Geschäftsstruktur. Kurz darauf wurde das Haus
eingerüstet, und nun droht die Zerstückelung und Umwandlung in Eigentum.
„Seitdem sind hier permanent Bauarbeiten, gibt es diverse
Modernisierungsankündigungen und Mieterhöhungen“, sagt G. Problem: Ihr Haus
in der Corinthstraße in Friedrichshain unterliegt erst seit Kurzem dem
Milieuschutz. Es ist unklar, ob ihr eine kurzfristige Eigenbedarfskündigung
droht und ob verschiedene Schutzmechanismen greifen.
Mit ihren Problemen und Fragen ist G. nicht allein. Zahlreiche
Mieter*innen, die von Umwandlung in Eigentum bedroht sind, haben sich
deswegen nun zusammengeschlossen. Um gegen diese Form der Verdrängung
vorzugehen, haben G. und andere ein gemeinsames Protestbündnis gegründet:
die #200 Häuser. Derzeit sind es zwar noch knapp über 20, es könnten jedoch
schnell 200 werden – denn betroffen sind allein in Friedrichshain-Kreuzberg
laut Bezirk 258 Häuser.
Vernetzt wurden die Mieter*innen von Friedrichshain-Kreuzbergs grünen
Baustadtrat Florian Schmidt. Weil derzeit viele Hausgemeinschaften
gleichzeitig mit der Umwandlung in Eigentum zu tun haben, lud Schmidt vor
zwei Wochen Mieter*innen aus 19 Häusern erstmals zu einem
Vernetzungstreffen ein.
## Schleichende Verdrängung
Gerade wenn der vom rot-rot-grünen Senat angestrebte [1][Mietenstopp] für
fünf Jahre erfolgreich sein sollte, bleibt Umwandlung in Eigentum weiterhin
eine entscheidende Ursache für Verdrängung. Schon jetzt ist es ein
unterschätztes Problem – wohl auch, weil es in besonders von Wohnungsnot
betroffenen Stadtteilen ein schleichender Prozess über 12 Jahre ist –, vor
dem auch der Milieuschutz in sozialen Erhaltungsgebieten nur begrenzt
schützt.
Denn selbst in Milieuschutzgebieten, also in den circa 60 besonders von
Wohnungsnot betroffenen sozialen Erhaltungsgebieten Berlins, kann die
Entwicklung nur verzögert, nicht aber aufgehalten werden. Daran hat auch
die [2][seit 2015 gültige Umwandlungsverordnung] nichts geändert (siehe
Kasten).
„Aufteilen und abverkaufen an Selbstnutzer ist eines der wenigen
profitablen Modelle, wenn der Mietendeckel kommt“, sagt Schmidt – wenn die
Wohnung leer sei, könne man auf dem Markt Preise von 6.000 Euro pro
Quadratmeter erzielen, wenn in den Wohnungen noch Mieter wohnen, 4.000
Euro. „Das ist Betongold“, sagt Schmidt.
Bei einmal umgewandelten Eigentum sei gleich das ganze Haus verloren: „Wenn
Häuser einmal aufgeteilt sind, greift das Mietrecht nie wieder – Mieter von
umgewandelten Wohnungen sitzen im Schleudersitz.“ Entsprechende in
Scheibchen verkaufte Häuser und zerstückelte Hausgemeinschaften kämen für
den kommunalen Vorkauf durch etwa Wohnungsbaugesellschaften nicht infrage.
Seit 2015 erfasst Berlin in seinen Bezirksämtern detaillierte Daten zu
Umwandlungen in Eigentum in sozialen Erhaltungsgebieten. Die aktuellsten
Zahlen liegen für das zweite Halbjahr 2018 vor. Allein in diesem Zeitraum
wurden beim Bezirksamt Anträge auf Umwandlung für über 2.000 Wohnungen
gestellt. Rund 95 Prozent davon mussten positiv beschieden werden. Wenn man
konservativ schätzt, sind davon also allein im zweiten Halbjahr 2018 über
50.000 Personen betroffen.
Die höchsten Umwandlungsquoten wiesen in diesem Zeitraum die
Schillerpromenade im Norden Neuköllns auf sowie Oberschöneweide in
Treptow-Köpenick. Dort wurden jeweils mehr als 100 Wohnungen pro 10.000
Wohneinheiten umgewandelt – in nur sechs Monaten wohlgemerkt.
Viele Mieter*innen wissen laut Schmidt noch gar nichts von stattfindenden
Umwandlungen. Auch deswegen informiere der Bezirk per Flugblatt in
betroffenen Häusern. Laut Zahlen des Senats wurden zwischen 2015 und 2017
insgesamt 46.500 Wohnungen umgewandelt, davon knapp 11.000 in
Milieuschutzgebieten.
Diskutiert worden seien bei den ersten Vernetzungstreffen verschiedene
Aktionsformen. Was man tun kann, wenn die Umwandlung bereits vollzogen ist,
sowie mögliche rechtliche Hebel, um einer Überführung in Eigentum doch noch
von der Schippe zu springen.
Mögliche Protestformen seien etwa das Sprengen von Wohnungsbesichtigungen,
wenn etwa Mieter*innen aller 200 Häuser zu einer Wohnungsbesichtigung
kommen, so Schmidt. „Die Vermarktung durchbrechen ist das Stichwort“, sagt
Schmidt mit Blick auf bereits erfolgte Umwandlung. Ebenso seien weiterhin
größere Demos bei drohenden Zwangsräumungen denkbar.
Elena Poeschl von Kiezkonnektors hilft den verschiedenen Häusern beim
Austausch untereinander. Die verschiedenen Betroffenen seien dabei in ganz
unterschiedlichen Stadien: „Einige könnten nach Eigenbedarfskündigungen
schon in zwei Monaten auf der Straße sitzen“, sagt Poeschel.
Eine rechtliche Handhabe gegen Umwandlung in Eigentum gibt es laut Schmidt
indes noch nicht. Eine entsprechende Fachtagung habe
Friedrichshain-Kreuzberg allerdings schon anberaumt. Denkbar seien da in
verschiedenen Fällen auch ein staatlich geförderter [3][gestreckter Erwerb]
der eigenen Mietwohnung sowie der Erwerb einer von Mieter*innen getragenen
[4][Genossenschaft von unten].
Auf ein solches Modell für den gestreckten Erwerb hofft auch noch G. aus
der Corinthstraße in Friedrichshain – ob das allerdings für ihre Wohnung
wirklich möglich ist, ist noch unklar: „Von daher hoffe ich jetzt auf die
Kraft dieser wachsenden Bewegung der 200 Häuser.“
30 Jul 2019
## LINKS
[1] /Mietendeckel-in-Berlin/!5601029/
[2] /Umwandlung-in-Eigentum/!5524108/
[3] /Kampf-um-Rueckkauf-der-Karl-Marx-Allee/!5555802/
[4] /Genossenschaft-fuer-Vorkaufsfaelle/!5593673/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
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Im Haifischbecken
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