| # taz.de -- US-Trainerin Jill Ellis: Die unterschätzte Anführerin | |
| > Dank Trainerin Jill Ellis lebt das US-Team nicht mehr nur von Stars. | |
| > Ihretwegen gelten die Spielerinnen im Halbfinale gegen England als | |
| > Favoritinnen. | |
| Bild: Hinter ihrem Team aus Trump-Kritikerinnen und Insta-Queens oft übersehen… | |
| LYON taz | Als Alex Morgan die Show macht, sitzt Jill Ellis lächelnd dabei. | |
| Die Trainerin des US-Teams reklamiert keinen Platz für sich in diesem | |
| extrem klimatisierten Raum in Lyon. Sie schaut zu, ruhig und freundlich und | |
| einfach irgendwie anwesend, während Morgan ausführt, dass diese WM „der | |
| beste Ort ist, um neue Generationen zu inspirieren“. | |
| Die USA, die am Dienstag (21 Uhr, ZDF) ihr Halbfinale gegen England | |
| spielen, sind bei dieser WM wieder Speerspitze der spielerischen | |
| Entwicklung des Weltfußballs, der Kämpfe um Emanzipation und der | |
| Selbstdarstellung weiblicher Soccer-Superstars. Die zierliche Jill Ellis | |
| hat die USA mit auf diesen Gipfel geführt, aber gelegentlich wird sie | |
| hinter ihrem [1][Ensemble von Trump-Kritikerinnen] und Insta-Königinnen | |
| beinahe übersehen. | |
| „Sie ist nicht die Anführerin, die ich mir wünsche“, sagte Hope Solo kurz | |
| vor der WM. „Sie verlässt sich extrem auf ihre Assistenten. Sie bricht | |
| unter Druck ein. Aber das spielt oft keine Rolle, weil die Qualität des | |
| Teams herausragend ist.“ Dafür muss man wissen, dass Solo unter Ellis | |
| unfreiwillig ihre Nationalteam-Karriere beendete, nach einem Streit mit dem | |
| Verband. Fürs US-Team, findet Solo, sei es meist egal, wer sie trainiere. | |
| Man gewinne eben. | |
| Im Grunde hat Jill Ellis das Gegenteil von dem gemacht, was Solo ihr | |
| unterstellt. Statt sich die Aufstellung von Fans und Medien diktieren zu | |
| lassen, geht Ellis Risiken ein. Sie versetzt schon mal Mallory Pugh auf den | |
| Flügel oder Carli Lloyd in die Defensive, sie stellt Nachwuchs aufs Feld | |
| und setzt Superstars auf die Bank. Zuletzt traf das Lindsey Horan, die | |
| gegen Frankreich nicht in der Startelf stand. Wieder einmal gab es einen | |
| nationalen Aufschrei, die Partie wurde zum Entscheidungsspiel über Ellis’ | |
| Karriere deklariert. Dann siegten die USA souverän. | |
| Gern vergisst die Öffentlichkeit, dass man vor den Zeiten der stillen | |
| Architektin mitnichten ein Abo auf den WM-Titel hatte. Sie sind variabler | |
| geworden, weniger abhängig vom Superstar-System, taktisch flexibler. Die | |
| Zeiten, wo man nur mit individueller Klasse und Physis siegt, sind auch für | |
| die USA vorbei. Gegen Spanien stand das US-Team am Rand der Niederlage. | |
| Europa holt auf. „Die europäischen Teams haben einen massiven Schub durch | |
| das Investment der Klubs bekommen“, sagt Ellis nun. „Spanien vor allem. Das | |
| kreiert eine Dynamik, da kommen noch viele Spielerinnen im | |
| Erwachsenenbereich nach. Das WM-Feld ist besser als 2015.“ Sie behauptet, | |
| und man kann es ihr fast glauben, dass sie zufrieden damit sei. „Wir wollen | |
| es so. Es ist ein tolles Abbild, dass unser Spiel sich entwickelt.“ | |
| ## „Null Chancen“ | |
| Jill Ellis versteht sich als Fußball-Entwicklerin, und mag sein, dass das | |
| Wachstum in Europa ihr auch persönlich etwas bedeutet. In England 1966 | |
| geboren, war eine Fußballkarriere als Frau dort völlig undenkbar. „Ich habe | |
| mit den Jungs auf dem Schulhof gekickt und wusste, ich hatte null Chancen, | |
| in England Fußball zu spielen. Das ist das, was die USA mir gegeben haben: | |
| die Chance auf Fußball.“ Sie erzählt das sehr nüchtern. | |
| Ihr Vater, der Trainer John Ellis, war lange Zeit Fußballbotschafter der | |
| britischen Regierung und selbst mal Co-Trainer des US-Frauenteams. Mit 15 | |
| Jahren siedelte Ellis mit der Familie in die USA über. „Mein Vater war mein | |
| frühester Einfluss beim Blick aufs Spiel.“ Sie wurde Spielerin, fand die | |
| wahre Bestimmung aber als Trainerin, erst bei College-Teams, dann bei den | |
| US-Juniorinnen. Seit 2010 ist Ellis Entwicklungsdirektorin der United | |
| States Soccer Federation, seit 2014 Nationaltrainerin. Wenige haben den | |
| US-Fußball so lange begleitet. „Ich bin authentisch bei dem, was ich bin, | |
| aber ich lerne von den Leuten, die ich treffe.“ 2015 ist sie schon einmal | |
| Weltmeisterin mit den USA geworden, und sie weiß, nichts weniger als die | |
| Titelverteidigung erwartet man von ihr. Jetzt steht ausgerechnet ihr | |
| Geburtsland dem letzten Schritt ins Finale entgegen. Nein, sie sei nicht | |
| überrascht, sie wisse, dass man dort gut arbeitet. | |
| Aktuell ist kaum vorstellbar, dass die noch in der Entwicklung befindlichen | |
| Engländerinnen die USA aus dem Wettbewerb werfen. Am ehesten gefährlich | |
| werden könnten wohl die Niederländerinnen, auch so ein europäischer | |
| Frischling an der Weltspitze. Die ziehen ihr eigenes Spiel auf, die könnten | |
| auch mal die US-Abwehr einschnüren. Aber man träfe sie ja sowieso erst im | |
| Finale. Wenn Jill Ellis dort den Titel verteidigt, würde sie einen neuen | |
| Rekord aufstellen. Sie wäre dann die erste Trainerin, die zwei WM-Titel | |
| holte. Im Männerfußball gelang das nur Vittorio Pozzo 1934 und 1938 mit | |
| Italien, und da einer dieser Titel auf ziemlich groteske Weise im | |
| Mussolini-Staat erpfiffen wurde, wäre sie nach allem Rechtsempfinden die | |
| einzige doppelte Titelträgerin. Dann hätte der Mut ihr Recht gegeben. Die | |
| Öffentlichkeit dürfte es als bloße Pflichterfüllung sehen. | |
| 2 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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