# taz.de -- Schweden in der Frauen-WM: Mit Momentum und Glück | |
> Schweden ist das Überraschungsteam des Halbfinals. Die in die Jahre | |
> gekommenen Stars bilden immer noch ein starke Defensive. | |
Bild: Trainingspause: Schwedens Linda Sembrant, Nilla Fischer und Caroline Seger | |
LYON taz | Es gibt Siege, die erschaffen Scheinriesinnen. Der [1][Erfolg | |
der Schwedinnen im Viertelfinale] gegen Deutschland ist wahrscheinlich ein | |
Sieg dieser Sorte. Man sieht das daran, wie die Presse jetzt fragt, wie | |
weit es gehen kann für das Team, das „einen der ganz großen Favoriten bei | |
diesem Turnier“ ausgeschaltet hat. Und ein Niederländer will wissen, ob da | |
jetzt so ein Gefühl sei: „Wenn wir Deutschland geschlagen haben, können wir | |
jeden schlagen“? Man scheint die Leistung der Deutschen bei diesem Turnier | |
doch arg zu überschätzen. Und die der Schwedinnen. | |
Mit viel Mühe haben sie sich hierher durchgeschlagen. Gegen Deutschland | |
reichten eine konzentrierte Verteidigung und Konter in den Rücken der | |
garagentorweit offenen deutschen Abwehr. Die Schwedinnen umgehen die | |
Fallstrick-Fragen sehr lässig. Verteidigerin Nilla Fischer warnt, man habe | |
zwar Deutschland geschlagen, aber „manchmal haben wir nicht so gut | |
gespielt. Es geht um Momentum, Glück und Selbstbewusstsein. Das hatten wir | |
seit Tag eins.“ | |
Ja, sie schätzen ihre mentale Stärke. Schweden ist unter den vier | |
Halbfinalistinnen das einzige Team, mit dem niemand gerechnet hatte. Die | |
einzige echte Überraschung, wenngleich ihnen das Überraschende in der Aura | |
irgendwie abgeht. Denn braucht man, um zu überraschen, nicht spektakuläre | |
Spiele, aufstrebende Stars, einen Hauch von Zukunft, Wildheit, Sturm und | |
Drang? Schweden ist das Gegenteil; es ist die Vergangenheit, die sich | |
zurückmeldet, die sich noch einmal durchbeißt gegen die aufstrebenden neuen | |
Mächte. | |
Allerdings mussten sie bislang gegen die gar nicht antreten. Sie haben sich | |
klug durchgewurschtelt, weil Coach Gerhardsson gegen die USA eine B-Elf | |
auflaufen ließ und sich so den leichten Turnierbaum sicherte, mit den | |
kriselnden Teams aus Deutschland und Kanada. Schweden, die einstige | |
Fußballgroßmacht, ist in den letzten Jahren eher zu einem | |
Achtelfinal-Viertelfinal-Kandidaten abgerutscht. Noch immer bestückt mit | |
einer wohl vorerst letzten Riege von Stars vergangener Zeiten, die hier auf | |
Schlusstournee gehen. | |
## Jugendliche Frische ist unwichtig | |
Die bald 35-jährige Nilla Fischer, die 34-jährige Caroline Seger, die | |
36-jährige Torhüterin Lindahl, selbst die starke Kosovare Asllani wird im | |
Juli 30 Jahre alt. Vor dem Turnier wurde etwas abwertend über das Alter der | |
Schwedinnen gesprochen, als sei Jugend der einzige Schlüssel zum Erfolg. | |
Wie das deutsche Team ziemlich eindrücklich bewies, ist sie das nicht. | |
Fürs schwedische System ist jugendliche Frische unwichtig, denn Schweden | |
spielt keinen schnellen Fußball. Prunkstück ist die erfahrene Abwehr; vorne | |
reichten bislang die Konter der flinken Sofia Jakobsson und Stina | |
Blackstenius, sie ist eine der wenigen Nachwuchskräfte, erst 23. Am besten | |
sah das Team aus, wenn es gegen große Gegnerinnen ging. Gerhardsson ist | |
zwar selbsterklärter Fan des Offensivfußballs holländischer Prägung, aber | |
viel davon zu sehen gab es nicht, das nötige Personal fehlt wohl auch. | |
Gute Unterhaltung sind schwedische Spiele selten; Tiefpunkt war der lahme | |
Kick gegen Kanada. Die Skandinavierinnen fühlen sich wohl, wenn die anderen | |
sich an ihrer Abwehr abmühen, und da kommen ihnen die nächsten Gegnerinnen | |
gelegen. „Wir müssen kompakt spielen und loyal bleiben“, gibt Nilla Fischer | |
vor. „Die Niederländerinnen haben schnelle Stürmerinnen, wir müssen uns | |
sofort wieder positionieren, wenn sie durchkommen. | |
Aber einen schnellen Sturm hatten Deutschland und Kanada auch. Wir haben | |
alle Chancen aufs Finale.“ Aller Voraussicht nach drücken die Niederlande | |
aber doch etwas anders aufs Tempo. Der Sturm einer Goldenen Generation | |
rollt da an, Martens, Miedema, van de Sanden. „Wir haben viel | |
Selbstbewusstsein“, sagt Fischer. Sie werden es brauchen. | |
## Verstärkte Nachwuchsförderung | |
Für die alte Garde um Ikone Fischer wäre das Finale ein später Triumph für | |
das Land, das trotz seiner Vorreiterrolle bei Weltmeisterschaften nie einen | |
Titel holte. Die schwedische Liga ist im internationalen Vergleich längst | |
zurückgefallen, das hat vor allem finanzielle Gründe – Querfinanzierung | |
durch Männerklubs ist nicht in diesem Maße möglich, und der schwedische | |
Verband fördert nicht mehr so strukturiert wie andere. | |
Im Nationalteam ist fast nur noch die Abwehr um Fischer und Glas bei | |
internationalen Topteams aktiv; der breite Rest kickt in Schweden. Beim | |
traditionsreichen FC Rosengard will man jetzt wieder verstärkt auf | |
Nachwuchsförderung setzen, ein Umbruch ist unumgänglich. Die Schwedinnen | |
haben, einerseits, die große Freiheit im Halbfinale: sie sind ja glücklich, | |
dass sie überhaupt hier sind. Andererseits werden sie auch wissen: die | |
Chance auf ein Finale kommt wahrscheinlich so bald nicht wieder. | |
3 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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