| # taz.de -- Eine Liebe in der Krise: Beziehungskrach mit Journalismus | |
| > Der Journalismus muss, scheint es, immer jemanden erziehen. Er weiß | |
| > einfach alles am besten. Die richtigen Leser zur Seite findet er schon. | |
| Bild: Wenn Freund Journalismus doch mal die Klappe halten könnte | |
| Der Journalismus war für mich immer einer dieser Typen, mit denen es | |
| einfach perfekt zu passen schien. Es stimmt einfach alles, sagt man seinen | |
| Freunden über so einen Typen, obwohl man da schon weiß – oder wüsste, wenn | |
| man denn ehrlich mit sich selbst wäre –, dass man eigentlich nur die krasse | |
| Anziehung meint. Dass das mit den tollen Werten, die man teilt, eigentlich | |
| nicht so ganz stimmt. Aber Liebe lebt ja oft vom Ignorieren. Vom | |
| Schönreden. Zumindest eine Zeit lang. | |
| Diese Woche aber hatten der Journalismus und ich mal wieder so richtig | |
| Beziehungskrach. Weil er mir mal wieder (meine Freunde hatten es mir zwar | |
| immer schon gesagt, aber Sie wissen schon, die Anziehung …) unter die Nase | |
| reiben musste, dass auch er nicht im Grand Hôtel Unabhängig lebt. Sondern | |
| auch nur Politik machen will. Nicht anders als all die anderen Typen – PR, | |
| Politik, Aktivismus –, die ich eben nie daten wollte. (Sie hören meine | |
| Freunde im Hintergrund auch kichern, oder?) | |
| Wie in jeder guten, schlechten Beziehung hat mein Typ gerade ein echtes | |
| Kommunikationsproblem. Statt zu sagen, was ist, raunt er lieber vieldeutig | |
| herum. Das aber mehrstimmig. Ganze sechs Autoren fuhr etwa der Spiegel auf, | |
| um wolkige zweieinhalb Seiten mit Spekulationen über etwaige Hintergründe | |
| der Bundestagsresolution aufzufahren, [1][die BDS als antisemitisch | |
| einstuft]. Die sechs Edelfedern hatten auf den zwei Seiten dann Großes zu | |
| enthüllen: Lobbygruppen machen Lobbyarbeit. Schock. | |
| Das ist, wenn es um die Auto- oder Bauernlobby geht, selten zwei Seiten | |
| wert. Aber weil es hier [2][um Israel und Antisemitismus] geht, absolute | |
| Triggerpunkte im deutschen Journalismus (echt mal, der Typ hat da ein | |
| Trauma, der braucht doch ’ne Therapie!), wird hier daraus der Grundtenor: | |
| jüdische Lobbygruppen steuern die deutsche Nahostpolitik. Belege? Quellen? | |
| Mhm. Unter vielen „nach Medienberichten“, „soll“ und „der Verdacht li… | |
| nahe“ ist von Geldern (Parteispenden) und natürlich dem Mossad die Rede. | |
| Einzige „Tatsache“, die die Autoren liefern, ist: „Am Ende ist die | |
| Resolution so, wie Adler und die ‚WerteInitiative‘ (also die Lobbygruppe, | |
| um die es geht, Anm. d. Red.) sie sich gewünscht haben.“ Puh, „jüdische | |
| Weltverschwörung“ gerade nochmal aufgedeckt. Alter Falter – äh – Spiege… | |
| das antisemitische Muster, das ihr da bedient, fällt euch doch selbst auf? | |
| ## Immer nur lesen, was man hören will | |
| Na ja, man schreibt halt viel, was der vermeintliche Leser lesen will. Oder | |
| was man will, dass er es will. Der Leser ist auch ein bisschen selbst | |
| schuld, verhält er sich doch beim Zeitunglesen wie beim Lieben: Er will | |
| jemanden, der ihm von früh bis spät textet, wie smart und sexy er ist. Gilt | |
| natürlich auch für die Leserin. Auch sie durchschaut ja längst, wo die | |
| Strippen eigentlich gezogen werden, aber wie angenehm, wenn einem das Blatt | |
| des Vertrauens die eigenen Theorien nochmal bestätigt. | |
| Zielgruppenorientiert liebt und schreibt auch die NZZ, verkauft sich dabei | |
| aber als der ehrliche Typ, der der Frau gern sagt, wie’s wirklich läuft. | |
| Michael Rasch etwa klärt auf: „In deutschen Grossstädten geht inzwischen | |
| die Mehrheitsgesellschaft ihrem Ende entgegen“ (schon wieder Schock!). | |
| Betroffen vom Ende der Mehrheitsgesellschaft seien aber fast ausschließlich | |
| west- und süddeutsche Städte, was an der Wirtschaftskraft dort läge. Da hat | |
| der Osten ausnahmsweise aber mal Glück. „Betroffen“ und „Ende“ sind | |
| natürlich Buzzwords, die beim Leser hängen bleiben. Ende ist nie gut. | |
| Besser ist immer, wenn alles so bleibt, wie es ist. Ich wundere mich oft, | |
| wie es die Menschheit mit dieser Einstellung von der Steinzeit hierher | |
| geschafft hat. | |
| Am besten sind ja eigentlich die Beziehungen, in denen man gemeinsam | |
| schweigen kann. Aber das geht mit Freund Journalismus schon mal gar nicht. | |
| Selbst über Gedöns wie Merkels Zittern kann er nicht die Klappe halten, | |
| sondern muss es voyeuristisch (aber reflektiert!) ausdiskutieren. Der | |
| Leser, die Leserin will es halt so. Man muss ihm zugutehalten: Hier | |
| versucht er mal nicht, den Partner – äh, Leser zu erziehen. Dafür aber die | |
| Kanzlerin. Denn der unausgesprochene Zwischenton bei all dem „Man wird ja | |
| wohl noch fragen dürfen, ob die Kanzlerin die letzten Monate ihrer letzten | |
| Amtszeit auch topfit durchhält“, ist doch nur: Alte, gib auf. Wir sagen | |
| dir, es ist besser für dich. | |
| Er kann halt nicht aus seiner Haut, der Journalismus, irgendjemanden muss | |
| er immer erziehen. Er weiß einfach alles am besten. Er steht immer auf der | |
| richtigen Seite. Die richtigen Leser zur Seite findet er schon, oder er | |
| richtet sie sich halt zu. Lehrerin aber wollte ich nie sein. Mein Vater hat | |
| mich immer gewarnt, aber ich war in Woodward und Bernstein verliebt und | |
| wollte nicht hören. Manchmal muss man in jeder Beziehung weit | |
| zurückblicken, um sich zu erinnern, was man mal toll aneinander fand. | |
| 22 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ariane Lemme | |
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