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# taz.de -- Theorie in der Krebsforschung: Krebs durch infizierte Rinder?
> Nobelpreisträger Harald zur Hausen glaubt, dass Milch- und
> Rindfleischkonsum im ersten Jahr das Krebsrisiko erhöhe. Andere halten
> das für unwahrscheinlich.
Bild: Zur Hausen rät, Kinder erst mit über einem Jahr Kuhmilch trinken zu las…
Viren können Krebs wie das Burkitt-Lymphom verursachen, das ist belegt. Und
auch bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs sind Viren, genauer
Humanpapillomviren (HPV), beteiligt – darum gibt es seit einigen Jahren
eine Schutzimpfung für Jugendliche gegen diese Tumorart. Der Heidelberger
Wissenschaftler Harald zur Hausen hat für seine Forschung zur HPV-Impfung
den Nobelpreis erhalten. Seit rund zehn Jahren vertritt zur Hausen nun eine
neue Theorie. Es geht wieder um möglicherweise krebsauslösende Mikroben,
besser gesagt, virus- und bakterien-ähnliche DNA-Partikel, die in
Rindfleisch und Milch vorkommen. Diese sollen seiner Meinung nach das
Risiko für Dickdarm-, Brust- und Prostatakrebs erhöhen.
Bereits im Jahr 2008 hat zur Hausen, der am Deutschen
Krebsinformationszentrum (DKFZ) arbeitet, in handelsüblichem Rindfleisch,
Milch, Joghurt sowie Crème fraîche Erbgutfragmente gefunden, die
möglicherweise infektiös sind. Er nannte sie „Bovine meat and milk factors�…
(BMMFs). Nun hat das DKFZ-Forscher-Team um den Nobelpreisträger neue
Puzzleteile vorgelegt. So wurden Antikörper in humanen Blutproben von
Gesunden und Krebskranken gegen die BMMFs gefunden, was als Hinweis darauf
gewertet wird, dass die Menschen mit den Substanzen aus Milch und Fleisch
häufig in Kontakt kommen. Zudem konnten die DNA-Partikel in humanen Zellen
nicht nur langfristig überdauern, es konnten darüber hinaus bestimmte RNA-
und Proteinprodukte nachgewiesen werden, die aus den Erbgutfragmenten
entstanden waren.
Die BMMFs, die teils auch Bakterien wie Acinetobacter baumannii ähneln,
sollen laut den Forschern in Darm- und Brustgewebe zu chronischen
Entzündungen führen, was schließlich das Tumorwachstum befördere –
allerdings erst Jahrzehnte später. Die Schlussfolgerung wäre also, dass
Milch- und Rindfleischkonsum vor allem in jungen Jahren zu einem erhöhten
Krebsrisiko führt.
Zur Hausen rät Müttern ihre Neugeborenen darum, ein ganzes Jahr zu stillen
und erst dann Kuhmilch zu zu füttern, wenn das Immunsystem ausgereift sei
und sich gegen eine Infektion mit den BMMFs schützen könne. Bestimmte
Zuckerverbindungen in der Muttermilch werden als Immunbooster gehandelt. In
einigen Muttermilchersatznahrungen werden sie bereits zugesetzt.
Möglicherweise könnte man zukünftig auch Erwachsenen diese zur Vorbeugung
verabreichen, so der Forscher. Ein Verzicht auf Steak und Milchkaffee hält
er dagegen für unnütz, da Erwachsene bereits infiziert seien. Denkbar wäre
auch, Rinder zu impfen, damit sie nicht infiziert werden.
## Es fehlen Daten
Um ihre These zu stützen, führen die DKFZ-Forscher auch epidemiologische
Befunde an: Die BMMFs finden sich nur in Fleisch und Milch des europäische
Rindes, Bos taurus. Dieses wird vor allem in Europa und USA gehalten,
Länder also, die hohe Darm- und Brustkrebsraten haben. In Ländern, in denen
andere Rinderarten gehalten werden, wie Bolivien oder die Mongolei, sind
dagegen die Darm- und Brustkrebsraten gering.
Das ist zwar richtig, dennoch sieht hier die Ernährungswissenschaftlerin
Sabine Rohrmann von der Universität Zürich einen Fehler in der
Argumentation: „Die Theorie basiert komplett auf Korrelationen. Es fehlen
die Daten auf individueller Ebene, also ob jemand, der viel Milch trinkt
und Fleisch isst, auch wirklich ein höheres Risiko hat.“ So könnten ganz
andere Faktoren für die unterschiedlichen Krebszahlen verantwortlich sein:
Deutschland und die Mongolei unterscheiden sich ja nicht nur im
Essverhalten voneinander. Andere genetische Pools könnten etwa eine Rolle
spielen.
Tatsächlich gibt es aber Schwächen in den bisherigen Theorien, wie
Fleischkonsum das Risiko für Dickdarmkrebs erhöhen könnte. So ist etwa
ungewiss, welcher Faktor für das erhöhte Darmkrebsrisiko durch sogenanntes
rotes Fleisch wie Rind-, Kalb-, Lamm- oder Schweinefleisch eigentlich
verantwortlich ist. Oft wird das Braten oder Grillen verdächtigt, doch auch
bei Geflügel und Fisch entstehen dabei krebserregende Röstprodukte. Wer vor
allem Geflügel oder Fisch isst, hat jedoch kein höheres Risiko für
Darmkrebs.
Dass Milchkonsum das Brust- oder Darmkrebsrisiko erhöht, ist dagegen sehr
umstritten. Zur Hausen führt eine Studie an, die belegte, dass Frauen, die
wegen einer Laktoseunverträglichkeit weniger Milch tranken, auch seltener
an Brustkrebs erkrankten. Viele andere Studien zeigten jedoch keinen
Zusammenhang. Andere belegten, dass Milchkonsum sogar vor Darmkrebs
schützt. „Aus meiner Sicht spricht bislang wenig dafür“, sagt Rohrmann.
## Ein hartnäckiger Wissenschaftler
Fachgesellschaften empfehlen, Säuglinge sechs Monate zu stillen und dann in
der Beikost auch Fleisch zu füttern, da dieses wichtiges Eisen liefert, vor
allem Rindfleisch. Milch wird in der Beikost nicht in größeren Mengen
empfohlen, nur in Form von Säuglingsmilchnahrung, die sukzessive ersetzt
wird. Und auch der Milchbrei wird mit wenigen Löffeln Milch angemacht.
Laut einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung und das
Max-Rubner-Instituts gibt es kaum Studien, die einen Zusammenhang zwischen
Ernährung im ersten Lebensjahr und Krebs untersuchten. Und dort, wo es
Studien gibt, etwa zu Brustkrebs, seien diese widersprüchlich. Eltern
sollten sich nicht verunsichern lassen. Kleine Mengen Milch in der Beikost
sind wichtig, da diese die Kalziumversorgung gewährleisten.
In der Stellungnahme betonen die Forscher, dass die Hypothesen zu den BMMFs
derzeit nicht zu erhärten seien und sich daraus keine veränderten
Ernährungsempfehlungen ergäben: Fleisch soll nur bis zu 600 Gramm
wöchentlich auf dem Speiseplan stehen, Milch und Milchprodukte können
weiterhin ohne Problem verzehrt werden. Das Stillen sei wie gehabt zu
empfehlen.
Die Theorie auf stabilere Füße zu stellen, könnte indes schwer werden. Das
Problem: Nicht jeder, der etwa mit den Epstein-Barr-Viren infiziert ist,
wird an einem Burkitt-Lymphom erkranken. Das könnte auch für die BMMFs
gelten. Zudem können auch andere Faktoren ganz ohne Beteiligung von Viren
Krebs verursachen. Und zwischen der Infektion und der Entstehung des Tumors
können viele Jahre vergehen.
Dennoch: Harald zur Hausen ist bekannt für seine ungewöhnlichen Ideen und
seine Hartnäckigkeit. Der Krebsforscher Patrick Moore, der an der
University of Pittsburgh auch zu Viren forscht, ist von der neuen These des
Nobelpreisträgers zwar nicht überzeugt, sagte aber dem Spiegel: „Es hat
noch niemand damit Geld verdient, dass er gegen Harald zur Hausen gewettet
hat.“
18 Jul 2019
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Krebs
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Krebs
Schwerpunkt Glyphosat
Wissenschaftsrat
Krebs
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