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# taz.de -- Risiko für Darmkrebs: Frühere Screenings nicht die Lösung
> Weltweit erkranken immer mehr junge Menschen an Darmkrebs. Woran liegt
> das und was bedeutet es für die Gesundheitsversorgung?
Bild: Röntgenbild von Darmkrebs-Metastasen
Darmkrebs ist eine der häufigsten Krebserkrankungen überhaupt. Unter den
Tumoren bei Frauen liegt er in Deutschland hinter Brustdrüsenkrebs auf dem
zweiten Platz. Bei Männern kommt der Darm nach der Prostata und der Lunge
auf den dritten Platz. In den letzten Jahrzehnten gingen die Fälle langsam
zurück. Das wird unter anderem auf das Vorsorge-Screening zurückgeführt,
das beispielsweise in Deutschland ab einem Alter von 50 Jahren angeboten
wird.
Während ältere Menschen also immer seltener an Darmkrebs erkranken und die
Fallzahlen sinken, passiert bei jungen Menschen zwischen 25 und 49 Jahren
genau das Gegenteil: Sie erkranken häufiger an Darmkrebs. Diesen weltweiten
Trend [1][bestätigen Daten aus verschiedenen Untersuchungen], wobei nicht
alle Regionen gleich stark betroffen sind. Tatsächlich ist Deutschland
eines der wenigen europäischen Länder, in denen kein Anstieg von Darmkrebs
bei Menschen unter 50 festgestellt wird – gemeinsam mit der Schweiz,
Frankreich, Österreich und Tschechien.
Es sei wichtig, die globale Zunahme im Kontext zu sehen, sagt Mia Kim,
Leiterin der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie und
Koloproktologie an der München Klinik Neuperlach – des größten Darmzentrums
in Deutschland. „Junge Menschen mit Darmkrebs, im Fachjargon nennen wir das
early-onset kolorektales Karzinom, machen etwa [2][fünf bis zehn Prozent]
der Patienten aus. Damit bleibt die Erkrankung unter 50 Jahren eher die
Ausnahme.“ Dazu kommt: „Zwar bekommen in manchen Ländern immer mehr junge
Menschen Darmkrebs, die Sterblichkeit sinkt dennoch überall“, sagt Kay
Kohlhaw, Leiter des Darmkrebszentrums der Sana Kliniken Leipziger Land.
„Das ist vermutlich einerseits der Vorsorgeuntersuchungen zu verdanken, die
beim Darmkrebs sehr gut funktioniert, und andererseits den immer besseren
Behandlungsmöglichkeiten.“
Trotzdem sei es wichtig, die Ursachen für die steigenden Fallzahlen bei
jungen Menschen genauer zu untersuchen, so Kim. „Noch weiß man nicht
sicher, woran das liegt. Es gibt einige Hinweise darauf, dass gewisse
[3][Veränderungen in der Lebensweise] eine Rolle spielen: etwa zu viel
rotes Fleisch, ballaststoffarme Ernährung, Nikotin- und Alkoholkonsum.“
Kohlhaw erklärt sich damit auch, dass Darmkrebs gerade jetzt in
nichtindustrialisierten Ländern zum Problem jüngerer Menschen wird. Diese
adoptieren dort zunehmend den westlichen Lifestyle, so der Arzt. „Dazu
gehört auch weniger Schlaf und mehr Stress.“
## Vorsorge mit Wartezeit
Ein Hebel, um eine Darmkrebserkrankung zumindest frühzeitig zu erkennen,
sind die Vorsorge-Screenings. In Deutschland kann man ab 50 Jahren in
bestimmten Abständen einen immunologischen Stuhltest machen, Männer ab 50
und Frauen ab 55 Jahren haben außerdem Anspruch auf zwei Darmspiegelungen,
die allerdings mindestens 10 Jahre auseinanderliegen müssen.
„Bei den Jüngeren sehen wir oft bösartigere Tumore, weil sie schlicht
später kommen – nämlich erst mit Symptomen“, erklärt Kohlhaw. Zu diesem
Zeitpunkt sei dann schon eine intensivere Behandlung nötig. Als Arzt wäre
er deshalb für frühere Screenings in kürzeren Abständen. „Aber das ist ei…
rein emotionale Antwort, denn wissenschaftlich gesehen spricht wenig für
einen solchen Schritt.“ Von möglichen Komplikationen bei der Darmspiegelung
abgesehen, sei es letztlich eine Frage von Nutzen und Kosten. „Wenn ich
10.000 Leute untersuche, um einen Erkrankten zu finden, verstopfe ich
schlichtweg das System.“
So sieht es auch Mia Kim. Schon jetzt seien die Wartezeiten für eine
Darmspiegelung sehr lang. Würde nun, wie etwa [4][in den USA bereits
geschehen], das Alter für die Darmkrebsvorsorge auf 45 Jahre
heruntergesetzt, dauerte nur alles noch länger. „Dann bekommen vielleicht
ältere Risikopatienten monatelang keinen Termin, weil sich zu viele gesunde
45-Jährige gemeldet haben.“
Viel wichtiger sei es angesichts der noch immer hohen Erkrankungsraten bei
den über 50-Jährigen, dass mehr ältere Menschen überhaupt zum Screening
kommen. „In der EU ist das Ziel, dass 65 Prozent der Personen mit
Vorsorgeanspruch auch wirklich teilnehmen“, so Kim. „In Deutschland sind
wir davon weit entfernt.“ Allein die Möglichkeit eines Screenings sei daher
nicht ausreichend. Was es bräuchte, sei mehr Aufklärung und ein
niedrigschwelliges Angebot, so [5][wie in Dänemark].
## Vorsorge im Vergleich
Wer dort zwischen 50 und 74 Jahre alt ist, bekommt alle zwei Jahre einen
Aufklärungsbrief und einen immunologischen Stuhltest, den man zu Hause
durchführen und ins Labor schicken kann. Gibt man die Probe nicht ab,
bekommt man nach sechs Wochen eine Erinnerung. Auf einen positiven
Stuhltest folgt dann eine Einladung zur Darmspiegelung, bereits mit einem
Terminvorschlag innerhalb von 14 Tagen.
Auf diese Weise erreichen die Dänen eine hohe Teilnahme an den
Vorsorgemöglichkeiten: Den immunologischen Stuhltest führen, je nach
Erhebungszeitpunkt, etwa 61 bis 65 Prozent der angeschriebenen Menschen
durch, die – wenn nötig – anschließende Darmspiegelung sogar rund 90
Prozent.
Kay Kohlhaw wäre schon froh, wenn junge Menschen mit Blut im Stuhl zum Arzt
gingen, anstatt ihre Symptome abzutun. Beim Screening plädiert er für ein
gesundes Augenmaß, etwa mit Blick auf die Vererbbarkeit von Darmkrebs:
„Wenn mehrere Verwandte daran erkrankt sind, sollte man ruhig auch schon
früher zu einem Screening gehen“, so der Arzt. „Es gibt eine genetische
Veranlagung, die ein Grund für eine frühe Vorsorge ist und sein muss.“
Besondere Regelungen und entsprechend frühere Darmspiegelungen sind in
Deutschland zudem schon in den offiziellen Darmkrebs-Leitlinien der
Krebs-Fachgesellschaften empfohlen – etwa, wenn Mutter oder Vater an
Darmkrebs erkrankt sind oder wenn man selbst bestimmte Vorerkrankungen hat,
die den Krebs begünstigen.
Um das große Thema Darmkrebs anzupacken, bräuchte es in Deutschland also
mehr Prävention im Sinne eines gesünderen Lebenswandels, eine verstärkte
Teilnahme an Vorsorge-Screenings, die auch das Gesundheitssystem
verkraftet, und ein besseres Auge für junge Menschen mit erhöhtem
Erkrankungsrisiko.
16 Mar 2024
## LINKS
[1] https://www.annalsofoncology.org/article/S0923-7534(23)05110-4/fulltext
[2] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/pbc.27941
[3] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jso.27320
[4] https://acsjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.3322/caac.21457
[5] https://elifesciences.org/articles/81808
## AUTOREN
Stefanie Uhrig
## TAGS
Krebs
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Zukunft
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