# taz.de -- Was Klima mit Wetter zu tun hat: „Der Klimacheck muss sein“ | |
> Eine Hitzewelle wie im Juni droht alle 30 Jahre – ohne Klimawandel wären | |
> es nur alle 250 Jahre. Kieler Forscherin Friederike Otto über | |
> Extremwetter. | |
Bild: „Meine Heimatstadt ist inkonsequent“: Friederike Otto | |
taz: Frau Otto, wie ist das Wetter in Oxford? | |
Friederike Otto: Ein ganz normaler Sommertag: Heiter bis wolkig, etwa 20 | |
Grad. | |
Ähnlich wie in Hamburg. Aber der Juni in Norddeutschland war sehr heiß. | |
Können Sie uns das erklären? | |
Am Anfang war der Juni nicht besonders heiß, es gab aber diese Hitzewelle | |
Ende des Monats, die dazu führte, dass der Juni als Ganzes | |
überdurchschnittlich heiß war. Wenn es heutzutage in Europa Hitzewellen | |
gibt, sind sie aufgrund des Klimawandels immer intensiver und | |
wahrscheinlicher. | |
War es denn ein Wetterphänomen oder ein Zeichen des Klimawandels? | |
Beides. Jedes Extremwetter-Ereignis hat mehr als eine Ursache. Das | |
chaotische Wettersystem spielt immer eine Rolle. Es muss die erforderlichen | |
meteorologischen Bedingungen geben. In diesem Fall war es ein | |
Tiefdruckgebiet vor der Iberischen Halbinsel, mit dessen Hilfe sehr viel | |
heiße Luft aus der Sahara bis nach Nordeuropa kam. | |
Das kommt doch immer wieder mal vor, oder? | |
Diese meteorologische Situation ist an sich nicht ungewöhnlich. Aber weil | |
die globale Mitteltemperatur bereits um etwa ein Grad angestiegen ist, | |
haben sich auch lokal die Wahrscheinlichkeiten für extrem hohe Temperaturen | |
erhöht. Diese Hitzewelle war durch den Klimawandel intensiver, als sie es | |
sonst gewesen wäre. So wäre nach unseren Berechnungen die kürzliche | |
Hitzewelle in Frankreich zu Beginn der Wetteraufzeichnungen um vier Grad | |
kälter gewesen. | |
Und daran ist allein der menschengemachte Klimawandel Schuld? | |
Er ist zumindest die Hauptursache, aber Urbanisierung zum Beispiel spielt | |
auch eine Rolle. Der Klimawandel hat die Wahrscheinlichkeit einer solchen | |
Hitzewelle um das Fünffache erhöht. | |
Wie wird eine Hitzewelle definiert? | |
Das ist nicht so trivial wie viele denken. Schlagzeilen machen zumeist | |
Hitzerekorde. Im Juni in Frankreich stieg der Rekord von 44,1 auf 45,9 Grad | |
Celsius – fast zwei Grad mehr. Entscheidend für Menschen ist aber, wenn | |
tagelang ungewöhnliche Hitze vorherrscht und es nachts nur wenig abkühlt. | |
Unsere Zahlen basieren daher nicht auf den Rekorden, sondern auf einer | |
Drei-Tages-Hitzewelle. | |
In den vergangenen 22 Jahren waren 20 die wärmsten seit Beginn der | |
Wetteraufzeichnungen: Ist das eindeutig Klimawandel? | |
Ganz eindeutig, ja. | |
Frau Otto, Sie haben zusammen mit einer Handvoll internationaler | |
WissenschaftlerInnen die Attribution Science, die Zuordnungswissenschaft, | |
entwickelt. Was ist das? | |
Konkret haben wir das für Wetterereignisse entwickelt. Wir versuchen zu | |
ermitteln, ob und wie stark der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit | |
einzelner Wetterereignisse verändert hat. Die Idee ist im Prinzip ganz | |
einfach: Wir fragen, wie wahrscheinlich ist das in der Welt, in der wir | |
heute leben? Mit den gängigen Klimamodellen können wir zum Beispiel | |
errechnen, dass ein heißer Juni wie 2019 alle 30 Jahre zu erwarten ist. | |
Um herauszufinden, was der Anteil des Klimawandels daran ist, rechnen wir | |
alle seit Beginn der industriellen Revolution vom Menschen emittierten | |
Treibhausgase aus der Atmosphäre heraus und sehen eine Welt, wie sie ohne | |
Klimawandel gewesen wäre. Und bekommen das Ergebnis, dass ein Juni wie 2019 | |
etwa alle 250 Jahre stattfinden würde. Das lässt sich sehr genau zuordnen. | |
Das heißt, Sie und Ihre KollegInnen können fast in Echtzeit verlässliche | |
Aussagen über den Anteil des Klimawandels an den Ursachen einzelner | |
Wetterphänomene machen: Hurrikans, Dürren, Starkregen, Sturmfluten? | |
Wir können Klimaereignisse realistisch simulieren. Bei Hagelstürmen geht | |
das – noch – nicht, bei Hitzewellen und großflächigen Niederschlagsgebiet… | |
klappt das gut. Bei Hurrikans können wir nicht den Sturm an sich, aber die | |
Regenmengen berechnen. | |
Warum ist das wichtig in der realen Welt, wenn Sie nachrechnen, dass und | |
wie viel es geregnet hat? | |
Es ist wichtig, wenn man wissen will, wie man sich in Zukunft vor | |
Extremereignissen schützen kann. Wir können lokal – also auf der Ebene, auf | |
der Entscheidungen getroffen werden können – zeigen, wo Anpassungsmaßnahmen | |
gegen den Klimawandel notwendig sind. | |
Sie können Handlungsempfehlungen geben? | |
Wir können die Information geben, dass Maßnahmen gegen die Folgen des | |
Klimawandels erforderlich sind. Welche am besten geeignet sind, muss vor | |
Ort entschieden werden. | |
Ihre Heimatstadt Kiel hat kürzlich den Klimanotstand ausgerufen, verweigert | |
aber Fahrverbote für Dieselfahrzeuge: Ist das nachvollziehbar? | |
Das ist vollkommen inkonsequent. Den Klimanotstand auszurufen ist im Moment | |
in Mode, aber ohne konkrete Handlungen ist das Greenwashing: Man tut so, | |
als ob, macht aber nichts. | |
Etikettenschwindel? | |
Kann man so sagen, ja, | |
Was sollten Städte wie Kiel oder auch Hamburg tun? | |
Jede Entscheidung muss darauf abgeklopft werden, ob sie hilft, die | |
Klimaziele zu erreichen, zum Beispiel CO2-neutral zu werden, oder ob sie | |
diesen widerspricht. | |
Also den verbindlichen Klimacheck machen? | |
Ganz genau. Der muss sein. | |
Sie sagen, man solle keine Partei wählen, die nicht ernsthaft gegen den | |
Klimawandel vorgeht. Ungewöhnlich politisch für eine Wissenschaftlerin? | |
Das antworte ich auf die Frage, was Einzelne tun können. Natürlich ist das | |
politisch, aber ich bin ja auch Mensch. | |
Fürchten Sie nicht, sich dadurch angreifbar zu machen? | |
Sobald man den Mund in der Öffentlichkeit aufmacht, macht man sich | |
angreifbar. Ich finde es wichtig, dass WissenschaftlerInnen auch in und mit | |
der Öffentlichkeit sprechen. | |
Und wie wird das Klima in Großbritannien nach dem Brexit? | |
Oh! Also für die Wissenschaft ist es eine Katastrophe. Wir denken und | |
arbeiten global. Wir werden die EU-Forschungsfinanzierung verlieren, schon | |
jetzt bewirbt sich kaum noch jemand vom Kontinent um freie Stellen bei uns | |
an der Universität Oxford. Es ist bereits jetzt ein großer Einschnitt. | |
Schlechte Aussichten für die Klimaforschung in Oxford und ganz | |
Großbritannien? | |
Leider ja. | |
18 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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