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# taz.de -- Die Wahrheit: Blutzoll für den Straßenspaß
> Nach den Elektrotretrollern wird der Berliner Verkehrs-Andi bald
> ministeriell alles, einfach alles erlauben – selbst Panzer für
> Jugendliche.
Bild: Brennen sollt all ihr untergehenden Städte der E-Roller!
Seit Mitte Juni sind die E-Roller zugelassen, und schon herrscht Chaos auf
Straßen, Rad- und Gehwegen, wo sie gar nicht fahren dürften, aber es
natürlich tun. Sogar Automobilclubs fordern nun breitere Radwege, was sie
für Radler nie getan hätten, eher hätten sie sich den Schwanz abgebissen.
Selbstredend beträgt das Mindestalter zum Führen eines Elektrostehrollers
vierzehn Jahre – das ist die beste Zeit zum Sterben. Diese Idee des
Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) ist fast so gut wie die der
faktischen Freigabe von Leichtkrafträdern bis 125 ccm ohne
Motorradführerschein. Wenn er damit durchkommt, wird es erst richtig
lustig.
Der Blutzoll ähnelt so schon dem eines mittleren Bürgerkriegs. Bereits
jetzt wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar: Innerhalb eines Monats
stehen die Städte voll mit dem Schrott zahlloser Leihroller. Räumt den
eigentlich irgendjemand weg, sobald – was nicht lang dauern wird –
sämtliche potenziellen Benutzer tot sind?
Apropos tot. Wer E-Roller fahren kann, dürfte mit einem Panzer erst recht
keine Probleme haben. Scheuer argumentiert in einer am Montag eigens
einberufenen Presserunde: „Die Balance ist viel einfacher, schließlich
kippt der nicht so leicht um und kleinere Hindernisse sind längst nicht so
heikel: Wo dem Roller eine Bodenwelle gefährlich werden kann, überwindet
das Kettenfahrzeug mühelos Menschen, Fahrräder und selbst noch Kleinwagen.
Außerdem sind Panzer ziemlich langsam. Eine Fahrerlaubnis halte ich hier
für obsolet.“ Es ist das SUV-Prinzip: Wer drin sitzt, ist sicher, wer
draußen ist, ist raus.
## Abenteuer Kindheit
Der Minister hat noch viel vor. Stolz stellt er uns sein Projekt „Adventure
Kids“ vor, „das die Eltern entlasten und die Kleinen spielerisch auf die
Anforderungen des Straßenverkehrs vorbereiten wird“: In Zukunft sollen
Siebenjährige in Begleitung von Zwölfjährigen Kraftfahrzeuge bis zu 1,8
Liter Hubraum steuern dürfen. Auf Landstraßen gilt für sie eine
Geschwindigkeitsbegrenzung von 65 km/h, die Autobahn darf nur unter
Aufsicht Erwachsener befahren werden, worunter auch Personen fallen, „die
das sechzehnte Lebensjahr bereits erreicht haben oder vage im Begriffe
sind, es zu erreichen“.
„Und denken Sie doch bloß mal darüber nach, wie viele
Gestaltungsmöglichkeiten uns noch im Bereich der Passagier- und
Handelsschifffahrt offenstehen.“ Aufgeregt kaut der Spitzenpolitiker an den
Zehennägeln, während er uns seine Pläne darlegt: Zum Steuern von
Supertankern und Containerschiffen bis zu einer Million
Bruttoregistertonnen wird die Erlangung des Freischwimmers wärmstens
empfohlen, für Kreuzfahrtschiffe sogar vorgeschrieben.
Hier sieht Scheuer durchaus noch Liberalisierungsspielraum: „Kinder haben
den Vorteil, dass sie nicht auf Teufel komm raus protzen müssen. So ein
Unglück wie mit der ‚Costa Concordia‘ wäre mit einem fünfjährigen Kapit…
niemals passiert. ‚Kinder an die Macht‘“, zitiert er augenzwinkernd einen
Grönemeyer-Hit, bevor er zu einem sachlichen Tonfall zurückkehrt. „Das
Seepferdchen genügt meiner Meinung nach völlig – ein Kapitänspatent
übertüncht meist nur die menschlichen und fachlichen Mängel.“
## Kundenfreundliche Erleichterungen
Auch der Luftverkehr schreit geradezu nach kundenfreundlichen
Erleichterungen. „Als kleines Kind habe ich im Zirkus mal einen Elefanten
Fahrrad fahren gesehen. Es war zwar ein Spezialfahrrad, aber das ist fast
vierzig Jahre her. Inzwischen sind die Tiere doch viel weiter.“
Mit glänzenden Augen schwärmt Andreas Scheuer von seiner Vision: „Deshalb
spricht nichts dagegen, dass Schimpansen Passagierflugzeuge fliegen. Das
geht doch heutzutage alles automatisch: Reinsetzen, anschnallen, Schalter
drücken und ab geht die Luzie!“ Verantwortungsbewusst schränkt er ein:
„Natürlich nur Kurz- und Mittelstrecke, weil die Affen nie lange auf eine
Beschäftigung fokussiert bleiben und sich dann gern anderen Dingen
zuwenden: Masturbation, Rangkämpfen, Körperpflege. Aber stellen Sie sich
nur mal vor, wie viel Lohnkosten die Airlines damit einsparen könnten. Und
die ständigen Streiks hätten auch ein Ende. So kann man bald für weniger
als einen Euro von Berlin nach Barcelona fliegen.“
Das klingt nun doch reichlich vermessen. Gewiss, wenden wir ein, sein
Ressort sei ja der Verkehr, ein (hier geht die Stimme unwillkürlich eine
halbe Oktav nach unten) „besonders stolzes, männliches und wildes
Sachgebiet“, und kein Weiberkram wie Umwelt oder Bildung. Aber ob ihm denn
wirklich alles egal sei: das Klima, die Sicherheit, die Tiere, die
Menschen, einfach alles?
„Alles ist egal“, kichert Scheuer. „Völlig piepe, wumpe, schnurz. Alles …
erlaubt. Erlaubtilaub. Hauptsache, es macht Spa-haß …“ Kurz könnte man
denken, er wäre betrunken oder verrückt. Aber das kann ja gar nicht sein,
schließlich ist er Verkehrsminister.
16 Jul 2019
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
E-Roller
Andreas Scheuer
Straßenverkehr
5G-Technologie
Brille
Cornelia Wockel
Kommunikation
Bildungspolitik
Claas Relotius
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