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# taz.de -- Die Wahrheit: Fünffach verraten und verkauft
> Auf der Suche nach jener böse strahlenden Kraft, die stets das Böse will
> und stets das Böse schafft: Das neue Mobilfunknetz 5G befeuert
> Verschwörer.
Bild: Vorsicht, Ihr Mobiltelefon kann Arschkrebs verursachen!
Ob Handy-Strahlung krebserregend ist, lässt sich weder endgültig belegen
noch final von der Hand weisen. Eins steht jedoch fest: Die geplante
Einführung des hochfrequenten Mobilfunknetzes 5G mobilisiert zahlreiche
Konspirationisten und treibt sie aus ihren Argwohnungen heraus ans Licht
der Öffentlichkeit.
Mit einem von ihnen sind wir im Super Deli „Giftküche“ verabredet. Der
exzellente Verschwörungspraktiker Cord Sümnich (42) stülpt sich den
laktosefreien Senfgras-Schierling-Smoothie „Doubletox“ in den Rachen,
während er vom Leder zieht: „Überall werden jetzt die neuen Masten
aufgestellt, um unsere Gehirnzellen flächendeckend mit vier Gigahertz zu
grillen. Chemtrails, Sedativa im Trinkwasser, das ZDF und nun auch noch 5G:
Dahinter steckt doch ein perfider Plan. Verblödung, Steuerung und absolute
Kontrolle, bis man zu allem nur noch Ja, Amen und ‚Danke, Merkel‘ sagt!“
Sümnich nimmt einen tiefen Schluck von seinem Giftcocktail. „Mit uns können
sie es ja machen. Manchmal frage ich mich, warum uns die da oben nicht
einfach totschlagen? Das ginge wenigstens schnell. Aber dann könnten sie
uns ja nicht mehr melken.“
„Die da oben:“ Diese drei Wörter müssen jedes Mal herhalten, wenn nach
einer Bezeichnung für jene geheimnisvolle Kraft gesucht wird, die stets das
Böse will und stets das Böse schafft – eine Allianz aus systematischen
Zwangsverstrahlern und sonstigen Protagonisten frankensteinischer
Menschenversuche. Stress verbreiten sie obendrein, denn spätestens, wenn
man selbst in Brandenburg Handyempfang und Internet hat, ist es auch dort
mit der herrlichen Ruhe dahin. Übrigens ist die Strahlenbelastung
tatsächlich höher, desto schlechter der Empfang ist, doch mit unnützen
Fakten wollen wir hier niemanden quälen. Schließlich sind wir doch alle
froh, dass die Schulzeit hinter uns liegt. Jetzt sind wir mündig.
## Verheerende Verwüstungen
Oder sogar weise. „Die da oben handeln verantwortungslos“, weiß auch
Professor Wolfgang Wiebe (63), der am Institut für angewandte Panikmache
der Erich-von-Däniken-Universität in Münchhausen lehrt. In seinem komplett
mit Stanniol ausgekleideten Büro zeigt sich der namhafte Hysteriker empört:
„G5? Das ist doch der aberwitzigste Beschluss seit der Anschnallpflicht.
Warum nicht gleich G6? Oder sieben? Oder tausend? Jeder, der Zeuge der
verheerenden Verwüstungen in Hamburg beim G20 war, zieht seitdem sämtlicher
Technik jenseits von G1 die Rohrpost vor.“
Da ist was dran. Immerhin geben selbst systemnahe Quellen an, dass die
Folgen erhöhter Strahlung noch nicht ausreichend untersucht sind. Man solle
das Telefon zumindest nicht in der Arschtasche tragen, denn sonst droht
eventuell Arschkrebs. Aber Genaues weiß man eben nicht, es wird schließlich
noch geforscht. Lediglich ein ausgesuchter Personenkreis um professionelle
Schwarzseher wie Sümnich und Wiebe ist von einem durch keinerlei außer den
eigenen Quellen belasteten Vorwissen erleuchtet. Zum Glück finden sich
genügend Jünger, die das alarmistische Gelärm via Social Media in die Welt
hinaustragen; Gelb-, Rot- und Schmerbauchunken klagen laut im nächtlich
dunklen Tümpel ihres stetigen Verfolgungswahns.
## Teufelswerk Dauerbestrahlung
Doch vielleicht haben sie ja recht? Denn experimentelle Tierstudien, in
deren Rahmen Ratten Handystrahlen ausgesetzt wurden, zeitigten jetzt
erstaunliche Ergebnisse. Bei einer Dauerbestrahlung in einer Dosis, deren
Höhe in Deutschland verboten ist, stieg sogar die Lebenserwartung. Das ist
Teufelswerk. Eine Ratte, der man einen Mondscheinpartnerschaftstarif beim
Anbieter Nagerfon verschafft hatte, starb erst mit 17 Jahren (normal sind
drei), und wenn ihre Tarifpartnerin, eine 30 Jahre alte Haselmaus, nicht
gestorben ist, dann telefoniert sie noch heute.
Natürlich sind die Tierversuche nur begrenzt aussagefähig, deshalb sollen
die Masten ja zügig unter die Menschen gebracht werden. Ist aber auch nicht
so wichtig, denn wir werden sowieso bald alle sterben – wenn nicht an 5G,
dann an den üblen Weichmachern, die die Bundesregierung in die Atemluft
gemischt hat.
Und dass die Strahlung sich womöglich nachteilig auf die Beweglichkeit der
Spermien auswirkt, kann man ja auch positiv sehen. Allzu kregle Spermien
sind ein echtes Ärgernis. Wer das Problem aus eigener leidvoller Erfahrung
kennt, weiß: Da wäre es fast leichter, einen Sack Flöhe zu hüten. Wer
möchte außerdem noch eigenen Kindern diesen kippenden Planeten zumuten? Den
werden sich in Zukunft die Abkömmlinge der Klimaleugner von AfD und FDP mit
Verschwörungsfreaks und Preppern teilen, die allesamt den Weltuntergang
sowie die noch weit schlimmere Mobilfunkstrahlung in ihren Bunkern
überleben. Das wird sicher sehr schön, umso mehr, wenn man das nicht mehr
miterleben muss.
16 Aug 2019
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
5G-Technologie
Mobilfunknetz
Verschwörungsmythen und Corona
Naturschutz
SUV
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Cornelia Wockel
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