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# taz.de -- Polizeigewalt bei Ende Gelände: „Natürlich kommt es zu Fehlern�…
> Felix K. sagt, ein Polizist habe ihm bei den Protesten von Ende Gelände
> den Schädel gebrochen. Die Aachener Polizei erklärt, jede Anzeige werde
> geprüft.
Bild: Begegnung zwischen Polizei und Aktivist*innen am Zugang zum Tagebau Garzw…
Köln taz | „Letzte Woche war ich dreimal im Krankenhaus. Erst haben sie
gesagt, der Bruch müsse operiert werden: Augenlid aufschneiden und den
Bruch schienen. Jetzt meinten sie, die OP sei zu gefährlich und der Bruch
heile vielleicht von selbst. Wegen des Auges soll ich in drei Wochen noch
mal kommen. Der Zahnarzt meinte, es könnte sein, dass meine oberen
Schneidezähne absterben. Die reagieren zurzeit verzögert auf Kälte – aber
das könne auch an der Schwellung liegen.“
Felix K. ist 35 Jahre alt und hat einen Schädelbasisbruch. Die Verletzung
habe ihm ein Polizist zugefügt, als er am 22. Juni an einer [1][Aktion von
Ende Gelände im Rheinischen Braunkohlerevier] teilnahm, sagt K. Rund 6.000
Klimaaktivist*innen hatten damals nach Angaben von Ende Gelände den
Tagebau Garzweiler und die Bahnschienen zu zwei Braunkohlekraftwerken
besetzt. Die Polizei Aachen erklärt, sie habe Tausende Beamt*innen im
Einsatz gehabt. Einer von ihnen, sagt K., habe ihm den Schädel gebrochen.
„Ich hatte den Zeitpunkt verpasst, um in den Tagebau zu kommen, und war auf
dem Rückweg. Zu den Polizisten hab ich gesagt, ‚Ich geh jetzt, ich geh
jetzt‘“, berichtet K. der taz. „Die waren aber nicht offen für
Kommunikation.“ Einer habe ihn in Disteln geschubst und, als er einen Weg
heraus gesucht habe, „den gepanzerten Polizeihandschuh in die Schläfe
gedroschen“.
Laut Ende Gelände hat die Polizei fünf Menschen so verletzt, dass sie ins
Krankenhaus kamen. K. war einer davon. Die Polizei gibt insgesamt 16
Polizist*innen an, die verletzt wurden oder sich selbst verletzten – etwa
durch Umknicken oder Stürze. Die Beeinträchtigungen seien überwiegend so
leicht gewesen, dass die Betroffenen ihre Arbeit fortsetzen konnten. In
vier Fällen sei vermerkt worden, dass die Verletzung im Zusammenhang mit
einer Widerstandshandlung aufgetreten sei.
Ende Gelände wirft der Polizei vor, „Menschen grundlos verprügelt“ zu
haben. Eine Sprecherin der Polizei Aachen sagt der taz: „Die Polizei hat in
unserem Rechtsstaat die gesetzliche Legitimation zur Ausübung von Zwang und
damit auch Gewalt, um polizeiliche Maßnahmen durchzusetzen.“ Die
rechtlichen Voraussetzungen müssten natürlich vorliegen. „Die Polizei ist
gesetzlich dazu verpflichtet, falls ein Fehlverhalten von Beamtinnen oder
Beamten festzustellen ist, die entsprechenden Konsequenzen folgen zu
lassen.“
## „Das generelle Gewaltverbot gilt auch für die Polizei“
Welche Konsequenzen das in der Regel sind, damit beschäftigt sich Tobias
Singelnstein. Der Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum
sowie Strafrechtler führt aktuell eine der größten Studien zu
Körperverletzung im Amt, sogenannter Polizeigewalt, durch, die es in
Deutschland bislang gegeben hat. Sein Team sei in kontinuierlichem
Austausch mit allen Ebenen der Polizei, mit führenden Beamten wie mit
Polizist*innen in Einsatzhundertschaften: „Beamte kommen auf uns zu und
berichten ihre Erfahrungen, auch Beamte, die selber zu Tätern geworden
sind.“
Aus den Statistiken der Staatsanwaltschaften geht hervor, dass jährlich
2.100 bis 2.500 Verfahren gegen Polizist*innen angestrengt werden, denen
rechtswidrige Gewaltanwendung vorgeworfen wird. 2017 – das sind die
aktuellsten Zahlen – lag die Anklagequote unter zwei Prozent. Der Anteil an
Verfahren, die eingestellt würden, sei „praktisch nirgendwo so hoch wie in
diesem Bereich“, sagt Singelnstein.
Dem Verweis der Polizei, sie sei legitimiert, Gewalt anzuwenden,
widerspricht er. Rechtlich gesehen sei es eine Ausnahmeregelung, keine
generelle Legitimation. „Das generelle Gewaltverbot gilt auch für die
Polizei.“ Das bedeutet: Nur wenn Maßnahmen auf anderem Wege nicht
durchsetzbar sind, darf die Polizei Gewalt einsetzen – und nur das
„mildeste zielführende Mittel“. Ein Polizeibeamter, „der jemanden schlä…
begeht tatbestandlich eine Körperverletzung“, so der Kriminologe. „Die
Frage ist dann, ob das durch die Befugnisse des Polizeirechts
gerechtfertigt ist, ausnahmsweise, oder nicht. Wenn nicht, handelt es sich
um eine Straftat.“
Nach dem Schlag sei er kurz bewusstlos gewesen, sagt K. „Ich kann mich erst
wieder daran erinnern, dass ein Polizist gesagt hat: ‚Dem ist nichts
passiert, komm, gehen wir.‘“ Später hätten ihm einige Zivilist*innen
geholfen. „Ich bin zum Wegrand gewackelt und hab mich wieder hingelegt. Als
sich mein Auge aufgeblasen hat, bin ich ins Krankenhaus.“ Dort sei
festgestellt worden, dass der Augenhöhlenboden bis zur Kieferhöhle
gebrochen war.
## Widerspruch zwischen Selbstbild und Praxis
Wie oft Polizist*innen Körperverletzung im Amt begehen, wisse niemand, sagt
Singelnstein. Die Zahlen in den Statistiken seien in den letzten zehn
Jahren ziemlich konstant. „Aber das sind Verdachtsfälle: Die sagen nichts
darüber aus, was ein Gericht dazu sagen würde.“ Andererseits stünden in den
Statistiken auch nur die Fälle, die zur Anzeige gebracht werden. „Wir gehen
davon aus, dass in dem Bereich ein erhebliches Dunkelfeld existiert.“
Eine Sprecherin der Polizei Aachen sagt, bislang sei zu der Aktion von Ende
Gelände eine Anzeige wegen rechtswidriger Gewaltanwendung eingegangen. Eine
abschließende Zahl sei das nicht, Anzeigen würden oft erst später
erstattet. Falls es den Verdacht einer Straftat gebe, müsse der Vorgang von
einer anderen Polizeibehörde und der Staatsanwaltschaft übernommen werden.
Jeder Fall werde geprüft. „Zudem liegt es auch in unserem eigenen
Interesse, dadurch das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit zu
wahren.“
Singelnstein sagt, bei der Polizei gebe es einen Widerspruch zwischen
Selbstbild und Praxis. „Die Polizei setzt jeden Tag hundertfach,
tausendfach Gewalt ein. Polizisten sind Menschen: Natürlich kommt es dabei
zu Fehlern und Missbräuchen. Das gehört notwendig und alltäglich zur
Polizeiarbeit dazu. Es sind also keine Einzelfälle. Es ist ein
strukturelles, ein dauerhaftes Problem der Polizei.“
Entscheidend für die Zukunft sei, ob die Polizei ihren Umgang mit
rechtswidriger Gewalt verbessere – und welche Signale die Politik sendet.
„Ob sie sagt: ‚Die Polizei macht keine Fehler, Polizeigewalt hat es nicht
gegeben.‘ Oder ob sie sagt: ‚Wir wollen eine rechtsstaatlich-kontrollierte
Bürgerpolizei, weil Kontrolle exekutiven Handelns im Rechtsstaat
dazugehört. Deshalb führen wir Sachen ein wie etwa die
Kennzeichnungspflicht.‘“ Das habe immensen Einfluss auf die Polizeikultur.
K. sagt, er habe das von ihm Erlebte noch nicht zur Anzeige gebracht. „Aber
ich hab’s vor.“
10 Jul 2019
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## AUTOREN
Anett Selle
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