Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Freibad als demokratische Errungenschaft: Kein Ponyhof
> No-go-Area, gefährlicher Ort, Brennpunkt: Das Freibad wird mal wieder zum
> Ort schlimmster Barbarei erklärt. Dabei ist es so wichtig wie das
> Parlament.
Bild: Freiheit bedeutet, dass immer irgendwo ein Bademeister auftaucht, der in …
Als kürzlich das gefährlichste Freibad der Hauptstadt geräumt wurde – ich
kam gerade aus dem zweitgefährlichsten –, fuhr ich mit dem Fahrrad an den
Menschenschlangen vorbei, die gerade geordnet das Bad verließen. Ich
klingelte, weil ich einen kleinen Jungen, der mit riesiger Sporttasche
mitten auf dem Fahrradweg lief, vorwarnen wollte, dass ich weder absteigen
wollte noch rechtzeitig bremsen können würde. Er rief: „Fick dich,
Missgeburt.“ Ich rief: „Das ist ein Fahrradweg.“ Er rief: „Geh schwimme…
du Muschi!“ Ich musste laut lachen. Gut gekontert. So eine Schlagfertigkeit
lernt man nur im Freibad.
No-go-Area, gefährlicher Ort, Brennpunkt – das Freibad wird mal wieder zum
Ort schlimmster Barbarei erklärt. Ein Status, der in der Hallenbadsaison
für großstädtische Bahnhöfe und Volksfeste reserviert ist. Dabei ist das
Freibad eine Errungenschaft, die für die Demokratie mindestens so wichtig
ist wie das Parlament. Und weder ist das Freibad noch die Demokratie ein
Ponyhof.
Früh lernt man in den wunderbar großzügigen Wasser- und Wiesenanlagen, dass
Freiheit nicht Bällebad für alle bedeutet. Freiheit bedeutet, dass immer
irgendwo ein Bademeister auftaucht, der in seine Trillerpfeife bläst. Wenn
der Lautsprecher im Freibad knarzt und kratzt, wenn die Bademeister durchs
Megafon pusten, als Vorwarnung vor dem, was jetzt kommt, steigt die
Spannung. Wer ist diesmal dran? Das kratzende Megafon läutet den
demokratischen Akt ein: Jetzt beginnt die Diskussion darüber, wer wirklich
Schuld hat und was wirklich vorgefallen ist, und schließlich ist das
Schiedsrichterurteil sowieso zu akzeptieren, weil sonst der Rausschmiss
droht.
Das Freibad ist kein Stuhlkreis und keine gated community, kein
Naherholungsgebiet und kein Fitnessstudio. Es geht hier nicht um
Naturerlebnis und auch nicht um sportliche Ertüchtigung. Das Freibad ist
einer der wenigen Orte, an dem Klassen schon an der Kasse nivelliert
werden. Es gibt nur eine Kassenschlange, keine Gästeliste. Es gibt nur ein
Becken, keine Logenbahnen. Wir schwimmen alle im selben Wasser. Fairer wäre
natürlich, nicht nur Studenten, sondern auch Arbeiter hätten ein Recht auf
Ermäßigung. Aber wo gibt es das schon?
## Frühmorgenskrieger versus Arschbomber*innen
Wer ins Freibad geht, um einfach nur ein bisschen zu schwimmen, der weiß,
dass er eigentlich am falschen Ort ist. Wer das trotzdem macht, der kennt
den einzigen Slot, an dem es möglich ist, Bahnen zu ziehen: zwischen 9 und
10 Uhr morgens. Die letzten Manager und Angestellten steigen gerade aus den
Becken und verschwinden in den Duschen, und die Kindergarten- und
Grundschulgruppen sind noch in der U-Bahn.
Was nämlich immer gern ignoriert wird, sind die Frühmorgenskrieger. Wenn es
um Stress im Freibad geht, geht es immer nur um die
Nachmittagsprotagonisten – Halbstarke, Teenager und Arschbomber*innen.
Dabei sind die Frühmorgenskrieger mindestens genauso schlimm. Meist
technisch schwach, aber mit großem Kraftaufwand pflügen sie durchs Wasser,
als hinge ihre Karriere an ihren Bahnenzeiten, und ignorieren deswegen,
dass ihre Arme und Beine in Gesichter und Bäuche abgehängter
Mitschwimmer*innen landen.
Längst überfällig sind Bademeister*innen, die diese Frühschwimmerrandale
mit Megafon und Trillerpfeife outen. Wer rücksichtslos seinen Ellenbogen
aka Schmetterling oder 6er-Beinschlag gegen andere einsetzt, sollte genauso
ermahnt werden wie der pubertierende Teenager, der grad einen anderen ins
Wasser geschubst hat.
13 Jul 2019
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Freibad
Sommer
Demokratie
soziale Klassen
Schwerpunkt Stadtland
Berliner Bäder-Betriebe
So nicht
Düsseldorf
Freibad
Berliner Bäder-Betriebe
Autobahn
Freibad
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mangel an Badeaufsicht: Rettungsschwimmer gesucht
Wie überall fehlt es auch in Kiel an Rettungsschwimmern. Das Problem sei
aber auch hausgemacht, kritisiert die Fraktion der Linken im Stadtrat.
Berliner Prinzenbad-Chefin im Gespräch: „Was Berlin ausmacht, ist hier“
Seit 2018 ist Sissy Lang die Chefin des Kreuzberger Prinzenbads. Dem
hitzigen Geschäft begegnet die gebürtige Sächsin mit der ihr eigenen Ruhe.
Kolumne So nicht: Punkt ohne Wiederkehr
Das Komma wird zunehmend vom Punkt ersetzt. Dabei ist das Komma viel
serviceorientierter. Aber auch diese Kolumne muss mal einen Punkt machen.
Nach Tumulten in Düsseldorfer Rheinbad: Gäste kommen unter Beobachtung
Nach wiederholten Räumungen des Freibads greift die Stadt durch: mit
Ausweispflicht und Videoüberwachung. Die Störenfriede haben deutsche Pässe.
Bäder-Schließungen im Norden: Spaß von gestern
Mit den Freibädern geht es bergab. Dabei sind sie einer der wenigen Orte,
wo sich Menschen aller Schichten und Altersklassen begegnen.
Berliner Bäder: Heraus zur Freibad-Saison
Karfreitag machen die ersten Sommerbäder auf. Das vergünstigte Ticket gibt
es noch bis zum 30. April, und auch für einen Schwan ist gesorgt.
Eine Fernfahrerin unter Männern: Prinzessin auf der Autobahn
Die Truckerwelt besteht aus Männern. Es gibt nur wenige Frauen, die
40-Tonner lenken. Jasmin Wucherer ist eine davon. Wir waren mit ihr auf
Achse.
Freibad mit Kulturkiosk: Die Kunst zu Fritten
Ein Projektraum, bei dem es auch Pommes gibt – mit dem Tropez holt Nele
Heinevetter die Kunst ins Sommerbad Humboldthain.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.