# taz.de -- Versandhändler Amazon wird 25: Warum kaufen Leute bei Amazon? | |
> Der US-Konzern perfektioniert die Kundenbindung – mit allerlei Tricks. | |
> Auf seine Händler- und Mitarbeiter:innen nimmt Amazon keine Rücksicht. | |
Bild: Hat immer mehr Macht: der Onlinehändler Amazon | |
Fragen über Fragen. Wie kommen die Blattläuse auf den Balkon? Woran starb | |
Alexander der Große? Und: Warum kaufen eigentlich Menschen bei Amazon? Vor | |
allem im Prime-Programm, wo Kund:innen, vereinfacht gesagt, bezahlen, um | |
einzukaufen? | |
Stellen wir die unbeantworteten Fragen einen Moment zurück und kümmern uns | |
um wasserdichte Fahrradtaschen. Solche Taschen verkauft der | |
Outdoor-Hersteller Ortlieb, und zwar unter keinen Umständen über Amazon – | |
auch wenn sich nicht ganz verhindern lässt, dass Drittanbieter die Produkte | |
dort anbieten. „Graumarktprodukte“, erläutert das Unternehmen, und dass | |
sich so etwas höchstens verhindern ließe, wenn man jedes Teil umständlich | |
mit elektronischen Trackern ausstattete. Jedenfalls: Amazon wirbt quasi | |
über Ortlieb für sich selbst. Denn wer bei Google etwa nach Fahrradtaschen | |
der Firma sucht, bekommt eine Anzeige von Amazon ausgespielt. Dahinter: | |
Graumarktprodukte. Und solche der Konkurrenz. | |
Und deshalb bekam Amazon, einen Tag vor dem 25. Firmenjubiläum am Freitag, | |
eine Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof. Dabei geht es nur vordergründig | |
um einen Streit um Markenrechte. Dahinter steht eine viel größere Frage: | |
Was darf sich ein Unternehmen, bei dessen marktbeherrschender Stellung es | |
ein Wunder ist, dass sich nicht das Wort „amazonen“ für „online bestelle… | |
durchgesetzt hat, eigentlich so erlauben? Also abgesehen von zweifelhaften | |
Steuerpraktiken, ausgebeuteten Mitarbeiter:innen und einer riesigen | |
Datensammlung über die Nutzer:innen? Und 25 Jahre nach der Firmengründung | |
ist das eine der Fragen, die tatsächlich dringend eine Antwort braucht. | |
Gäbe es irgendwo im Amazon-Firmenuniversum so etwas wie eine | |
Unwichtigkeitsliste, auf der all diejenigen stehen, auf die der Konzern so | |
überhaupt nicht gedenkt Rücksicht zu nehmen, dann stünde Ortlieb wohl | |
ziemlich weit oben. Gemeinsam mit allen anderen Herstellern, die ihre Waren | |
unter keinen Umständen über Amazon selbst oder den Amazon Marketplace – ein | |
Unterschied, der für die meisten Käufer:innen kaum zu erkennen ist – | |
verkauft sehen wollen. Weil sie sich eine besondere Beratung für ihre | |
Kund:innen wünschen, weil ihnen die eigenen Verkaufskanäle ausreichen oder | |
weil sie fürchten, dass ihre Produkte zu Ramschpreisen verkauft werden. | |
## Gesundheitsdaten könnten die Zukunft sein | |
Auf Platz zwei: Unternehmen, die über Amazon ihre Waren verkaufen. | |
Kooperation führt nicht zu Wohlwollen. Denn läuft etwas gut, ist es für | |
Amazon ganz einfach: das Produkt selbst ins Sortiment nehmen, es vom | |
Algorithmus ordentlich nach oben pushen lassen und dann die Marge | |
einstreichen. Es gibt Berichte von Händlern, deren Amazon-Präsenz unter | |
merkwürdigen Umständen gesperrt wurde. Und die dann, als sie aus dem Chaos | |
aus Entsetzen, Begreifen, Schadensbegrenzung und den Tiefen der | |
Beschwerdekommunikation mit Amazon wieder auftauchten, feststellen mussten: | |
Aha. Die verkaufen die Produkte aus meinem Sortiment jetzt also selbst. | |
Sogar das Bundeskartellamt prüft seit vergangenem Jahr, ob Amazon seine | |
Marktposition gegenüber den Händlern ausnutzt. Und seit diesem Jahr | |
ermitteln auch die österreichischen Behörden. | |
Es gibt auch noch einen dritten Platz, und da landen die Menschen, die in | |
den Lagerhallen Kopfhörer, Topf-Sets oder Unterwäsche aus den Regalen | |
fischen müssen, die Picker:innen. Gewerkschaften beklagen einen | |
fehlenden Tarifvertrag, schlechte Arbeitsbedingungen und Löhne, die nicht | |
zur Existenzsicherung reichen. Amazon stellt Vergleiche über die | |
marktübliche Bezahlung und Bilder von lachenden Mitarbeiter:innen beim | |
gemeinsamen Hüpfen im Logistikzentrum dagegen. Dabei ist die Faustregel | |
einfach: Je unwichtiger für den Umsatz, je ersetzbarer, desto weniger | |
achtet der Konzern auf pflegliche Behandlung, egal ob es sich um Händler | |
oder Mitarbeitende handelt. | |
Doch da ist jemand, der:die nicht ersetzbar ist: die Kund:innen. Amazon | |
hat das schon früh verstanden und unternimmt viel, um Käufer:innen zu | |
halten. Schnelle Lieferungen gehören ebenso dazu wie großzügige | |
[1][Retourenregelungen] und natürlich der kostenpflichtige Edel-Tarif | |
Amazon-Prime, der unter anderem diverse Streaming-Dienste gleich mit im | |
Paket hat. Das scheint für viele Kund:innen derart attraktiv zu sein, dass | |
sie im Glücksrausch einfach vergessen, beim Onlinekauf andere Plattformen | |
zu besuchen oder Preise zu vergleichen, das zeigen mehrere Untersuchungen. | |
Eine Unternehmensstrategie, für die es schon ein gewisses Maß an Chuzpe | |
braucht: Oder kann sich jemand einen Supermarkt vorstellen, bei dem die | |
Kund:innen für eine bevorzugte Behandlung einen Mitgliedsbeitrag zahlen | |
müssen, die Nudeln teurer sind als bei der Konkurrenz, aber hey, was | |
soll’s, dafür gibt es ja Orangensaft gratis? | |
Nun ist es so: Wenn alle [2][Mitarbeiter:innen in den Lagern ausgebeutet] | |
und genügend Händler und Hersteller verprellt sind, könnte Amazon | |
auffallen, dass man alleine von Kund:innen eben doch nicht leben kann. | |
Wahrscheinlicher ist aber: Sie suchen sich einfach ein neues Geschäftsfeld. | |
Mit dem Einstieg in die Produktion von Serien hat das schon geklappt, und, | |
praktischer Nebeneffekt: Dafür braucht es nicht mal mehr Picker:innen. | |
Gesundheitsdaten könnten die Zukunft sein. Und wer regelmäßig Arztberichte | |
hochlädt, bekommt jährlich einen neuen Fitnesstracker. Klingt abwegig? | |
Fragen Sie mal Amazon. | |
5 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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