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# taz.de -- Buch zur US-Innenpolitik: Die Logik der Aufstandsbekämpfung
> Keine Unterschiede? Bernard Harcourt stellt die drei letzten
> US-Präsidenten in eine Reihe. Was sie eint? Der autoritäre Verdacht gegen
> die eigenen Bürger.
Bild: Gerüstet für den Krieg: schwerbewaffnete US-Polizisten bei Protesten in…
Die Dynamik des öffentlichen Interesses an der Administration [1][Donald
Trumps] verläuft seit dessen Wahl im Dezember 2016 vergleichbar mit dem
Ausschlag eines Seismografen in einer Region, die regelmäßig und erwartbar
von Erdbeben heimgesucht wird. Trump twittert, erlässt ein Dekret oder
greift verbal daneben – die mediale Erregung ist groß, eine Welle der
Empörung schlägt hoch. Dass Empörung als unmittelbarer Affekt jedoch nicht
zwingend mit einer tiefgehenden Analyse daherkommt, ist eine Beobachtung,
die der prominente US-amerikanische Rechtswissenschaftler und im Kampf
gegen die Todesstrafe vielfach profilierte Anwalt Bernard Harcourt an den
Beginn seines kürzlich veröffentlichten Buches „Gegenrevolution. Der Kampf
der Regierungen gegen die eigenen Bürger“ stellt.
Harcourt legt eine scharfe und überraschende Analyse der derzeitigen
US-amerikanischen Regierungsverhältnisse vor, die die bekannte und oftmals
oberflächliche Kritik an der Trump-Administration weit übersteigt. Seine
These ist, dass Trump lediglich den peinlichsten Höhepunkt einer
antidemokratischen Entwicklung in den Vereinigten Staaten bildet, in deren
Kontinuität bereits auch George W. Bush und Barack Obama standen.
Diese Entwicklung, so beschreibt es Harcourt in aufschlussreichen
Detailanalysen, ist die Tendenz der Normalisierung einer Ausnahmesituation.
Militärische, aber auch zivile und somit politische Strategien der
Aufstandsbekämpfung von Seiten der Regierung finden sich inzwischen als
innenpolitisches Paradigma in den Vereinigten Staaten wieder. Harcourt
zeichnet nach, wie das Wissen und die Theorie über die geeigneten Methoden
der Aufstandsbekämpfung einst aus dem kolonialen Algerienkrieg Frankreichs
in den 1950er Jahren von den nordamerikanischen Militärakademien importiert
wurde. Und auch, wie sich rund um die Entwicklungen nach dem 11. September
2001 allmählich eine Verschiebung hin zum Einsatz der Aufstandsbekämpfung
auch im innenpolitischen Bereich ergab.
Harcourts Beweisführung ist reich an Exempeln und Illustrationen.
„Waterboarding und sarggroße Arrestkisten, Drohnenschläge außerhalb
konventioneller Kriegsgebiete“, auch eine „geheime Infiltration
amerikanischer Moscheen und muslimischer Studentengruppen“ durch das New
York Police Department, im Buch durch geleakte polizeiliche
Überwachungsprotokolle dokumentiert, markieren einen Übergang hin zu einer
Form des Regierens, bei der ein Freund-Feind-Schema innerhalb des
nationalstaatlichen Rahmens auf die eigene Bevölkerung projiziert wird. Als
Feind fungieren situations- und kontextspezifisch die abstrakten Gruppen
der amerikanischen Muslime, mexikanischstämmige Amerikaner oder
afroamerikanische Demonstranten. Regieren wird zur Aufstandsverhinderung,
Gefahrenabwehr und Vorbeugung mit militärischen, geheimdienstlichen und
ideologischen Mitteln.
## Moderne Kriegsführung gegen die Bevölkerung
Für seine Analyse dieses kontrainsurgenten Regierungsparadigmas schaut
Harcourt in die wissenschaftlichen Handbücher moderner Kriegsführung. Er
liest die Grundwerke der Theorie der Aufstandsbekämpfung, um auch abstrakt
zu verstehen, was er meint im eigenen Land schon seit Langem als sich
abzeichnende Tendenz zu erkennen. Die Kernstrategie der staatlich geführten
Aufstandsbekämpfung versteht er als eine Abfolge von drei ineinander
verzahnten Elementen.
Erstens sei dies die totale Informiertheit: „Jede Kommunikation, sämtliche
persönlichen Daten, alle Metadaten eines jeden in der Bevölkerung, müssen
gesammelt und analysiert werden.“ Zweitens gelte es, innerhalb der
Bevölkerung die sogenannte aktive Minderheit auszumachen und festzusetzen.
Große Aufmerksamkeit müsste lehrbuchgemäß drittens der Gesamtbevölkerung,
der „passiven Mehrheit“, entgegengebracht werden, insofern als ihre
Gefolgschaft und Loyalität, ihre „Herzen und Hirne“ wie Harcourt es
formuliert, gewonnen werden müssen.
Der Rechtswissenschaftler zeichnet ein Kriegsparadigma, das im absoluten
Gegensatz steht zu dem Modell der großräumigen Kriegsführung des 20.
Jahrhunderts und das inzwischen innen- ebenso wie außenpolitisch Einsatz
findet und über den militärischen Bereich hinausgeht. Überwachungsmaßnahmen
wie etwa die kurz nach dem 11. September vom Senat erlassene Section 215
des Patriot Act, erlauben der US-Regierung, massenhaft persönliche Daten
der US-Amerikaner auf rechtlichem Boden einzusammeln. Da fast jeder ein
potenzieller Aufständischer sein kann, sei eine gläserne Bevölkerung das
Ziel.
Auch in der Polizeiarbeit fänden verstärkt militärische Techniken
Verwendung. Der Bundesstaat North Dakota erlaubt seinen Polizisten qua
Gesetz, unter besonderen Bedingungen bewaffnete Drohnen einzusetzen.
## Das europäische Pendant: Frankreich
Auch die Einsatzausrüstung der Polizei wurde massiv aufgerüstet, längst
sind gepanzerte Fahrzeuge, Schallkanonen oder auf Demonstrationen
eingesetzte Gummigeschosse Normalität. Eine direkte Entsprechung auf
europäischen Boden fände sich, so die etwas weit gefasste Behauptung, in
den [2][zahlreichen Verletzungen unter den französischen
Gelbwestenprotestlern], die von der dort im Polizeieinsatz erlaubten
Gummimunition stammen.
„Wir, die Amerikaner, sind zum Ziel der Aufstandsbekämpfung geworden“,
resümiert Harcourt betroffen, und formuliert die aktivistisch anmutende
Hoffnung, es käme bald eine Zeit, in der sich die nordamerikanische
Bevölkerung gegen diese Art der „Gegenrevolution“ zur Wehr setze.
Wie diese aussehen kann, lässt Harcourt allerdings offen. Doch liefert er
ein Instrumentarium zur Beschreibung des derzeitigen US-amerikanischen
Staat-Bürger-Verhältnisses als das eines Partisanenkampfes, der neben
militärischen Mitteln auch propagandistische Mittel benötigt. Er zeigt,
dringlich und deutlich, dass sich einzelne Dekrete, innenpolitische
Entscheidungen, gar Tweets des Präsidenten, mögen sie auch wirr und
unverbunden wirken, durchaus als Strategie aus einem Guss verstehen lassen.
11 Aug 2019
## LINKS
[1] /NGO-Praesident-ueber-Rechte-in-den-USA/!5614352
[2] /Polizeigewalt-in-Frankreich/!5610995
## AUTOREN
Miryam Schellbach
## TAGS
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