# taz.de -- Die Kunst von Friedrich Einhoff: Ausweglose Einsamkeit | |
> Der Mensch, gefangen in stummer Qual: Verstörend entleerte Zeichnungen | |
> und Gemälde von Friedrich Einhoff sind in Osnabrück zu sehen. | |
Bild: Gesichtslos kollektiv: eine Einhoff'sche „Figurengruppe“ (1994, Aussc… | |
OSNABRÜCK taz | Blicklose Gesichter, wie zerfressen von Säure. Erstarrte | |
Körper, wie zersprengt, von innen heraus. Geisterhafte Konturen, wie | |
verwischt, zersetzt, umsponnen, zerflossen. Wer die Welt betritt, mit der | |
uns Friedrich Einhoffs 140 Zeichnungen und Gemälde im | |
[1][Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück] konfrontieren, begegnet | |
verstörenden, zutiefst symbolistischen Szenerien grauschwarzer Düsternis. | |
Es ist eine Bildwelt, in der ausweglose Einsamkeit herrscht: Figuren stehen | |
beisammen, ohne einander wahrzunehmen. | |
Es ist eine Welt radikaler Reduktion: Leere herrscht in ihren Innenräumen, | |
in ihrer Natur, und wo sich Farbe zeigt, ist es ein verbranntes Braun, ein | |
ermattetes Grün. Es ist eine Welt, in der das Individuum ohnmächtig | |
zurücktritt hinter das Kollektiv. Es ist eine Welt, die befremdlich ist, | |
beklemmend, bedrohlich. Es ist eine Welt der Seelenschau, in der nichts | |
existiert, das nicht gefangen ist in Selbstzweifel, verlorener Hoffnung, | |
stummer Qual. | |
Die Osnabrücker Ausstellung „Das vertraute Unbekannte“, [2][eine | |
Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle], konfrontiert mit einer Frage: | |
Was ist der Mensch? Indem sie diese Frage nicht beantwortet, programmatisch | |
nicht, fordert sie den Betrachter zur Selbsterforschung heraus. Eine | |
philosophische Versuchsanordnung hoher Rätselhaftigkeit. Wer sich ihr | |
aussetzt, verspürt Abstoßung, durch die Härte ihrer Thematiken, ihrer | |
Motive, verspürt zugleich aber den Sog, zu ergründen, was sie für uns | |
bereithält. | |
## Überarbeitete Gemälde | |
Und sie hält viel bereit. In Einhoffs Welt treten uns Mischwesen entgegen, | |
wie erschaffen aus Ding und Mensch; Gegenständlichkeit verschwimmt in | |
Abstraktion. Und dass Einhoff manches seiner Gemälde Mal um Mal | |
überarbeitet hat, oft über Jahre, über Jahrzehnte, zeugt davon, wie ernst | |
es ihm damit war, die „Unförmigkeit des Beginns“ zu dem zu sublimieren, was | |
er „Figurenspuren“ nennt. | |
Denn oft bleibt von der ursprünglichen Farbschicht nicht viel. Spachtel und | |
Schleifpapiere tragen sie ab, Einritzungen durchfurchen sie, Übermalungen | |
machen sie unkenntlich. Nur Anmutungen, nur Ahnungen des Einstigen bleiben | |
so zurück, Spuren des Vergangenen. Zuweilen ist es aber auch die | |
punktuelle, reliefierende Aufbringung von Erde, von Asche, von Sand, die zu | |
diesen Spuren führt. Weil sie den Blick auf Verborgenes lenkt. Weil sie | |
hervorhebt, was des Menschen Schicksal ist und was jede von Einhoffs | |
Figuren illustriert: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. | |
So subtil Einhoff seine Zeichnungen und Gemälde vervollkommnet, so subtil | |
ist die Hängung von „Das vertraute Unbekannte“. Sehr große Arbeiten häng… | |
neben sehr kleinen. Eine Beschilderung direkt am Objekt unterbleibt. Einige | |
Gemälde stehen auf dem Fußboden, lehnen an der Wand, viele Exponate liegen | |
gar flach auf der Erde. Ein Wagnis. Eine Anmutung, eine Ahnung des Bildes | |
erzeugt es, das Einhoffs Atelier bot. | |
„Das zielt natürlich nicht auf eine detailgetreue Nachstellung der realen | |
Situation“, sagt Mechthild Achelwilm, Kuratorin für zeitgenössische Kunst | |
am [3][Museumsquartier Osnabrück (MQ4)]. „Aber es bricht mit den Standards | |
der klassischen Präsentation von Bildern und stellt so Sehgewohnheiten in | |
Frage, zwingt zu Perspektivwechseln.“ Und dann erzählt sie. Dass sie | |
Einhoff in seinem Atelier besucht hat, ein paar Jahre vor seinem Tod. Was | |
Einhoff aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte, einer Kindheit in der | |
NS-Diktatur. | |
## Produktives Wagnis | |
Achelwilms Wagnis ist produktiv. Denn auch Einhoff geht es um | |
Perspektivwechsel. Seine Arbeiten machen bewusst, was wir oft verdrängen: | |
Die Fragilität unserer Existenz. Unsere Selbstverleugnung, fremdbestimmt in | |
Rollen zu funktionieren, die unserem eigentlichen Ich zuwiderlaufen. Unsere | |
Angst vor Nähe. Unsere Bereitschaft, Mauern um uns zu errichten, selbst | |
wenn sie für uns zum Gefängnis werden. | |
Einhoffs Figuren, ob Mensch oder Tier, ob ganzer Körper oder Fragment, sind | |
nicht vorbildlos in der Kunstgeschichte. Aber als thematisches, motivisches | |
Universum, hochkonsequent in seiner Farb- und Werkstoffwahl, stellen sie | |
eine starke, unverkennbare Handschrift dar. Und das arbeitet „Das vertraute | |
Unbekannte“ eindrücklich heraus. | |
Nils-Arne Kässens, Direktor am MQ4, auf dem Weg aus der experimentellen, | |
großgestischen Hängung des hellen Oberlichtsaals in den Kontrast der | |
verdunkelten Seitenkabinette, die, in streng klassischer Präsentation, | |
nicht zuletzt den Menschen als anonymes Gruppenwesen zeigen: „Einhoffs | |
Figuren erinnern mich stark an Samuel Beckett – das Absurde, das | |
Existenzialistische.“ | |
Es ist verdienstvoll, dass das MQ4 Einhoff zeigt, neu entdecken hilft. Der | |
Grund liegt, nicht zuletzt, in Felix Nussbaum, dem vom NS-Terror verfolgten | |
Maler der Neuen Sachlichkeit, geboren in Osnabrück, gestorben im KZ | |
Auschwitz: An sein Leben und Werk erinnert das [4][Felix-Nussbaum-Haus des | |
MQ4.] | |
„Beide, Einhoff wie Nussbaum“, so Kässsens, „thematisieren ja die | |
Verletzlichkeit des Menschen.“ Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen sich | |
im Osnabrücker Kulturgeschichtlichen Museum und Felix-Nussbaum-Haus jede | |
Ausstellung zwanghaft an Nussbaum orientieren musste, das war vor Kässens | |
Zeit. Aber bei der Werkschau des 2018 verstorbenen Einhoff bot es sich an, | |
Parallelen zu ziehen. | |
Einhoff zeigt Menschen, die Heilung suchen, aber nur Leid finden; dass der | |
Einzelne gesichtslos bleibt, hilflos, allein. Nein, es macht keinen Spaß, | |
sich das anzusehen. Aber es ist wichtig. Wer es nicht tut, erfährt nie, was | |
das ist: der Mensch. | |
30 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.museumsquartier-osnabrueck.de/ausstellung/friedrich-einhoff-das… | |
[2] https://www.hamburger-kunsthalle.de/ausstellungen/das-vertraute-unbekannte | |
[3] https://www.museumsquartier-osnabrueck.de/ | |
[4] https://www.museumsquartier-osnabrueck.de/ausstellung/sammlung-felix-nussba… | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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