# taz.de -- Idlib unter massivem Beschuss: Endrunde im Syrien-Krieg | |
> Assad versucht das letzte Rebellengebiet Idlib zu erobern. Er stößt auf | |
> erbitterten Widerstand. Kann die Türkei eine politische Lösung | |
> herbeiführen? | |
Bild: Bombardierungen, kein Vor und Zurück: Für Syriens Binnenvertriebene ist… | |
ISTANBUL taz |Ein Dorf brennt. Eine Kleinstadt liegt in Trümmern. Hunderte | |
Geflüchtete kauern in einem Olivenhain, ohne Nahrung, ohne Zelte, nur mit | |
der Kleidung am Leib, in der sie vor den Bomben flüchteten. Die wenigen | |
Bilder aus dem [1][Krieg im Nordwesten Syriens] sind erschütternd – und | |
folgenlos. „Wir werden völlig alleingelassen“, klagen syrische Aktivisten | |
in der Türkei, „niemanden interessiert mehr, was bei uns passiert.“ | |
„Sie bombardieren alles“, sagt Chirurg Wassel Aldschirk, „unser | |
Krankenhaus, Bäckereien und Märkte. Sie wollen die gesamte Versorgung der | |
Bevölkerung unterbrechen.“ Der Arzt in einem Krankenhaus in Idlib | |
berichtete der AP-Reporterin Sarah El Deeb, rund 30 Kliniken und | |
Gesundheitszentren rund um Idlib hätten ihren Betrieb eingestellt, weil sie | |
bereits bombardiert worden seien oder damit rechneten. | |
Der Krieg in Syrien ist noch einmal voll entbrannt. Die Provinz Idlib an | |
der syrisch-türkischen Grenze ist zusammen mit angrenzenden Teilen der | |
Provinz Hama die letzte Region des Landes, die noch von Aufständischen | |
kontrolliert wird. Lange Zeit hatte das Assad-Regime die Leute hier in Ruhe | |
gelassen, ja sogar besiegten Rebellen aus anderen Landesteilen erlaubt, | |
sich nach Idlib zurückzuziehen. Doch Mitte April begann eine Offensive, | |
unterstützt von der russischen Luftwaffe, um die Rebellenprovinz von Süden | |
her zu erobern. Dabei nehmen die Regierungstruppen keine Rücksicht auf | |
Zivilisten. | |
300 Zivilisten, darunter 61 [2][Kinder], starben nach UN-Angaben bereits im | |
Bombenhagel oder Artilleriefeuer, 300.000 Menschen sind bereits im | |
Rebellengebiet vertrieben worden. Sie verlassen Städte und Dörfer im Süden | |
und drängen in die Stadt Idlib und weiter nach Norden, Richtung Türkei. | |
Rund drei Millionen Menschen leben in der Provinz Idlib, gut die Hälfte von | |
ihnen floh im Laufe des Krieges aus anderen Teilen des Landes dorthin. | |
## Eine neue islamistische Gruppe ist in der Region | |
Für Syriens Binnenvertriebene ist Idlib Endstation. Die Türkei hält ihre | |
Grenze geschlossen. Das Land hat bereits 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge | |
aufgenommen. Deshalb hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan im September 2018 | |
mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Abkommen geschlossen, das | |
einen Angriff auf Idlib verhindern sollte. Gemeinsam wollten die Türkei und | |
Russland an der Frontlinie eine Pufferzone schaffen, aus der sich alle | |
Rebellen zurückziehen sollten. | |
Doch es gelang Erdoğan nicht, die Rebellen zum Rückzug zu bewegen. | |
Schlimmer noch: Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppen unterlagen | |
in einer Auseinandersetzung im Januar den Islamisten von Hai’at Tahrir | |
al-Sham (HTS), einer Nachfolgeorganisation der mit al-Qaida verbündeten | |
Nusra-Front. HTS konnte nahezu über die gesamte Provinz die Kontrolle | |
gewinnen und hat in Idlib eine „Heilsregierung“ aus Technokraten und | |
Ideologen eingesetzt. Sie sorgen für Strom, Wasser und eine medizinische | |
Grundversorgung und ermöglichen den Verkauf und die Verteilung von | |
Nahrungsmitteln. Frauen müssen sich bedecken, HTS ist aber nicht so rigide | |
wie einst der IS in seinen Gebieten. | |
Die gegen HTS unterlegenen Gruppen, die mit der Türkei zusammenarbeiten, | |
sind zwar noch in einigen Gebieten präsent, müssen im Moment aber die | |
Dominanz von HTS akzeptieren. Sie haben türkische Truppen bei | |
Patrouillenfahrten in der Pufferzone begleitet, diese hat die türkische | |
Armee aber Ende März eingestellt. | |
## Russischer und syrischer Beschuss muss aufhören | |
Bei der Offensive des syrischen Regimes wurden zuerst Orte im Süden der | |
Provinz [3][systematisch zerstört]. Erstes Ziel der Assad-Truppen ist die | |
Kontrolle der durch das Rebellengebiet führenden Autobahnen, die nach | |
Aleppo führen. Doch sie stoßen auf erheblichen Widerstand. Laut türkischen | |
und arabischen Medien hat die türkische Armee Waffen und Munition an | |
protürkische Rebellengruppen geliefert, darunter Raketenwerfer, | |
panzerbrechende Waffen und gepanzerte Fahrzeuge. Fotos zeigen, dass die mit | |
HTS verfeindeten Gruppen im Kampf gegen Assad zusammenarbeiten. Die Stadt | |
Kfar Nabudah, die die syrische Armee erobert hatte, wurde von den Rebellen | |
kurzfristig wieder besetzt und ein weiterer Vormarsch der Regimetruppen | |
zunächst gestoppt. | |
Erdoğan hat parallel dazu versucht, Putin zu einem erneuten | |
Waffenstillstand zu bewegen. Doch auch dann bliebe offen, was längerfristig | |
in Idlib geschehen soll. Die Türkei will den Status quo festschreiben – das | |
Assad-Regime will das Gebiet unbedingt wieder unter seine Kontrolle | |
bringen. Russland bewegt sich zwischen den beiden Kontrahenten. | |
Die Voraussetzung, um den Konflikt „einzufrieren“, wäre, dass der Beschuss | |
russischer und syrischer Stellungen aus Idlib heraus aufhört. Die | |
HTS-Führung soll angeblich zu Gesprächen über einen langfristigen | |
Waffenstillstand mit der Türkei bereit sein. Doch unter den HTS-Kämpfern | |
sollen viele Nichtsyrer sein, die nicht verhandeln wollen. Um ein Blutbad | |
zu verhindern, müssten westliche Länder die Türkei aktiv bei der Suche nach | |
Lösungsangeboten unterstützen. | |
13 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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