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# taz.de -- Friedliche Opposition in Syrien: Olivenzweige gegen Bomben
> In Syrien hat unsere Autorin Demonstrationen organisiert, geschrieben,
> gesprayt – ihr Widerstand gegen Assad war friedlich. Aufmerksam wurde
> niemand.
Bild: Es muss schon richtig krachen, damit in Syrien noch jemand hinschaut
Ich bin in einer kleinen Stadt in der Umgebung von Damaskus aufgewachsen.
Ein Jahr nach der Revolution, im März 2011, war das ganze Land in Aufruhr.
Überall demonstrierten die Leute. Das Assad-Regime schickte Panzer und
Scharfschützen, seine Soldaten erschossen Menschen oder sie wurden zum Tod
verurteilt.
In meiner Stadt demonstrierte niemand, Politik war kein Thema. Niemand
traute sich, der Assad-Clan hatte Syrien längst zu einer Fabrik der Angst
gemacht. Aber meine Freunde und ich hatten das Gefühl, dass es unter den
Trümmern Feuer geben müsste. Wir dachten, dass wir selbst der Funke sein
könnten, auch wenn wir uns verbrennen könnten. Und wir waren uns sicher:
Hoffnungsvoller Widerstand konnte nur gewaltlos gehen.
Wir wollten eine Demonstration organisieren. Wir wussten, wie vollkommen
selbstmörderisch eine solche Idee war. Wir hatten Angst. Aber für eine
großartige Idee wie die Freiheit zu sterben hat uns mutig gemacht. Wir
wollten die Menschen aufklären, bevor wir auf die Straße gingen. Wir hatten
eine Facebook-Seite erstellt, um die Missstände in unserem Land zu
erklären. Wir berichteten über die Demonstrationen in den Nachbarstädten.
Und wir schrieben an die Persönlichkeiten unserer Stadt, an die Lehrer,
Pfarrer und Stadträte. Wir unterzeichneten die Briefe als „Freie Frauen der
Stadt“. Es waren leidenschaftliche Reden, kraftvoll, verständlich und
einfach geschrieben, manche den Geist und andere das Herz ansprechend. Wir
wollten keine schriftlichen Antworten, wir wollten Reaktionen. Aber es gab
keine.
Am Tag vor der Demonstration erfuhren wir, dass der Geheimdienst von
unseren Plänen wusste. Der Platz, auf dem wir demonstrieren wollten, war
voll mit fremden Leuten. Junge Männer, die Muskeln prall wie Ballons, die
Stiefel schwarz und dreckig. Sie musterten uns mit finsteren Blicken, als
überlegten sie, wie sie uns am besten loswerden konnten. Wir haben uns
entschieden, nicht zu demonstrieren. Wir wollten unser Leben für die
Freiheit opfern, aber niemals aus Dummheit. Wir wären in [1][Assads
Gefängnissen] gelandet – ohne etwas bewirkt zu haben.
## Sprayen gegen Assad
Aber wir kämpften weiter. Wir wollten die Wände als Raum für unsere Worte
nutzen, die Leute aufwecken, ein Zeichen gegen Assad setzen. Wer damals
Spraydosen kaufte, lenkte den Verdacht der Regierung auf sich. Die
Verkäufer waren dazu verpflichtet, jedes Mal nach dem Personalausweis zu
fragen. Eine Freundin besorgte die Dosen, sie gab vor, Kunst zu studieren.
Zum Sprayen brauchten wir mindestens zwei Personen: eine zum Sprühen und
die andere, um Wache zu schieben. Niemand sollte uns erkennen. Deshalb
wickelten wir unsere Gesichter in unsere Hidschabs ein. Unsere Stadt ist so
klein, dass jeder jeden kennt. Bevor wir sprayten, gingen wir zehnmal die
Straßen entlang, um sicherzustellen, dass niemand da war. Ich zitterte
jedes Mal, wenn ich ein schwarzes Auto wie das meines Vaters sah. Es war
mir lieber, vom Geheimdienst erwischt zu werden als von meinem Vater. Er
war gegen die Revolution, glaubte, dass wir nichts verändern konnten. Er
dachte, ich wäre in der Schule oder beim Englischunterricht. Stattdessen
war ich auf der Straße.
Es war sehr gefährlich: Die Spraydosen in unseren Taschen klapperten, wenn
wir rannten. Der Geruch des Sprays klebte an unserer Kleidung, auf unseren
Händen hatten wir Sprühflecken. Wir wurden besser. Und schneller. Ein
kurzer Sprühnebel reichte aus, und Assad prangte an der Wand – mit
Hitlerbart. Neben die Flagge der Revolution schrieben wir: „Entschuldigung
für die Störung, wir bauen eine Heimat“. Oder einfach nur „Freiheit“, w…
die Zeit zu kurz war.
Nach der Arbeit wechselten wir die Kleidung und wischten die Tinte und den
Schweiß ab. Dann warteten wir, bis der Geruch nachließ, bevor wir sicher
nach Hause gehen konnten. Wir beobachteten die Reaktionen auf dem Rückweg.
Doch wir hörten nur abschätziges Tuscheln. Die Menschen in meiner Stadt
bewarfen uns mit ihren Worten wie mit Tomaten. Ohne zu wissen, dass wir es
waren, auf die sie zielten. Was uns viel Kraft und Zeit gekostet hatte,
blieb nicht lange an den Wänden.
## Wenn man Aufmerksamkeit nur mit Gewalt bekommt?
Keine Zeitung berichtete, kein Fernsehteam kam. Assad-Anhänger übermalten
unsere Parolen: „Assad für immer oder wir brennen das Land nieder“. Auch
die Hausbesitzer übermalten unsere Sprüche. Oder sie veränderten sie. Im
Arabischen reicht ein Punkt auf dem ersten Buchstaben von „Freiheit“ aus,
damit dort „Scheiße“ steht. Wieder hatten wir niemanden erreicht. Unser
nächstes Projekt: ein Magazin. Heimlich schrieben wir über die gewaltlosen
Widerstandsmittel von Gene Sharp in seinem Buch „Von der Diktatur zur
Demokratie“ und druckten alles im Keller eines Freundes.
Wir versuchten aufzuklären, wie effektiv und stark Frieden sein kann. Die
Verteilung war der harte Teil. Es durfte auf keinen Fall herauskommen,
woher die Magazine kamen. Wir hinterließen sie in Taxis und Supermärkten
oder schoben sie unter Haustüren hindurch. Niemand durfte uns erwischen, es
war ein Tanz mit dem Feuer. Trotzdem hat die Welt nie davon gehört, niemand
berichtete über das Magazin. Alle interessierten sich immer nur, wenn
Gewalt im Spiel war. Egal auf welcher Seite.
Einige Monate später gingen junge Leute auf die Straße, bewacht von
Soldaten der Freien Syrischen Armee. Die Soldaten hielten Maschinengewehre
in ihren Händen, die jungen Leute Farbeimer. In dieser Nacht bemalten sie
die Wände mit der Flagge der Revolution. Wir beobachteten sie mit einer
Mischung aus Trauer und Begeisterung. Sie hatten in einer Nacht mit Waffen
geschafft, was wir in sechs Monaten friedlich nicht geschafft hatten.
Widerstand braucht Aufmerksamkeit. Aber was, wenn man die Aufmerksamkeit
nur mit Gewalt bekommt? Egal, was wir uns ausdachten, unser gewaltloser
Widerstand scheiterte jedes Mal. Wie konnten wir erfolgreich kämpfen, ohne
Gewalt anzuwenden? Ich war ratlos. Mein Onkel war revolutionär, ich ging zu
ihm, fragte ihn, ob Waffen notwendig seien. Mein Onkel sagte: „Frieden ist
nicht die Taube und der Regenbogen, so schön sie auch sein mögen. Wir
brauchen das Militär, aber nur zur Verteidigung. Den Luxus zu gewaltlosem
Widerstand haben wir nicht mehr.“
Gewalt kommt bei mir nicht infrage, auch nicht zur Verteidigung. Im Krieg
ist es schwierig, den Sinn von friedlichen Mitteln zu erkennen. Wenn das
Auge viel Blut sieht, kann das Gehirn nicht mehr richtig denken. Viele
meiner Freunde haben sich extremistischen Gruppen angeschlossen. Der Rest
hat sich vor allem mit humanitärer Hilfe beschäftigt, nicht mit dem
Widerstand. Über „Demokratenschwärmer“ wie mich wurde viel gelacht. Das
Wort „Frieden“ wurde bei den Revolutionären zu einem schmutzigen Wort.
## Widerstand braucht ein Publikum
Unser Magazin erschien nicht mehr, die Spraydosen blieben halb voll im
Keller zurück. Was können Wörter und Zeichnungen gegen Panzer machen? Was
richten Olivenzweige in den Händen gegen [2][Bomben vom Himmel aus]? Später
bin ich nach Deutschland geflohen. Am Anfang war ich enttäuscht, ich habe
mich geschämt, was aus meinem Land und der Revolution geworden war. Ich
wollte das alles hinter mir lassen. Die Gewalt, das Leid, mit so viel Blut
konnte ich psychisch nicht umgehen. Doch hier fragten mich die Menschen:
„Warum üben die Syrer keinen gewaltlosen Widerstand? Wo ist der syrische
Gandhi?“
Ich frage mich dann, ob die Leute wissen, was wir alles probiert haben. Und
wie enttäuschend das war. Und ich frage mich: [3][Wo wart ihr], als die
Syrer monatelang friedlich gekämpft haben? Als die Regierung den
friedlichen Protest mit allen Mitteln erstickt hat? Als das syrische Volk
vor den Augen der Welt bekriegt wurde?
Ich weiß nicht, wie das alles passieren konnte. Ich verstehe nicht, wie
meine Freunde sich verändert haben, wie sie immer extremer wurden. Aber was
ich weiß: Wenn es mehr internationale Aufmerksamkeit für den friedlichen
Protest gegeben hätte, gerade zu Beginn, wäre der Konflikt anders
verlaufen. Manchmal denke ich, Widerstand – egal ob mit oder ohne Gewalt –
ist eine Form von Theater. Auch Theater braucht ein Publikum, sonst ist es
so, als sei nichts passiert. Wenn auf der Bühne aber nur die Gewalttätigen
stehen, dann ist dafür auch das Publikum verantwortlich. Denn es will
dieses Theater ja sehen.
27 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Sara Ali
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