# taz.de -- Solidemo für Iwan Golunow: Spaltung der Opposition | |
> In Moskau und Berlin solidarisieren sich Menschen mit dem mittlerweile | |
> freigelassenen Journalisten Golunow. Doch die Unterstützer sind | |
> gespalten. | |
Bild: Über 510 Demonstranten wurden in Moskau festgenommen, manche nur wegen T… | |
Berlin taz | Zwischen den beiden Protestaktionen liegen etwa 1.650 | |
Kilometer. Und obwohl es um dieselbe Sache geht – Solidarität mit dem | |
zeitweise festgenommenen [1][Journalisten Iwan Golunow] –, scheint es | |
tatsächlich, als fänden sie in zwei verschiedenen Welten statt. Während in | |
Berlin die Stimmung fast feierliche ist, gibt es in Moskau schwere | |
Konfrontationen mit der Polizei. | |
Über 510 Demonstranten wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation | |
Owd-Info am Mittwochnachmittag in Moskau [2][festgenommen], als sie bei | |
einem Protestmarsch gegen Polizeiwillkür demonstrierten. Mehrere davon | |
wurden von den Polizisten aus der Menge scheinbar wahllos herausgezogen – | |
in einigen Fällen nur, weil sie T-Shirts mit der Aufschrift „Ich/wir (sind) | |
Iwan Golunow“ trugen. | |
Der Protestzug war ursprünglich als Solidaritätsveranstaltung für den | |
russischen Enthüllungsjournalisten und Mitarbeiter des Nachrichtenportals | |
Meduza geplant. Dann wurde der Journalist [3][überraschend freigelassen], | |
die Demonstration untersagt. Trotzdem versammelten sich am Dienstag laut | |
Medienschätzungen rund 2.000 Demonstranten zur Unterstützung von Golunow. | |
Einige Stunden später lief eine ähnliche Protestaktion am Brandenburger Tor | |
in Berlin – hier war die Stimmung fast feierlich. In der Gruppe, die aus | |
maximal 50 Menschen bestand, kannten sich manche schon von früheren | |
Kundgebungen und freuten sich aufs Wiedersehen. Es herrschte ein Gefühl der | |
Solidarität. | |
## Willkürliche Festnahmen dank des „Volksparagrafen“ | |
„Auch in Russland wollte ich zu solchen Aktionen gehen, hatte aber große | |
Angst davor, dafür an der Uni zwangsläufig exmatrikuliert zu werden“, sagt | |
Elina Shorokhova, die in Berlin als Musikerin und Fotografin tätig ist. Mit | |
„solchen Aktionen“ meint sie Proteste gegen Korruption, die unter anderem | |
von Oppositionspolitiker Alexei Nawalny im März 2017 organisiert wurden. In | |
einem der Nachtclubs von Rostow am Don, wo sie vor ein paar Jahren Musik | |
gemacht hat, hat Elina eine Drogenrazzia der russischen Sonderpolizei OMON | |
miterlebt. | |
Die Beamten drückten die Anwesenden mit dem Gesicht zu Boden und | |
durchsuchten ihre Hosentaschen, erzählt sie. „Meins auch, obwohl ich gesagt | |
hatte, dass ich dort Musik mache. Ich hatte Angst, dass sie mir Drogen | |
unterschieben.“ Jetzt fordert sie – „mindestens teilweise“ – eine | |
Entkriminalisierung des Artikels 228 des russischen Strafgesetzbuchs. | |
Dieser Artikel bezieht sich auf Erwerb, Besitz, Transport und Herstellung | |
von Rauschgift. Er ist auch als „Volksparagraf“ bekannt, weil auf ihm, laut | |
Experten, rund ein Viertel aller Urteile in Russland beruht. | |
Auch die Strafverfolgung von Golunow basierte auf diesem Artikel. An dem | |
Tag, an dem der Enthüllungsreporter freigelassen wurde, hieß es plötzlich | |
aus der russischen Staatsduma, dass die Strafe für den Besitz von Drogen | |
ohne Verkaufszweck gemildert werden könnte. | |
## Golunow ist nur einer von vielen | |
Eine andere Teilnehmerin der Berliner Demo, die wissenschaftliche | |
Journalistin Irina Yakutenko, mutmaßt über die möglichen Absichten der | |
plötzlichen Freilassung von Golunow. Eine davon wäre: die Opposition zu | |
destabilisieren und zu spalten. | |
Tatsächlich haben die Unterstützer von Golunow unterschiedlich reagiert. | |
Die Chefs des Medienportals Meduza riefen zusammen mit anderen Journalisten | |
dazu auf, nicht an dem Protestmarsch teilzunehmen, solange dieser nicht | |
genehmigt sei. Sie wollen erst am 16. Juni mit offizieller Genehmigung auf | |
die Straße gehen. So finden zwei Demonstrationen statt, auf der jeweils | |
weniger Menschen anwesend sind. | |
„Der Versuch, die Opposition zu spalten, ist leider gelungen“, so lautet | |
die Einschätzung von Yakutenko aus Berlin. Am Brandenburger Tor sind sich | |
die Protestierenden jedoch weitgehend einig. Die Meisten betonen, dass für | |
sie der Fall Golunow erst mit der Freilassung von anderen politischen | |
Gefangenen abgeschlossen sein wird. | |
Es geht um die ukrainischen Geiseln in der russischen Gefangenschaft, um | |
die Krimtataren und um die Zeugen Jehovas, sagte Journalist und Dramatiker | |
Mikhail Kaluzhsky. „Ich glaube, dass es sogar wichtiger ist, für sie zu | |
demonstrieren, als eine einzelne Person zu unterstützen.“ | |
13 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Journalist-in-Russland-verhaftet/!5599065 | |
[2] /Demo-nach-Freilassung-Iwan-Golunows/!5599991 | |
[3] /Repression-gegen-russischen-Journalisten/!5602653 | |
## AUTOREN | |
Ekaterina Venkina | |
## TAGS | |
Iwan Golunow | |
Russland | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Kreml-Kritiker | |
Kreml | |
Moskau | |
russische Justiz | |
Iwan Golunow | |
Russland | |
Alexei Nawalny | |
Wladimir Putin | |
Iwan Golunow | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Auslieferung eines Aktivisten: Staatsanwalt vertraut Russland | |
Ist der Russe, der in Bremen in Auslieferungshaft sitzt, Bankräuber oder | |
politisch Verfolgter? Die Staatsanwaltschaft glaubt den russischen | |
Behörden. | |
Vermehrte Proteste in Russland: Ein neues Gefühl des Erfolgs | |
Die Freilassung des russischen Journalisten Iwan Golunow zeigt: Präsident | |
Putin muss Unmut ernst nehmen. Das gibt Protesten Auftrieb. | |
Kommentar Zivilgesellschaft in Russland: Wut auf den Straßen | |
In Russland scheint die Zivilgesellschaft stärker zu werden, während Putins | |
Apparat schwächelt. Aber hat die Bewegung eine Chance? | |
Demo nach Freilassung Iwan Golunows: Mehr als 400 Festnahmen | |
Trotz Freilassung des Journalisten Iwan Golunow demonstrieren Tausende im | |
Moskauer Zentrum gegen die Staatswillkür. Die Polizei greift hart durch. | |
Kommentar Freilassung von Golunow: Herrenzittern in Moskau | |
Nach sechs Tagen kommt der Enthüllungsjournalist Golunow frei. Der Kreml | |
zog die Reißleine, denn es drohte wirtschaftlicher Schaden. | |
Repression gegen russischen Journalisten: Golunow wieder auf freiem Fuß | |
Der Druck auf die russische Justiz im Fall des renommierten Reporters Iwan | |
Golunow war erfolgreich. Der Hausarrest wurde aufgehoben. |