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# taz.de -- Auslieferung eines Aktivisten: Staatsanwalt vertraut Russland
> Ist der Russe, der in Bremen in Auslieferungshaft sitzt, Bankräuber oder
> politisch Verfolgter? Die Staatsanwaltschaft glaubt den russischen
> Behörden.
Bild: Der Inhaftierte soll Demos wie diese im Oktober 2017 in St. Petersburg fi…
Bremen taz | Als A. V. am 7. Juli am Bremer Flughafen landete, erwarteten
den russischen Staatsbürger Handschellen und ein Haftraum. Denn für den
38-Jährigen, der in Spanien lebte, lag ein Auslieferungsbefehl aus Russland
vor: Der Unternehmer soll vor zwei Jahren eine Bank in Moskau überfallen
haben.
Für den Migrationsanwalt Jan Sürig und seinen Mandanten V. ist dieser
Vorwurf komplett fingiert; tatsächlich werde V. in Russland politisch
verfolgt, über Jahre habe er die Opposition gesponsert. Das sagt Sürig und
so geht es auch aus einer Erklärung des Betroffenen hervor, die ins
Deutsche übersetzt wurde. Der Unternehmer aus der Ölwirtschaft hat nun in
Deutschland Asyl beantragt. Für die Bremer Generalstaatsanwaltschaft ist
das kein Grund, an der russischen Version zu zweifeln; sie hat die
Auslieferungshaft beantragt.
Für V. beginnt sein politisches Engagement 2016. Seither will er vor allem
Kosten übernommen haben, etwa für das Drucken von Flyern und für Anwälte
von oppositionellen Aktivist*innen in Russland. Unter anderem die
[1][Kundgebung „Er ist nicht unser Zar“] im Mai 2018 habe er finanziell und
organisatorisch unterstützt.
Belege dafür hat er nicht – seinen Namen habe er als Unternehmer bewusst
aus den Medien herausgehalten; Rechnungen wiederum habe er verbrannt,
Telefonkontakte gelöscht – aus Angst vor Haft oder „körperlicher
Auslöschung“, heißt es in seiner Erklärung.
Aus der Luft gegriffen scheint diese Angst nicht, sofern man V.s Geschichte
Glauben schenkt: Schon Ende 2015 sei sein Mandant ins Visier der
Sicherheitskräfte gekommen und habe von der russischen Polizei Schutzgeld
angeboten bekommen, so Sürig. Eingegangen sei V. darauf nicht. Einige Zeit
später sei er überfallen worden. Er habe sich gewehrt, sei dafür verurteilt
und vor dem Gericht von Polizisten mit Drohungen in Empfang genommen
worden.
Der Auslöser für das Verbrennen der Daten aber war laut V. der Tod seines
Mitstreiters Pavel Rodionov; dieser hatte das Geld für die
Oppositionsbewegung gesammelt und verteilt. Im März 2018 soll der
50-Jährige unerwartet verstorben sein – kurz zuvor habe Rodionov aus Angst
geplant, das Land zu verlassen. „Es scheint mir, dass sein Tod mit seinen
Aktivitäten zusammenhängt.“
Die Festnahme V.s fällt in eine Zeit, in der Russlands Umgang mit
Oppositionellen sehr kritisch beäugt wird: Erst vergangene Woche fiel der
bekannte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ins Koma, die behandelnde Berliner
Charité geht [2][von einer Vergiftung] aus.
Die Bremer Generalstaatsanwaltschaft sieht dennoch keine Gründe dafür, V.
nicht auszuliefern. Der Bankraub in Moskau, der ihm vorgeworfen wird, habe
schließlich tatsächlich stattgefunden – und das auch noch mit „sieben
Mittätern“, „einer filmreifen Geiselnahme von zehn Mitarbeitern“ und „…
Beute von umgerechnet 5,5 Millionen Euro“, wie Oberstaatsanwalt Mathias
Glasbrenner in seiner Stellungnahme aufführt.
Der Tatvorwurf „wäre denkbar ungeeignet, um fingiert zu werden“, so
Glasbrenner. Dass die russischen Behörden sich die Teilnahme an dem
Verbrechen ausgedacht hätten, sei eine „abwegige Behauptung“. Und
Glasbrenner geht weiter: „Mit Sicherheit“ hätten die russischen Behörden
eine „Vielzahl weiterer Beweismittel für die Täterschaft“.
Allein: Wie es mit solchen Beweisen steht, ist in Bremen bisher nicht klar.
Ein Haftbefehl, in dem der Tatvorwurf plausibel gemacht wird, liegt nicht
vor.
Die russische Justiz habe laut Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Arne
Kluger, zwar eine „sehr ausführliche Sachverhaltsdarstellung“ beigefügt.
Die allerdings, so Anwalt Sürig, nehme vor allem Bezug auf einen Bankraub
aus dem Jahr 2013, bei dem nicht klar werde, wie er mit V. in Verbindung
stehe. Dazu kommt: Das Gericht, das den Auslieferungsantrag gestellt hat,
ist das Bezirksgericht Basmanny – seit Jahren [3][berüchtigt für politisch
gefärbte Strafverfahren].
Am Montag gibt es in V.s Fall eine Anhörung vor Gericht. Anwalt Sürig hat
eine sofortige Freilassung beantragt, mindestens aber eine
„Tatverdachtsprüfung“. Die lehnt die Generalstaatsanwaltschaft ab –
grundsätzlich werde der Tatverdacht im Land der Tat geprüft, weil es für
gewöhnlich nur dort die Beweise gebe, so Kluger.
## Anwalt fordert Einmischung des Bremer Rechtsausschusses
Dass V. in Moskau zusätzlich eine Verfolgung wegen politischer Aktivitäten
drohen könne, hält die Generalstaatsanwaltschaft rechtlich und praktisch
eher nicht für möglich. „Im vorliegenden Fall wird das Strafverfahren gegen
den Verfolgten V. in Moskau von der deutschen Botschaft beobachtet werden.
Im Übrigen gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass Russland sich
nicht an seine Vertragspflichten hält.“ Sonst, sagt Kluger, hätte das
„schon längst zur Beendigung des Auslieferungsverkehrs geführt“.
Sürig will sich damit nicht zufrieden geben und hat den Rechtsausschuss der
Bremer Bürgerschaft aufgefordert, die Staatsanwaltschaft auf die politische
Dimension des Falles aufmerksam zu machen. Sascha Aulepp, Vorsitzende des
Ausschusses, will sich allerdings nicht äußern: „Ich mag mir den Aufschrei
nicht vorstellen, der käme, wenn die Politik in so einem Fall in ein
Gerichtsverfahren eingreift.“
Sürig findet das falsch: „Ich nehme den Parlamentariern durchaus übel, dass
sie sich hier wegducken“, so der Anwalt. Immerhin sei die deutsche
Staatsanwaltschaft eben nicht Teil der unabhängigen Justiz, sondern der
Exekutive. „Als solche darf sie nicht völlig außer Kontrolle agieren.“
28 Aug 2020
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-05/russland-wladimir-putin-opposit…
[2] /Verdacht-auf-Anschlag-auf-Alexei-Nawalny/!5704282/
[3] https://www.dw.com/de/neun-jahre-haft-f%C3%BCr-chodorkowski-und-lebedjew/a-…
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
russische Justiz
Russische Opposition
Auslieferung
deutsch-russisch
Bremen
Generalstaatsanwaltschaft
Alexei Nawalny
Tschetschenien
Iwan Golunow
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