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# taz.de -- Die Wahrheit: Münchhausens Hagelschlag
> Wie eine Wolke brechen kann? Fest steht doch wohl: Erbsengroße
> Hagelkörner sind die Non-plus-ultra-Zeugen bei Wolkenbruch.
Als ich sechs Jahre alt war, brach ich mir das Bein. Ich fuhr mit meinem
Schlitten auf vereister Bahn gegen einen Baum. Seitdem habe ich ein
schmerzlich-inniges Verhältnis zu allem, was mit dem Wort „Bruch“ zu tun
hat – bis auf das Wort „Wortbruch“.
Besonders faszinierte mich, wenn in Wetterberichten die Rede war von
„Wolkenbrüchen“ oder „wolkenbruchartigen Niederschlägen“. Wie konnte
überhaupt eine Wolke brechen? Irgendwie hatte ich die Vorstellung, dass
dann Hagel mit im Spiel sein musste. Denn brechen konnte doch wohl nur
etwas Festes, aber keine Flüssigkeit oder gar Wolkendampf. So war ich also
von jeher an Hagel interessiert, und ich sah damals in erbsengroßen
Hagelkörnern die Non-plus-ultra-Zeugen jener Wolkenbrüche.
Wie obsolet aber wirken heute solche kindlichen Vorstellungen! „Erbsengroß“
ist längst kein ernstzunehmendes Hagelmaß mehr. Erst wurde die Erbse zur
Haselnuss vergrößert, damit der Hagelschauer überhaupt noch eine Chance
hatte, medial beachtet zu werden. Von der Haselnuss war es dann nur noch
ein kleiner Schritt zur Walnuss. Immerhin blieb man sprachlich im nussigen
Bereich. Wetterreportagen im Fernsehen gingen dazu über, Hände mit einem
Beweisstück darin zu zeigen.
Mittlerweile hat der Tischtennisball die Walnuss abgelöst. Damit ist der
Übergang in die Welt des Sports geschafft, sodass es nicht verwundert, wenn
neuerdings sogar Tennisbälle wenn nicht aus allen, so doch aus vielen
Wolken fallen.
Bilder von Unwettern unterhalb dieser Fallgröße haben keinen
Unterhaltungswert mehr. Den – Achtung! – Durchbruch zur Spitze schaffte ein
Sommergewitter in München, das Golfballgroßes vom Himmel schüttete. Da
können die antiquierten erbsengroßen Körner noch soviel Flächenschäden
angerichtet haben – ohne die Zeugenhand mit einem golfballgroßen Schurken
wirkt alles lächerlich. Neben das Corpus Delicti legt man noch einen
aufgeklappten Zollstock, damit das Maß voll ist.
Selbstverständlich wird es bei der Größe nicht bleiben. Seit unsere guten,
alten Windhosen offiziell zu Tornados aufgewertet wurden, richtet sich die
Erwartungshaltung an amerikanischen Verhältnissen aus. Dort war lange der
grapefruitgroße Ömmes vom 3. September 1970 in Coffeyville, Kansas, der
Rekordhalter, ehe ihn am 22. Juni 2003 ein fußballgroßer Eisklumpen
ablöste, der in der Morgendämmerung von Aurora, Nebraska, niederging, den
am 9. August 2010 in South Dakota sogar ein 875 Gramm schwerer Moppel
toppte.
Es gilt also, dessen Rekorddurchmesser von zwanzig Zentimetern zu
überbieten. Aber wo wird es scheppern? Und zu welchem Vergleich wird die
Medienbranche greifen? Wird es der Medizinball sein? Oder kommt das
ultimativ galaktische „meteoritengroße Hagelkorn“? Und sitzt Baron
Münchhausen rittlings oben drauf?
21 Jun 2019
## AUTOREN
Reinhard Umbach
## TAGS
Unwetter
Kindheit
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Gedicht
Gewinnspiele
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Flugscham
Lyrik
Kreuzworträtsel
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