| # taz.de -- Gewalt im Kongo: In Ituri brennen die Dörfer | |
| > Milizen treiben Zehntausende in die Flucht, die Armee reagiert nicht. | |
| > Kongos neuer Präsident verliert zunehmend die Kontrolle im Land. | |
| Bild: Tausende Menschen flüchten vor dem Konflikt aus dem Nordosten des Kongo | |
| „Gibt es den Staat noch?“, fragt Jean-Bosco Lalo. Der Präsident des | |
| zivilgesellschaftichen Dachverbandes in Kongos nordöstlicher Provinz Ituri | |
| hat in der vergangenen Woche mehr als 100 Tote gezählt – Opfer bewaffneter | |
| Überfälle auf Zivilisten der Hema-Volksgruppe in Ituri. „Dörfer sind dem | |
| Erdboden gleichgemacht oder angezündet worden“, sagt der katholische | |
| Aktivist in einem Interview mit einer kongolesischen Webseite. „Man fragt | |
| sich, ob der Staat will, dass die Leute sich gegenseitig bekämpfen“, fügt | |
| er aus leidvoller Erfahrung hinzu. | |
| Ituri, wo schon vor zwanzig Jahren Krieg zwischen Lendu- und Hema-Milizen | |
| Zehntausende Tote forderte, ist erneut Kriegsgebiet. 12.000 Familien – mehr | |
| als 60.000 Menschen – sind auf der Flucht, melden Hilfswerke. | |
| „Das Kirchengelände von Drodro zählt über 30.000 Vertriebene“, heißt es… | |
| einer Nachricht eines Priesters, die der taz vorliegt. „Sie haben keine | |
| Hilfe, keine Hygiene, es werden Kinder geboren und diese Zone ist vom Rest | |
| der Welt abgeschnitten, ohne Medikamente im Krankenhaus und ohne | |
| Lebensmittel und Munition für die paar Soldaten.“ | |
| Am Sonntag erhöhte der Zivilgesellschaftsführer des Distrikts Bahema-Nord | |
| die angegebene Zahl der bestätigten Toten allein in seinem Gebiet von 21 | |
| auf 161. 140 neue Leichen seien im Busch des Ortes Tché entdeckt worden. | |
| Viele Menschen sind aus Tché nach Drodro geflohen. | |
| ## Regierungsbündnis droht auseinanderzubrechen | |
| Seit April bereits nimmt die Gewalt in Ituri wieder zu. Die humanitäre | |
| UN-Koordinierungsstelle OCHA zählte dieses Jahr bis Ende Mai 49 getötete | |
| Zivilisten und 20 zerstörte Dörfer. Für viele kongolesische Beobachter ist | |
| die neue Gewalt in Ituri kein Zufall. Sie fällt zusammen mit dem Scheitern | |
| der Bemühungen um einen politischen Neuanfang in der Demokratischen | |
| Republik Kongo. | |
| Im Januar wurde in dem Land Félix Tshisekedi von der historisch größten | |
| Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) zum | |
| Sieger der Präsidentschaftswahl von Dezember 2018 erklärt, obwohl | |
| unabhängigen Zählungen zufolge [1][der radikalere Oppositionsführer Martin | |
| Fayulu gewonnen hatte]. | |
| Tshisekedi verdankte das einem Bündnis mit dem scheidenden Präsidenten | |
| Joseph Kabila, mit dem er eine Koalition einging – aber knapp ein halbes | |
| Jahr später gibt es immer noch keine neue Regierung, das Parlament zog am | |
| Wochenende ohne Bestätigung eines neuen Kabinetts in die Sommerpause und | |
| das Kabila-Tshisekedi-Bündnis steht vor dem Bruch. | |
| Wann immer der neue Staatschef Entscheidungen trifft, ohne um Erlaubnis zu | |
| fragen, gibt es Streit mit dem Kabila-Lager. Jüngster Anlass: die | |
| Bestellung einer neuen Leitung für Kongos staatliche Eisenbahn, nachdem | |
| deren Direktor neuer Premierminister wurde. | |
| Die entsprechenden Dekrete habe Präsident Tshisekedi wohl „unbewusst“ | |
| unterschrieben, höhnte am Montag vergangener Woche der Kabila-Loyalist | |
| Charles Nawej im Parlament – und erntete wütenden Protest der UDPS, deren | |
| Jugendaktivisten das Parlament belagerten und landesweit Büros von | |
| Kabila-Loyalisten anzündeten, auch das von Nawej in der Hauptstadt | |
| Kinshasa. | |
| Parallel dazu hat die um den Wahlsieg betrogene Fayulu-Opposition, die | |
| zunächst Tshisekedi als kleineres Übel hinnahm, die Mitarbeit im Parlament | |
| aufgekündigt. Der Grund: Kongos Verfassungsgericht – das den Wahlbetrug | |
| zugunsten Tshisekedis bestätigt hatte – hat bei der Prüfung von | |
| Wahlbeschwerden mittlerweile 33 Abgeordnete des | |
| Fayulu-Oppositionsbündnisses Lamuka aus dem Parlament geworfen und durch | |
| Kabila-treue Nachrücker ersetzt. | |
| Lamuka ist im Parlament nun um ein Viertel geschrumpft. Eines der Opfer, | |
| Exminister Jean-Claude Kibala, rief jetzt zum Widerstand auf. „Kabila will | |
| zeigen, dass er der Boss ist“, sagte er in einem Interview und erklärte | |
| selbstkritisch, die Opposition trage Mitverantwortung, da sie zunächst den | |
| Wahlbetrug gegen Fayulu hingenommen habe: „Wir wollten Demokratie spielen. | |
| Wir taten so, als würden wir die Wahlergebnisse akzeptieren, und vor uns | |
| hatten wir Gegner, die keine Grenzen kennen.“ | |
| ## Armee macht alten Bekannten für Gewalt verantwortlich | |
| Die Gangart des Kabila-Machtapparates, der nach wie vor Kongos | |
| Sicherheitsorgane kontrolliert, verhärtet sich. Dem mächtigsten | |
| Lamuka-Führer Moise Katumbi, der vor wenigen Wochen triumphal aus dem Exil | |
| nach Lubumbashi heimkehrte, wird die Tour durch das Land verweigert: Eine | |
| Landung in Goma wurde abgesagt, wann er nach Kinshasa darf, bleibt unklar. | |
| In Ituri, sagte am Sonntag Ituris Parlamentspräsident Siméon Banga, ging | |
| den Massakern der verordnete Rückzug der Armee aus den betroffenen Gegenden | |
| voraus. Hema-Gruppen in Ituri fühlen sich wie in der Vergangenheit als Ziel | |
| eines staatlich ermutigten „Völkermordes“. Mit einem Generalstreik legten | |
| sie vergangene Woche die Provinzhauptstadt Bunia lahm. | |
| Die Armee macht für die neue Gewalt in Ituri einen alten Bekannten | |
| verantwortlich: Mathieu Ngudjolo, während des Krieges zwischen 2002 und | |
| 2003 ein Anführer des mit Kabilas Armee verbündeten Lendu-Milizenverbandes | |
| FNI (Front der Nationalisten und Integrationisten) und 2008 an den | |
| Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert. | |
| [2][Ngudjolo wurde 2012 freigesprochen] und 2015 in den Kongo | |
| zurückgebracht, wo die Regierung ihn an einen geheimen Ort brachte und | |
| seine Rückkehr nach Ituri in Aussicht stellte. Am vergangenen Freitag | |
| erklärte Kongos Armeeführung zu den „terroristischen Handlungen“ in Ituri, | |
| man gebe bekannt, „dass all diese Übergriffe das Werk eines gewissen | |
| Ngudjolo sind“. | |
| 17 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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