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# taz.de -- Analyse Urteil gegen Kriegsverbrecher: Späte Strafe für Kongo-Sch…
> Mit dem Schuldspruch gegen Milizenführer Bosco Ntaganda kehrt der
> Internationale Strafgerichtshof zu früherer Härte zurück. Details sind
> aber fragwürdig.
Bild: Schuldig in 18 Anklagepunkten: Warlord Bosco Ntaganda
Berlin taz | „Es waren Leichen von Männern, Frauen und Kindern, auch
Babys“, steht auf den Seiten 308 und 309 des Urteilstextes. „Manche waren
nackt. Manche waren gefesselt. Manchen war die Kehle durchgeschnitten.
Manche waren enthauptet. Manche hatten Messerstiche. Manchen hatte man die
Gedärme entnommen. Manchen fehlten die Genitalien. Mindestens einer
Frauenleiche hatte man offenbar ein Baby aus dem Bauch geschnitten.“
Die 49 Toten vom Bananenhain von Kobu Ende Februar 2003 sind das wohl
schrecklichste Einzelverbrechen, für das Bosco Ntaganda, Militärchef der
kongolesischen Rebellenbewegung UPC (Union Kongolesischer Patrioten) und
ihres bewaffneten Arms FPLC (Patriotische Kräfte zur Befreiung des Kongo),
am Montag vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH)
verurteilt worden ist.
Die 6. Strafkammer des Weltgerichts sprach den [1][Warlord in allen 18
Anklagepunkten schuldig]: Mord, Angriffe auf Zivilisten, Vergewaltigung,
sexuelle Versklavung, Verfolgung, Plünderung, Zwangsumsiedlung,
Vertreibung, Kinderrekrutierung, Angriffe auf geschützte Objekte,
Zerstörung von Besitz, jeweils als Kriegsverbrechen oder/und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit.
Nachdem der IStGH zuletzt den ehemaligen Präsidenten der Elfenbeinküste,
Laurent Gbagbo, sowie in der Berufung den ehemaligen Vizepräsidenten des
Kongo, Jean-Pierre Bemba, freigesprochen hatte, kehrt es mit dem
Schuldspruch gegen Ntaganda zu einer harten Linie zurück – und zum
juristisch umstrittenen Konzept eines „gemeinsamen Plans“, mit dem Führer
einer Organisation gemeinsam für die Taten dieser Organisation haften.
## Ein militärischer Führer, kein politischer
Das liegt auch daran, dass Bosco Ntaganda, Soldat seit dem Alter von 17
Jahren und an [2][allen Kriegen Ruandas] und Kongos von 1991 bis zu seiner
Festnahme 2013 beteiligt, ein reiner Militärverantwortlicher ist. Er ist
kein politischer Führer wie Gbagbo, Bemba oder auch der in Deutschland vor
Gericht gestellte ruandische Milizenpräsident Ignace Murwanashyaka, der im
April in der Haft verstarb.
Die UPC-Rebellenbewegung rekrutierte sich aus der Hema-Volksgruppe in
Kongos Nordostprovinz Ituri. Sie wurde von Ruanda und von kongolesischen
Tutsi-Kämpfern wie Ntaganda unterstützt, da ihre Feinde der
Lendu-Volksgruppe mit Hutu-Milizen zusammenarbeiteten. UPC-Führer nannten
ihre Gegner kollektiv „Terroristen und Völkermörder“ und bezeichneten ihr…
eigenen Krieg als „Revolution“. Der „gemeinsame Plan“ der UPC/FPLC-Füh…
so der Richter in seinem mündlichen Urteil, war, „alle Lendu aus den
angegriffenen Gebieten zu vertreiben“ und „die Lendu-Gemeinschaft zu
zerstören und zu zerschlagen“.
Ntaganda hatte ab 1999 in einer „Chui Mobile Force“ Hema- und Tutsi-Kämpfer
gesammelt, die in Uganda ausgebildet und von Ruanda ausgerüstet wurden. Er
stellte sie der UPC als Armee zur Seite, als diese sich 2002 angesichts
zunehmender Massaker und Vertreibungen von Hema von einer politischen in
eine bewaffnete Gruppe verwandelte. Ntaganda stieg zum Stabschef auf. Er
organisierte seine Kämpfer als reguläre Armee. Die UPC eroberte im August
2002 Ituris Hauptstadt Bunia und weitete danach ihre territoriale Kontrolle
aus.
Ntaganda plante und leitete dem Urteil zufolge die Eroberung von Mongbwalu
im November 2002, Herz des Goldbergbaus der Region. Der Befehl habe
gelautet, „auf alles zu schießen, was sich bewegt“, sagte ein beteiligter
Soldat aus. Sein Kommandeur Salumu Mulenda habe versprochen, nach der
Einnahme von Mongbwalu würden die Buschkämpfer „Geld erhalten, auf
Matratzen schlafen, zu Essen bekommen und Frauen haben“.
## Gericht hält Zeugenaussagen für glaubwürdig
Ntaganda bezog Quartier im Wohnheim der Goldmine, während die UPC-Kämpfer
von Haus zu Haus gehen durften, „um zu plündern und Menschen, die
Widerstand leisteten, zu verschleppen, einzuschüchtern und zu töten“, so
das Urteil. Als ein alter katholischer Lendu-Priester, Abbé Bwanalonga, zu
Ntaganda gebracht wurde, sah ein Zeuge laut Urteil, „wie Ntaganda den Abbé
verhörte und ihn dabei mit einem Holzscheit schlug. Dann schoss Ntaganda
den Abbé tot.“ Auf diesen Vorfall gründet die Verurteilung des Warlords
wegen Mordes in „direkter Täterschaft“.
Nach der Einnahme von Mongbwalu jagten die UPC-Soldaten den Feind weiter.
Im Ort Sayo soll Ntaganda der Brigade von Mulenda befohlen haben, mit
Raketen auf eine Gruppe von Zivilisten zu schießen, die einen Berg
hinaufstiegen.
Das Gericht belastet Ntaganda auch mit diesem Vorfall, obwohl es dabei
keine Verletzten gab, und hält die Zeugenaussage dazu für „glaubwürdig und
verlässlich“, obwohl sogar laut Urteil keine schweren Waffen nach Sayo
gebracht worden waren und die Zivilbevölkerung Sayo da bereits verlassen
haben soll.
## Ein Anführer der Gegenseite kam frei
Bei solchen Einzelheiten bewegen sich die Den Haager auf dünnem Eis. Es
befremdet auch, dass einer der Lendu-Milizenführer von damals, Mathieu
Ngudjolo, in Den Haag vor Jahren freigesprochen wurde – er führt heute
wieder Krieg gegen Hema-Dörfer in Ituri. Der Hema-Seite wird ihre bessere
Organisation zum Verhängnis.
Unstrittig ist aber das Massaker vom Bananenhain von Kobu. In diesem Dorf
hatte die UPC ein Gefängnis in einem verlassenen Haus namens „Paradiso“
eingerichtet. Lendu-Frauen mussten dort für die UPC-Soldaten kochen oder
wurden vergewaltigt. Eines Nachts wurden die Lagerinsassen hinausgeführt
und im Bananenhain erschossen. Die Zeugin, die das schilderte, blieb am
Leben, weil UPC-Kommandeur Mulenda sie zum Beischlaf abkommandierte. All
dies nahm vor Gericht breiten Raum ein, die Leichen wurden exhumiert.
Aber Ntaganda selbst war gar nicht in Kobu. Er soll lediglich Mulenda
gelobt haben. Bleibt die Frage, warum Mulenda selbst nicht vor Gericht
steht. Die Antwort: Er verließ 2003 die UPC, wurde regierungstreu und starb
2011 in einem Hinterhalt als Oberstleutnant der kongolesischen Armee.
Ntaganda, der sogar Armeegeneral geworden war, zog 2012 in den Krieg als
Rebell, stellte sich 2013 der US-Botschaft in Ruanda und wurde nach Den
Haag überstellt.
9 Jul 2019
## LINKS
[1] /Schuldspruch-in-Den-Haag/!5605921
[2] /25-Jahre-nach-dem-Genozid-in-Ruanda/!5583511
## AUTOREN
Dominic Johnson
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