# taz.de -- Rechtsextreme etablieren sich: Präsenz im Shopping-Paradies | |
> Im schleswig-holsteinischen Neumünster eröffnen Rocker einen Laden in | |
> bester Innenstadtlage. Mit dabei ist der Neonazi Peter Borchert. | |
Bild: Am Anfang gab noch keine zweifelhaften Mieter: Die Holsten-Galerie bei ih… | |
NEUMÜNSTER taz | Auf den ersten Blick zieht im schleswig-holsteinischen | |
Neumünster am Samstag bloß ein Tattoo-Laden um. Und zwar in ein | |
Shopping-Center in bester Lage – direkt am Bahnhof und mitten in der | |
Innenstadt. In der Mittagspause bummeln gern Jugendliche durch die | |
„Holsten-Galerie“ mit den rund 90 Geschäften, Cafés und Restaurants. Nun | |
kommt eben mit dem „Famous Tattoo – Lifestyle Store“ ein weiteres Geschä… | |
hinzu. Das Problem offenbart sich erst auf den zweiten Blick: Hinter diesem | |
Tattoo-Laden stecken Rocker, einer von ihnen mit einschlägig rechtsextremer | |
Vergangenheit. | |
Der offizielle Mieter des Ladens und Geschäftsführer ist Christian Franz. | |
Der Umzug in die „Holsten-Galerie“ ist nicht bloß ein Imagegewinn. | |
„Strategisch interessanter“, erklärt er die Neueröffnung am besseren | |
Standort. Im Impressum der Website taucht dann aber nicht Franz, sondern | |
ausschließlich Bandido-Mitglied Matthias Stutz auf. Und es gibt ein Foto, | |
auf dem Stutz und Peter Borchert, Mitglied des Rocker-Klubs Bandidos, | |
lässig am Eingang des Tattoo-Studios an einer Säule lehnen. Über die beiden | |
Rocker und deren Rolle im Geschäft reden wollte Franz auf Nachfrage der taz | |
am Telefon nicht. | |
Dass eben jener Borchert eine Woche zuvor im alten Laden noch | |
selbstverständlich ans Telefon ging – tut offenbar nichts zur Sache. Per | |
Kurznachricht teilte Franz kurz danach mit, dass Stutz „angestellter | |
Mitarbeiter im Bereich Shop-Management“ sei, und betonte, dass zu Borchert | |
„keine geschäftlichen Verbindungen“ bestünden. | |
Borchert ist in Neumünster kein Unbekannter. Schon vor fast zehn Jahren | |
bemühte er sich als Vizepräsident des 2010 vom schleswig-holsteinischen | |
Innenministerium verbotenen „Probationary Chapter Neumünster“ seinen | |
Einfluss in Neumünster auszudehnen. Heute wird sowohl im Rocker-Milieu als | |
auch in Polizeikreisen vermutet, dass sich die Bandidos mit Borchert vor | |
Ort wieder stärker verankern wollen. Ein Sprecher der Polizei Neumünster | |
sagt, man habe die Neueröffnung sehr wohl im Blick und es sei auch bekannt, | |
wer hinter dem Tattoo-Studio stecke. Derzeit sehe man aber keine | |
Anhaltspunkte für Proteste gegen den Laden und seine Betreiber. | |
Borchert ist ein Rocker aus der rechtsextremen Szene. Er hatte den | |
NPD-Landesvorsitz in Schleswig-Holstein inne, wirkte im Netzwerk der | |
Autonomen Nationalisten mit und führte den „Club 88 the very last resort“ | |
wesentlich mit an. Der 1996 eröffnete „Club 88“ im Neumünsteraner Stadtte… | |
Gadeland war jahrelang ein Treffpunkt für Neonazis aus ganz Europa, bis er | |
Anfang 2014 schloss. | |
Der 45-jährige Borchert verbrachte insgesamt mehr als zehn Jahre seines | |
Lebens in Haft. Bereits als Jugendlicher wurde er wegen eines | |
Tötungsdeliktes verurteilt. Körperverletzungsdelikte folgten. 2004 | |
verurteilte ihn das Landgericht Kiel wegen mehrerer Verstöße gegen das | |
Waffengesetz. Die Waffen sollen für den Kampf der militanten Neonazi-Gruppe | |
„Combat 18 Pinneberg“ gewesen sein, so lautete die Anklage. | |
In Norddeutschland war Borchert außerdem einer der ersten Aktivisten der | |
rechtsextremen Szene, die sich gleichzeitig auch im Rocker-Milieu bewegten. | |
Prompt stand der durchtrainierte Tattoo-Träger wegen Auseinandersetzungen | |
mit anderer Rocker-Klubs vor Gericht. Das Landgericht Kiel verurteilte ihn | |
2011 wegen eines Messerangriffs zu drei Jahren und neun Monaten Haft. | |
Borchert steht also für eine bestimmte Entwicklung, die in Neumünster | |
bereits vor zehn Jahren einsetzte: eine Mischszene aus Rechtsextremen um | |
den „Club 88“ und dem Rocker-Klub Bandidos. Diese beiden Milieus haben | |
gemein, dass sie sich als „elitäre Outlaws“ inszenieren, sagt Johanna Sigl | |
vom Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus. Die Gemeinsamkeit | |
läge in den „gewalttätigen Männlichkeitsentwürfen“, die mit einem | |
„Frauenhass“ einhergehe. | |
Auch nach dem offiziellen Aus des „Probationary Chapter Neumünster“ im Jahr | |
2010, dessen Chef Borchert war, hörte das Netzwerk nicht auf, weiter mit | |
Prostitution und Drogengeschäften Geld machen zu wollen. Aus der Haft | |
heraus soll Borchert seine Geschäfte weitergeführt haben, heiß es | |
jedenfalls im Rocker-Milieu. Die Polizei sieht Borchert als „eine Person, | |
die der organisierten Kriminalität zuzurechnen“ ist. Und es soll auch | |
Borchert gewesen sein, der Stutz nach dessen Rausschmiss bei den Bandidos | |
wieder zurückgeholt hat. Stutz, Spitzname „Lütten Man“, war anfänglich b… | |
den Hells Angels in Hamburg. Musste diesen Rocker-Klub aber verlassen. | |
Mit Christian Franz betreibt Stutz in Neumünster nicht bloß das | |
Tattoo-Studio. Am Brunnenkamp führen sie seit einigen Monaten die | |
„Lifestylebar“, wie sie es selbst nennen: „The Edge“. Die Eckkneipe | |
eröffneten sie am 31. November 2018. After Work Clubs und Ladies Nights | |
werden angeboten. Der Laden soll gut laufen. Längst sei er ein Treffpunkt | |
von Rocker-Klub-Mitgliedern, „Fans“ der Rocker und Junkies, wird zumindest | |
im Szenemilieu getratscht. | |
Auch die Stadt Neumünster weiß, wer da in das Shopping-Center in bester | |
Innenstadtlage zieht. Aber es sei eben nur ein Umzug, es handele sich bei | |
der „Holsten-Galerie“ außerdem um einen privaten Vermieter und damit sei | |
die Angelegenheit eine Privatsache, sagt der Sprecher der Stadt. Das | |
kommentiere man nicht weiter. | |
14 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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