# taz.de -- Leben an der Autobahn: Die Brücke der Tiere | |
> Die Grünbrücke über die Autobahn A7 bei Bad Bramstedt verbindet | |
> Lebensräume von Tier- und Pflanzenarten. Ein Besuch. | |
Bild: Große Ausnahme: Besucher*innen erkunden die Grünbrücke bei Bad Bramste… | |
Bad Bramstedt taz | In der Mitte der mit jungen Bäumen und Sträuchern | |
bepflanzten Grünbrücke, die über die A7 bei Bad Bramstedt führt, macht sich | |
Wolfgang Springborn daran, die Speicherkarten seiner Fotofallen | |
einzusammeln. Er hat Kameras aufgestellt, um zu sehen, welche Tiere die | |
Brücke nutzen, um sicher auf die andere Seite zu gelangen. Alles, was hier | |
kreucht und fleucht, wird aufgezeichnet, kontrolliert und protokolliert – | |
mit überraschenden Ergebnissen. | |
„Jogger, Fahrradfahrer, Motorroller und sogar ein Auto sieht man auf den | |
Bildern“, sagt Springborn, der ehrenamtlicher Wolfsbetreuer ist. „Für die | |
Tiere ist das schlimm, denn die Duftmarke der Menschen kann sie für Tage | |
vertreiben.“ | |
Mit der Kameraausstattung fotografiert er eigentlich Wölfe. Auf der 51 | |
Meter breiten Grünbrücke macht er Bilder, um zu zeigen, dass sie | |
funktioniert. | |
Er hofft darauf, dass die fünf sich selbst auslösenden Kameras | |
Wildschweine, Damhirsche oder Hasen erfassen. Springborn will so zum | |
Artenschutz beitragen. Dass hier, wenige Meter über der frisch ausgebauten | |
sechsspurigen Autobahn überhaupt Tiere vorbeikommen, ist erstaunlich. | |
65.000 Autos brettern hier täglich entlang. | |
Mehr als 70 solcher Wildbrücken gibt es in Deutschland, fünf davon in | |
Schleswig-Holstein. Beim A7-Ausbau wurde die knapp fünf Millionen Euro | |
teure Brücke errichtet. Zwei gibt es jetzt zwischen Hamburg und dänischer | |
Grenze. Sie bieten Tieren einen sicheren Weg über verkehrsreiche Straßen. | |
Besonders flugunfähige Arten werden durch Autobahnen beeinträchtigt, auch | |
Kriechtiere, Insekten und sogar Pflanzen brauchen die Querungshilfen. | |
## Mosaik aus Lebensräumen | |
Es ist belegt, dass Grünbrücken helfen können, die biologische Vielfalt zu | |
bewahren, weil Tier- und Pflanzenarten zwischen Lebensräumen wechseln | |
können. Großtiere nutzen die Überführungen, um zu Weideflächen zu gelangen, | |
und dienen dabei wiederum der Verbreitung von Pflanzensamen. | |
Springborn meint, dass die Fotos von Tieren auf der Brücke helfen sollen, | |
Kritiker zufrieden zu stellen. Besonders der Rothirsch sei beliebt – obwohl | |
er hier vergleichsweise selten vorbei laufe. Für die Politik war er | |
trotzdem das schlagende Argument, die Grünbrücke zu errichten. „Er macht | |
sich gut auf Fotos“, sagt Springborn lächelnd. | |
Die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein hat sich nicht nur für die | |
Grünbrücke eingesetzt, sondern versucht, in ihrem Umfeld Gebiete wieder zu | |
renaturieren und miteinander zu vernetzen. Landschaftsökologe Björn Schulz | |
leitet das deutschlandweit einmalige Projekt. Für die Stiftung führt er | |
jährlich Menschen durch den Wald, um ihnen zu erklären, wie komplex und | |
fragil die Ökosysteme hier sind. | |
Heute ist er mit einer Gruppe Naturinteressierter in der Feldmark in der | |
Nähe der Grünbrücke unterwegs. Organisiert wird die Führung von der | |
Metropolregion Hamburg und der Loki-Schmidt-Stiftung zum Langen Tag der | |
Stadtnatur. „Das hier ist ein Mosaik aus vielen sehr unterschiedlichen | |
Lebensräumen“, erklärt Schulz, „deshalb ist die Vernetzung ist hier | |
besonders wichtig.“ Bei Bad Bramstedt findet sich eines der wenigen Gebiete | |
in Schleswig-Holstein, wo Moore, Heiden, Wälder, Magerrasen und Gewässer in | |
einer kleinräumig besonders verzahnten Vielfalt und Qualität vorkommen. | |
Die Grünbrücke soll das miteinander verbinden. Damit die Tiere sie | |
überhaupt betreten, müssen sie sie aber erst mal finden. Dafür wiederum | |
müssen ihre natürlichen Lebensräume großflächig rückgestaltet werden. „… | |
meisten gehen hier durch und denken, der Wald ist Natur pur“, sagt Schulz. | |
„Dabei hat das nichts mit Artenschutz oder Natur zu tun, sondern ist | |
intensivste Kulturlandschaft, die dazu geführt hat, dass alles, was hier | |
heimisch war, weg ist.“ | |
40 bis 50 Hektar Land an der Grünbrücke hat die Stiftung Naturschutz von | |
Privateigentümern gekauft oder gepachtet. Der A7-Ausbau hat so | |
paradoxerweise dazu geführt, Umwelt- und Artenschutz voranzutreiben. Denn | |
Wildbrücken sind nur vorgeschrieben, wenn eine Straße neu gebaut oder | |
verbreitert wird. | |
Als die Gruppe an einer Stromtrasse ankommt, macht Björn Schulz auf eine | |
bedrohte Tierart aufmerksam, die in ganz Norddeutschland ironischerweise | |
nur noch hier zu finden ist: der Thymian-Blattkäfer. Schulz hatte ihn | |
während der Vorbereitungen zum Bau der Grünbrücke entdeckt und damit | |
Euphorie unter Artenschützern ausgelöst. Der regenbogenfarbene Chrysolina | |
Cerealis lebt ausschließlich an Thymian, und der wächst nur an besonders | |
trockenen Stellen. Wegen seiner Flugunfähigkeit ist der Käfer auf kurze | |
Wege angewiesen. Verschwindet der Thymian, verschwindet auch er. „Der Bau | |
dieser Stromtrasse hat also etwas Gutes“, sagt Schulz, „die entbuschten | |
Flächen können sich zu artenreichen Magerrasen entwickeln.“ | |
Entlang der Trasse geht die Führung weiter. Das Gras wird höher, die | |
Umgebung wilder. Schmetterlinge und Insekten schwirren durch die Gegend. | |
Trotz der Autogeräusche und der Strommasten ist es beinahe idyllisch. Vor | |
der Gruppe liegt ein kleines Moor. Laien würden sagen, es sieht unberührt | |
aus. Doch das hochkomplexe Ökosystem Katenmoor war einst viel größer. Für | |
den Fichtenanbau habe man dem Moor „den Stöpsel gezogen“, sagt Schulz. „… | |
das rückgängig zu machen, müsste man 120 Eigentümer überzeugen.“ Das sei | |
aussichtslos. Heute ist zumindest das restliche Moorstück ein | |
Naturschutzgebiet. | |
Im Entenmarsch geht es vorbei an Gerstenfeld und Fichtenwald. Die Fichte | |
trägt ihren Teil dazu bei, dass Biotope und Arten verschwinden. „In | |
Wahrheit betreibe ich hier einen Kampf gegen die Fichte“, sagt Schulz, | |
„denn die Nachfrage in der Forstwirtschaft ist hoch.“ | |
## Ein Rudel Damhirsche | |
Am Waldrand erstreckt sich die Betonschneise der A7, soweit das Auge | |
reicht, von links nach rechts. Hier wird klar, wie dramatisch Autobahnen | |
die Lebensräume der Tiere zerschneiden. Langfristig müsse sich die | |
Gesellschaft auf den Naturschutz in vollem Umfang einlassen, mahnt Schulz. | |
„In Sachen Artenschutz fahren wir gerade mit Tempo 100 gegen die Wand.“ | |
Doch er hat auch Hoffnung: „Naturschutz und Straßenbau müssen sich nicht | |
widersprechen.“ Er deutet auf die Grünbrücke. „Dieses Projekt zeigt, dass | |
man beide Vorhaben gut miteinander kombinieren kann.“ | |
Wolfsbetreuer Springborn stößt wieder zur Gruppe und erzählt aufgeregt von | |
einer Begegnung vor wenigen Minuten. „Damhirsche, acht Stück, die sind hier | |
gerade noch drübergelaufen, ein ganzes Rudel.“ Damit bald möglichst viele | |
Arten die Grünbrücke als ihren Lebensraum annehmen, wurden dort Sträucher | |
und Bäume gepflanzt, Magerrasen ausgesät und Baumstümpfe verteilt. Momentan | |
ist es vor allem sandig. Ihren Zweck erfüllt die Brücke trotzdem schon. | |
14 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Till Wimmer | |
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