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# taz.de -- Plädoyer für Kuscheltiere: Ein weicher Freund, der schweigt
> Plüschtiere sind nur was für Kinder? Quatsch, sagt unsere Autorin und
> fordert ein Umdenken. Selbst genäht sind sie ihr am liebsten.
Bild: Die Druffikuscheltiere haben es sich auf der Couch bequem gemacht – in …
Mein neuer Kumpel Helge hat ein bezauberndes, verschmitztes Lächeln und ist
auch sonst sehr süß. Er hängt am liebsten den ganzen Tag bei mir ab und
wartet geduldig, bis ich wieder nach Hause komme. Helge war mal ein
verfilzter und eingegangener, weil zu heiß gewaschener Wollpulli.
Irgendeine brachte ihn mit zu einem Kleidertausch, vielleicht kann ja noch
eine was damit anfangen? Konnte ich. Am letzten Neujahrstag mit dem ersten
Kater des Jahres und entsprechend melancholischer Stimmung wurde ein
Kuscheltierkissen draus.
Ja, ich bin erwachsen. Und ja, ich habe Kuscheltiere. Und ja, ich weiß,
dass Kuscheltiere eigentlich eher so ein Kinder-Ding sind. Spätestens mit
der Pubertät verbannt man sie in großen Plastiktüten auf den Speicher. Dann
kommen sie irgendwann wieder auf, als eher peinlich-süße Geschenke zum
Valentinstag. Und man kauft sie, wenn endlich die ersten Babys schlüpfen
bei Freund:innen und Geschwistern.
Oder man entdeckt einfach, dass man auch selbst einen kleinen Freund im
Alltag braucht, der nichts sagt und nur kuschelig weich ist.
Mein erstes erwachsenes Kuscheltier war Beate, eine gehäkelte Nilpferddame
mit dem schönsten Po der Welt. Eine goldene Schleife ziert ihn. Beate ist
leider zu groß und zu schwer, um sie überall hin mitzunehmen. Deshalb kommt
sie in Pflege, wenn ich mal länger nicht da bin – zu verständnisvollen
Freund:innen. Sie begrüßen Beate und Helge auch, wenn sie bei mir sind, und
kuscheln manchmal mit ihnen. Weil sie auch Bedürfnisse haben, sich aber
nicht überwinden, ein eigenes Kuscheltier anzuschaffen? Oder weil sie mich
schon jetzt – ich bin 26 – für eine seltsame alte Katzen-Lady halten, die
eben Kuscheltiere statt Katzen sammelt, und mich auf meinen Spleen nicht
ansprechen mögen? Nicht dass sie durchdreht, die Arme, lieber spielen alle
mit?
Kuscheltiere sind keine Realitätsflucht
Wenn neue Menschen in mein Leben treten, stellt sich irgendwann die
Kuscheltierfrage: Wie gehen sie damit um, wenn eine:r meiner plüschigen
Freund:innen mein Bett belagert? Die schlechten fragen völlig unemotional,
ob das jetzt ein Dreier werden soll oder schauen mich mit großen
Fragezeichen in den Augen an. Die guten nehmen das Tier, begrüßen es und
sorgen dafür, dass Helge es bequem auf dem Sofa hat, auf das er
ausquartiert wird.
Meine Kuscheltiere sind keine Realitätsflucht. Ich liebe Erwachsensein. Das
macht Spaß. Ich darf so lange aufbleiben, wie ich will, kann morgens
aufstehen, wann ich will (sofern die Chefin es okay findet), kann mich von
500 Gramm Schokolade am Tag ernähren, wenn ich will. Aber ich muss mich
eben auch um mich selbst kümmern. Mich selbst zum Zähne putzen und ins Bett
schicken, zum Beispiel. Oder selbst den Fernseher ausmachen, bevor die
Augen quadratisch werden.
Meine Mitbewohnerin hat schon ein bisschen mehr Erfahrung mit diesem
Erwachsenenleben: arbeiten, Jahresurlaub planen, Steuer machen, für sich
selbst einkaufen, für sich selbst kochen, dabei lernen, dass Eier und
Toastbrot keine ausgewogene Ernährungsform darstellen. Sich selbst trösten,
mit sich alleine klar kommen und mit jedem Liebeskummer lernen, dass alles
vorbei geht und es weitaus dramatischere Dinge gibt. Das bleibt jetzt also
für immer so?, frage ich sie manchmal. Na klar bleibt das jetzt für immer
so, sagt sie dann. Aber du musst es ja nicht immer so ernst nehmen. Ich
versuche das. Und manchmal helfen mir eben Helge und Beate dabei.
Die Mitbewohnerin wünscht sich einen Kuscheltampon. Noch hat sie keinen,
aber im Internet gibt es tatsächlich eine Anbieterin für diesen speziellen
Wunsch. Von mir bekommt sie ein Druffi-Kuscheltier – auch das hat sie sich
gewünscht. Es trägt Fetischklamotten und hat im obligatorischen Turnbeutel
alles dabei, was es für eine standesgemäße Nacht in Berlins Clubs braucht:
kleine Tütchen mit weißem Pulver, Zigaretten, Kaugummis. Ein
18+-Kuscheltier.
Wir sind viele
Ich glaube, in Wahrheit ist die Kuscheltierfraktion groß. Wir sind viele.
Jeder siebte deutsche Erwachsene verreist mit seinem Kuscheltier, hat eine
repräsentative Umfrage vor einigen Jahren ergeben. Neulich sah ich auf
einem Konzert einen Rocker mit langen Haaren und Lederjacke, der mit seinem
kleinen Plüschaffen tanzte. Schritte in die richtige Richtung.
Irgendwann wird es auch okay sein, die Kuscheltiere einfach mit sich
rumzutragen, wenn einem danach ist. Jüngeren Kindern fällt der erste Tag im
Hort oder der neuen Schule ja auch leichter, wenn sie ihren Stoffkumpel
dabei haben. Wieso soll ich Beate dann zuhause lassen, wenn ich zur neuen
Arbeitsstelle muss? Oder der Tag schon schlecht anfing und es mir deutlich
besser gehen würde, wenn Helge neben mir am Schreibtisch sitzt?
Ich finde, es ist okay, wenn man sich von Zeit zu Zeit kurz erlaubt, wieder
klein und hilflos zu sein, sich einzukuscheln und in sein Plüschtier zu
heulen. Ganz ohne Ironie, einfach weil man das grade braucht. Damit alles
mal kurz nicht ganz so schlimm erwachsen ist.
## Anleitung
1. Für ein Kuscheltier braucht es einen verfilzten Pullover (alternativ
gehen auch aussortierte andere Klamotten aus festen Stoffen), buntes
Häkelgarn und eine Nähmaschine. Zunächst die Grundform für den Körper, zu
dem auch der Kopf gehört, auf den Pullover aufzeichnen und doppelt
ausschneiden. Für die Arme und Beine insgesamt vier (oder mehr) Rechtecke
doppelt aus den Stoffresten ausschneiden.
2. Die Augen werden gehäkelt. Für jedes Auge einen Maschenring mit sechs
Maschen anschlagen und in jeder Runde sechs Maschen zunehmen. Anleitungen
dafür finden sich im Internet. Die äußerste Runde mit weißem Garn häkeln.
Die Augen von Hand auf den Körper nähen.
3. Für den Mund eine lange Linie mit Stickgarn grob vorstechen und an
dieser entlang mit regelmäßigen, engen Stichen sticken.
4. Nun zuerst die Arme und Beine nähen. Dafür jeweils drei Seiten der
Rechtecke links auf links mit der Nähmaschine und einem geraden Stich
zusammennähen. Die Arme und Beine auf rechts drehen und mit Füllwatte (aus
aussortierten Kissen oder aus dem Bastelladen) stopfen.
5. Den Körper links auf links zusammennähen, dabei auch die Arme und Beine
festnähen – und zwar so, dass sie zwischen den Stoffstücken liegen und in
den Körper hinein zeigen. Dabei eine etwa fünf Zentimeter große Lücke
zwischen den Beinen lassen. Den Körper auf rechts drehen (dabei werden auch
die Arme und Beine wieder sichtbar) und mit Füllwatte stopfen. Anschließend
das offene Stück von Hand zunähen.
6. Wer möchte, kann den Kuscheltieren noch Klamotten basteln. Alte
Fahrradschläuche eignen sich zum Beispiel für den Fetisch-Style. Kleine
Turnbeutelchen machen den Feierlook komplett.
8 Jun 2019
## AUTOREN
Christina Spitzmüller
## TAGS
Upcycling
Hobby
Kuscheltier
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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Putzen
Heult doch!
Berlin-Neukölln
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