# taz.de -- Frauenfußball auf dem Balkan: Terra incognita | |
> In den 70ern war Jugoslawien weiter als die BRD, doch jetzt liegt der | |
> Frauenfußball auf dem Balkan darnieder. Besserung ist nicht in Sicht. | |
Bild: Lost Generation: Marija Ilic (M.) stört die Finnin Julia Tunturi | |
Serbien wird bei dieser Weltmeisterschaft wieder einmal nicht dabei sein. | |
Ebenso wenig wie Kroatien, Bulgarien oder Rumänien, wie Slowenien, Albanien | |
oder Bosnien und Herzegowina. Der Balkan bleibt ein weißer Fleck, eine | |
Terra incognita im internationalen Frauenfußball. | |
Zu keiner Weltmeisterschaft hat sich bisher ein Balkanstaat qualifizieren | |
können. Obwohl durch die lange Tradition im Männerfußball gute | |
Fußballstrukturen bestehen und obwohl Frauen hier weniger hohe kulturelle | |
Hindernisse überwinden müssen als oft im arabischen Raum. | |
Sanja Novak, Mitte 30, ist eine, die Auskunft geben kann über Balkan und | |
Frauenfußball. Sie spricht via Skype mit einer Dringlichkeit, die den | |
Eindruck erweckt, dass sie gern öfter dazu gefragt werden würde, jede | |
Antwort ein energischer Redeschwall. Ein wenig desillusioniert wirkt sie | |
aber schon auch. | |
Novak, gebürtige Kroatin, war selbst Erstliga-Spielerin in Kroatien und | |
dann in Serbien beim FK Indeks Novi Sad. Heute ist sie Teil der NGO | |
Hyppolite, die für Gleichstellung, LGBT-Rechte und Frauenfußball kämpft und | |
nach eigenen Angaben mehrfach im Jahr Frauenfußballturniere veranstaltet. | |
Arbeit auf harschem Terrain, es geht um die allerkleinste Basis: darum, | |
Mädchen und Frauen überhaupt für Fußball zu interessieren. | |
„Die aktuelle Situation des Frauenfußballs auf dem Balkan ist ziemlich | |
schlecht. Es gibt viele Vorurteile und wenig Interesse von Mädchen. | |
Manchmal sind Frauen ihre eigenen schlimmsten Feinde. Wenn eine Fußball | |
spielt, sagen ihr drei andere, sie soll es lassen.“ Boxen, Basketball oder | |
Rugby sei kurioserweise für Frauen sehr akzeptiert, aber nicht Fußball. | |
Es fehle außerdem an Frauenteams und Strukturen, vor allem im ländlichen | |
Bereich. Glaubt man Novaks Schilderung, spielen zwar einige Mädchen in | |
Serbien in der Schule, hören aber spätestens mit Uni-Eintritt auf, weil es | |
kein Sportfördersystem für Frauenfußball gibt. „Wir haben Frauenfußball | |
eigentlich nur, weil Fifa und Uefa es fordern.“ Fehlende | |
Turnierqualifikation wundert da nicht. | |
## Die politische Dimension dahinter | |
Leben könne in Kroatien und Serbien keine Spielerin vom Fußball. | |
„Offizielle behaupten, es gäbe Profibetrieb, aber das stimmt nicht.“ Ihr | |
Engagement in der Ersten Liga will Sanja Novak dann auch nicht überbewertet | |
wissen. „Das ist nicht so schwer“, sagt sie etwas spöttisch, „es gibt ni… | |
so viele von uns.“ | |
Die erste serbische Liga besteht aus einer Handvoll Klubs, Serienmeisterin | |
ist seit fast zehn Jahren ŽFK Spartak Subotica. Es mangelt an Konkurrenz, | |
Investment, Sponsoren. Das ist nicht nur fehlender Gleichberechtigung | |
geschuldet, denn in mancher Hinsicht spiegelt sich hier das Dilemma der | |
männlichen Ligen auf dem Balkan wider. | |
Seit dem Zerfall Jugoslawiens existieren die neuen nationalen Ligen als | |
winzige Player, international nicht konkurrenzfähig, national spannungsarm. | |
Wer kann, geht nach Westeuropa, die Kleinstaaten sind nur Sprungbrett. All | |
das hat natürlich eine politische Dimension. Auch der jugoslawische | |
Frauenfußball war einst eine progressive Kraft. | |
Schon in den 30er Jahren gab es Spielbetrieb, gar den gescheiterten | |
Versuch, einen Frauenfußballverband zu gründen. 1974/75 startete die | |
nationale Liga; sowohl in der BRD als auch in der DDR dauerte das noch bis | |
Ende der 80er Jahre. Die Strukturen und die Klub-Konkurrenz gingen durch | |
Krieg und Teilung verloren. Heute gibt es andere Sorgen. | |
„Wir haben in Serbien ganz grundsätzliche Menschenrechtsprobleme“, sagt | |
Sanja Novak. „Frauenrechte sind da keine Priorität. Und die meisten NGOs | |
konzentrieren sich auf Kinder, Familien, Landflucht. Sie wollen ihre | |
Ressourcen nicht gern für Frauenfußball ausgeben.“ | |
Sie glaubt, erst wenn andere Probleme gelöst seien, werde Frauenfußball | |
stärker in den Fokus rücken. Bisher fließt quasi alles Geld in den | |
Männersport. Können die Balkanstaaten im Frauenfußball allein überhaupt auf | |
dem Markt bestehen? | |
Im Basketball gibt es etwa die Balkan International Basketball League; im | |
Männerfußball wird seit mindestens einem Jahrzehnt eine gemeinsame | |
Balkanliga diskutiert. Bislang scheiterten die Pläne immer aufs Neue an | |
nationalistischem Hass, maßgeblich von Ultragruppen aller Couleur. Weil der | |
Frauenfußball wenig Fans hat, wäre es wohl politisch weniger heikel. | |
## Langsames Auftauen | |
Sanja Novak ist eine große Fürsprecherin einer Balkanliga im Frauenfußball | |
oder gemeinsamer Turniere. „Allein können wir nicht aufholen. Zusammen | |
hätten wir einen größeren Markt, mehr Spielerinnen und ein besseres | |
Netzwerk.“ Wer so etwas finanzieren würde, ob es überhaupt eine Lobby dafür | |
gäbe, ist aber bestenfalls unklar. Offizielle Überlegungen gibt es im | |
Frauenfußball sowieso keine. | |
Es gebe jedoch in der Saisonvorbereitung mittlerweile viele Testspiele | |
großer Balkan-Frauenklubs gegeneinander, betont Novak. Langsames Auftauen. | |
Die Sloweninnen hätten derzeit die besten Strukturen und Fußballschulen; in | |
Serbien, Bosnien und Kroatien gebe es die besseren Talente. Durchaus ein | |
Argument für mehr Zusammenarbeit. | |
Das Interview entstand auf Vermittlung von Discover Football. Die NGO | |
Hyppolite nimmt am Discover Football Festival (29. Juli bis 4. August) in | |
Berlin teil. | |
7 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
## TAGS | |
Frauenfußball | |
Fußballweltmeisterschaft | |
Weltmeisterschaft | |
Balkan | |
Jugoslawien | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Fußball | |
Fußball | |
Discover Football | |
Discover Football | |
Frauenfußball | |
Frauen-Fußball-WM 2023 | |
Fußball | |
Frauenfußball | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Inklusive Fußball-Liga in England: Spiel ohne Grenzen | |
In Großbritannien kicken Menschen aller sexuellen Orientierungen und | |
Identitäten in einer landesweiten Liga. Ein Besuch bei einer Partie in | |
Bristol. | |
Fußballkultur und Mauerfall in Berlin: „Alle lagen sich in den Armen“ | |
Die Reihe „Fußball ohne Mauer“ verbindet Sport und Mauerfall. Es geht um | |
Fußball-Biografien in Berlin und Freundschaften über die Mauer hinweg. | |
Discover Football: Frauen feiern Fußball | |
Am Sonntag findet in Kreuzberg das Finale statt: Beim Festival Discover | |
Football kämpfen Frauen* aus aller Welt gemeinsam für ihre Rechte. | |
„Discover Football“ in Berlin: Es steht viel auf dem Spiel | |
Kann Sport ein Werkzeug für soziale Veränderungen sein? Ja, meint Juliana | |
Lozano und will es beim Frauenfußball-Festival „Discover Football“ zeigen. | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Kick it like Khalida! | |
Das Fußballkultur-Festivals Discover Football bringt Frauen* zusammen, die | |
sich für Chancengleichheit und Gerechtigkeit einsetzen. | |
Bundestrainerin über Frauenfußball-WM: „Wir wollen zurück an die Spitze“ | |
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg möchte bei der Fußball-WM weit | |
kommen. Sie warnt aber auch: „Wer weit oben ist, hat eine größere | |
Fallhöhe“. | |
Die Frauen reißen's raus: HSV könnte aufsteigen | |
Was die Männer nicht schafften, dürfte den HSV-Fußballfrauen nach einem | |
4:0-Hinspielsieg gegen den Bremer Verein ATS Buntentor gelingen. | |
Champions League Finale der Frauen: Hilflose Konkurrenz | |
Olympique Lyon unterstreicht mit dem 4:1-Erfolg gegen Barcelona seine | |
Ausnahmestellung im Frauenfußball. Kein gutes Zeichen für den Wettbewerb. |