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# taz.de -- Die Wahrheit: Unpassende Himmelskörper
> Die Stille in der ostwestfälischen Provinz wäre perfekt, wenn nicht
> fortwährend geflügelte Freizeitsportler durch die Lüfte ramenterten.
Ich öffne im schönsten Frühjahr die Balkontür, und es dröhnt! Ein moderner
Ikarus hängt am Himmel, fliegt seine Kurven aber leider über mir, statt
sich an der Sonne die Flügel zu verbrennen. Da, wo ich wohne, in Minden,
einer Kleinstadt in Ostwestfalen, hält sich fast die gesamte
Stadtbevölkerung fast immer an das elfte Gebot des großen Gernhardt: „Du
sollst nicht lärmen.“
Der einzige Lärm am Samstagmorgen ist das Konzert des örtlichen
Rasenmäherorchesters. Aber das verstummt um 13 Uhr. Ikarus jedoch fliegt
weiter. Sonntags schweigen die Rasenmäher komplett, aber Ikarus dröhnt! Und
zwar mit einem Leichtflieger, mit dem er seit dem frühen Morgen zwischen
Wasserstraßenkreuz und Porta Westfalica am Himmel herumlärmt. Mit einem
„Motorschirm“, einem Fluggerät, das Gleitschirm und Motor kombiniert. Diese
Dinger sind tatsächlich dort erlaubt, wo himmlische Ruhe sein sollte.
Drei Sorten gibt es, den „Rucksackmotor“, das „Trike“ oder „Flyke“ …
„schwere Trike“. Angeblich sind alle drei strengen Lärmbestimmungen
unterworfen, aber Luft hat eben hervorragende Lärmleitwerte. Der Krach
dieser Geräte wird so weitflächig versprüht wie sonst nur das Glyphosat auf
dem Feld.
Der Kampf gegen Pflanzenschutzmittel ist längst Gesellschaftsaufgabe
geworden, der Kampf gegen Dröhnlärm aus Kleinstfliegern muss individuell
gewonnen werden. Da stellt sich die Frage der Gewalt ganz neu. War ich
bislang gegen jede Schusswaffe und gefährliches Schneidegerät im Haushalt,
fordere ich nun Wurfmesser, Luftgewehr und Zwille für jedermann. Sperrwurf
und Bogenschießen müssen generationenübergreifend trainiert werden.
Ich bin im Grunde Pazifist, schaffe es aber nicht, diese Haltung jedem
fliegenden Arschloch gegenüber durchzuhalten. Natürlich sollten wir
Außerirdischen mit größter Freundlichkeit begegnen. Aber es gibt auch
Flugobjekte, die wir gnadenlos vom Himmel holen müssen. Vielleicht wäre
eine Renaissance der Falknerei angebracht. Auf Flughäfen trainiert man
bereits Raubvögel im Einsatz gegen Vogelschwärme. Wir brauchen Adler gegen
Drohnen und Bartgeier gegen Trike und Flyke.
Denn das Drohnen und Dröhnen hat Folgen. Alle Vögel sind längst nicht mehr
da, und die ganze Vogelschar singt nicht mehr ein frohes Lied, weil am
Himmel Scheiß geschieht! Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos
sein, aber knapp darunter, über Baum, Busch und den Häuptern der Menschen,
haben motorisierte Fluggeräte nichts verloren. Schon Kant sagt: Lärme stets
nur so, das der Klang deiner Geräte jederzeit als Maßstab einer allgemeinen
Lautstärke-Toleranz gelten kann. Wir sollen flüstern statt blöken und
lieber verstummen als brummen.
Dem menschlichen Streben, in den Himmel zu kommen, darf erst post mortem
nachgegeben werden. Lebendig dagegen sind Menschen unpassende
Himmelskörper. Sie gehören mit nix, mit gar nix da oben hinauf!
6 Jun 2019
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Ostwestfalen
Fliegen
Lärm
Finnland
Sommelier
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Ostwestfalen
Gomera
Deutsche Bahn
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