# taz.de -- Die Wahrheit: Ochse und Odeur | |
> Feierabend. Ein lauer Sommerabend. Ein Sommelier veranstaltet ein | |
> Ratespiel und will die Farbe des Weins mit der Zunge ertasten … | |
Ich kam ziemlich spät von der Arbeit. Ein Freund hatte gesagt: „Komm doch | |
noch vorbei“. Wein im Garten, Besuch von „auswärts“, eine Journalistin u… | |
ein Sommelier. Für meinen Freund sind Weine das, was für andere der Fußball | |
ist oder das Auto. Ernsthafte Leidenschaft. So saß ich nun zwischen zwei | |
Weinkennern und ihren Frauen. Ich wollte nur auf einen spätabendlichen | |
Absacker vorbeischauen und geriet in ein Wein-Quiz. | |
„Bernd, Wein?“, fragte der Gastgeber. Bevor ich antworten konnte, sagte der | |
Sommelier: „Vielleicht will er ja Bier.“ – „Du willst also nichts von | |
deinem Wein abgeben?“, fragte ich. Er war etwas erschrocken, ich aber nicht | |
erstaunt. Ich galt hier also sofort als der Banause, der ich auch war, | |
maximal Biertrinker. Das allerdings in den Augen eines Mannes, den ich zum | |
ersten Mal in meinem Leben sah. Konnte man mir im Halbdunkel, in der | |
Dämmerung des südlichen Norddeutschlands, an meinem Gesicht ansehen, zu was | |
meine Geschmacksnerven imstande waren? Und vor allem – zu was nicht? | |
Mit Kennermiene schenkte der Gastgeber ein: „Rat mal, was du da trinkst!“ | |
Ich musste nicht raten, die Flasche hatte genau die etwas ungewöhnliche | |
Form eines Weins, den mein Freund immer bestellt, wenn wir in dieses kleine | |
italienische Restaurant gehen. Nur dieses Mal als Magnumflasche. Außerdem | |
sah ich das Etikett in der Dämmerung. „Ca’dei Frati“, sagte ich lässig.… | |
fremden Mann fiel das Glas aus der Hand: „Donnerwetter!“ Er hob das Glas | |
aus dem Rasen. „Haut der das einfach so raus! | |
Mein Freund war etwas stolz auf mich. Ich trank den Wein wie Bier, ich | |
hatte hier einiges aufzuholen. Ich fragte den Sommelier die üblichen | |
Fragen: Was machst du? Und beruflich? Davon kann man leben? Was man so | |
fragt, wenn einer Sommelier ist. | |
Eine neue Flasche kam zu Tisch, versteckt in einem Strumpf. Der letzte Akt | |
des Wein-Ratespiels. Sie rochen, schnalzten, zuzelten. Sie umfächelten und | |
spülten, züngelten und gurgelten. Um ehrlich sein, es war leicht | |
unappetitlich. Meine Mutter hätte mich aus der Stube geworfen, wenn ich | |
jemals ihren Riesling oder Merlot so tränke. | |
Die Farbe könne man in diesem Dämmerlicht nicht eindeutig bestimmen. Ich | |
bot meine Taschenlampen-App an, aber der Sommelier wollte, dass seine Zunge | |
die Farbe ertastete. Der Wein hatte Noten und bekam welche. Und schmeckte | |
ihnen nach Ochsenblut und Eisen und Leder. Leder und Eisen gehören zum | |
Motorradfahrer, und Ochsenblut gehört in den Ochsen, das alles hat für mich | |
in Wein nichts zu suchen. | |
Meine Weinkenner aber nüsterten in der Abendluft wie Hyänen vorm Lämmchen. | |
2014 – ganz schlimmer Jahrgang! Das ist jetzt vielleicht eine | |
niederschmetternde Erkenntnis für junge Eltern, deren Kinder in eben diesem | |
Jahr geboren wurden. Aber wahrscheinlich muss man beide – Mensch und Wein – | |
nur lange genug lagern und ihnen Luft geben. | |
12 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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