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# taz.de -- Die Wahrheit: Das Schweigegelübde von Gomera
> Ein Urlaubseremit wird bekehrt. Durch die einzige Kraft, die einen Mann
> von der großen Stille abbringen kann: die Liebe zu den Sardinen.
Andere wollen im Urlaub reden, ich schweige. Ich will dann auch niemanden
kennenlernen. Früher war ich einmal im Jahr auf Gomera, inmitten des
wuseligen Valle Gran Rei, ein erfolgreicher Eremit. Mehr als ein
tageszeitgemäßes „hola“ oder „buenas tardes“ gab es nicht von mir. An…
gehen zum Schweigen ins Kloster, ich reiste auf die Insel ins Valle. Ich
stieg still hinauf zu den obersten Häusern von Calera und ging höchstens
mal herunter zum Strand, zu den Trommlern, die allabendlich die Sonne
verabschieden.
Aber dann kam sie. Ich saß im Descantillo und aß zu Abend, ein Buch vor mir
und hob nur kurz den Blick, als sie das Restaurant betrat. Sie schaute sich
um und setzte sich mit dem Rücken zu mir. Ich wusste sofort: Wenn du diese
Frau nicht ansprichst, hast du in deinem Leben etwas verpasst. Heute, acht
Jahre später, gibt mir jeder gemeinsame Tag Recht.
Das Ansprechen war allerdings kompliziert. Sie saß mit dem Rücken zu mir,
ich konnte nicht einmal Blickkontakt aufnehmen. Mich überkam leichte Panik:
Und wenn sie nun zahlte und ging? Ich stand auf, und die einzige Frage, die
mir auf den zehn Schritten zu ihr einfiel, betraf ausgerechnet einen
kanarische Karnevalsritus: „Entschuldigen Sie bitte, wissen Sie, warum hier
zum Ende des Karnevals eine Sardine verbrannt wird?“
Eine Sardinenfrage! Darauf muss man erst einmal kommen! Sie wusste es
nicht, wollte aber auch nicht recht mit mir reden, wie ich ihr von
Alleinreisendem zu Alleinreisender freundlich anbot, auch wenn ich eilig
den Zusatz anfügte: „Soll jetzt keinen Anmache sein!“ Der Rest ist eine
fast kitschige Liebesgeschichte, mit Liebesgedicht und allem Drum und Dran!
Warum die Sardine verbrannt wird, weiß ich bis heute nicht, kenne aber
inzwischen vier Theorien.
Mein Leben auf der Insel hat sich seither radikal verändert. Ich muss nun
alljährlich mein Schweigegelübde brechen. Es gibt Freunde von ihr, die
warten auf uns und unser Kommen. Da kann ich nicht stumm bleiben – und auch
nicht mehr stillsitzen. Ich muss jetzt wandern, denn sie wandert exzessiv.
Sie hatte, schon bevor sie mich kannte, hier diverse Freundschaften
geschlossen mit Wanderern und Residenten, mit denen man sich dann am Abend
wieder trifft. Die einst so wunderbar stumme Insel lärmt nun vor sich hin,
selbst der Wald ist nicht mehr leise.
Geschwiegen wird nur noch, wenn abends im „El Palmar“ Gloria mit Marcial
auftritt. Gloria ist die Helene Fischer der Insel. Wir sind verabredet mit
zwei sehr lebendigen, karnevalerprobten Krefelderinnen. Wir bestellen vier
mal Gran Duque D’Alba – in Gläsern mit dem Fassungsvermögen eines
Wischeimers, aber zum Preis eines deutschen Doppelkorns. Und endlich:
Schweigen. Bis zum Schlusslied. Gloria haucht ein letztes „Para La Gomera“
hin. Beinahe wie Helene Fischer. Riesenapplaus. Und noch mal vier Eimer von
der großen Ente. Dann wieder Schweigen …
2 Apr 2019
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Gomera
Schweigen
Liebe
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Ostwestfalen
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Deutsche Bahn
Gorch Fock
taz.gazete
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