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# taz.de -- Polizei fixiert Unschuldige in Köln: Rennende Muslime? Gefährlich!
> In Köln wurden zehn Muslime in der Wahrnehmung von Fahrgästen am Bahnhof
> zur Terrorgefahr. Dabei wollten sie nur ihren Zug erreichen.
Bild: Ort des unangemessenen Polizeieinsatzes: Hauptbahnhof in Köln
BERLIN taz | Wer kennt das nicht: Es ist Weihnachten, Familienbesuche.
Eigentlich hat man keine Lust, aber was muss, das muss. Fertiggemacht,
losgefahren, die Zeit aber doch unterschätzt und am Hauptbahnhof muss man
rennen, um schnell noch den Zug zu bekommen.
Ja, alle kennen das. Aber nicht alle machen dieselbe Erfahrung, wenn sie es
eilig haben. Zumindest nicht in Deutschland. So sperrte am Dienstag die
Polizei beide Ausgänge des Kölner Hauptbahnhofs und fixierte zehn
„verdächtigte“ Männer auf dem Boden, nur um herauszufinden, dass es keine
Terroristen sondern ganz normale Typen waren. In einem Tweet erwähnt die
Polizei Köln, dass die Männer „im Laufschritt“ unterwegs waren. Warum soll
das Rennen an einem Bahnhof verdächtig sein? Weil es Muslime sind, die
rennen und dabei noch weiße Gewänder tragen. Mehr trägt die Polizei zur
Begründung nicht vor. Ganz so als wäre es selbsterklärend, worin das
„Missverständnis“ liegen könnte.
An jenem Tag handelte es sich um den ersten Tag des Ramadan-Festes am Ende
der Fastenzeit in einem der drei Heiligen Monate des Islams. Es ist
Tradition, sich an Festtagen schick anzuziehen und Verwandte zu besuchen.
In meiner Kindheit war es üblich, dass Kinder „Bayramlık“ geschenkt bekam…
– schicke Kleidung extra für die Festtage. Ein Blick auf die betroffenen
Männer reicht aus zu verstehen, dass es genau darum ging. Auf dem Foto, das
die Bild in ihrer Meldung einbettete, sieht man einen jungen Mann von
hinten, der mühsam frisiert, und sauber und frisch angezogen ist. Er trägt
eine traditionelle Weste, die man von Festtagen und Hochzeiten kennt.
Stellen Sie sich vor: Sie machen sich schick für einen festlichen Besuch
und werden gerade deshalb mit Gewalt auf den Boden geschmissen. Es sollen
andere Bahnfahrer*innen gewesen sein, die die Polizei alarmierten. Sie
sahen also festlich gekleidete Männer und dachten gleich an Terroristen.
Wir wissen nicht, wer diese Männer sind. Es ist gut möglich, dass es
Deutsche sind. Deutsche, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind,
arbeiten gehen, Steuern zahlen.
## Rassistische Karikatur
Laut einer Rechnung des Bamf aus 2015 lebten dato circa 4,7 Millionen
Muslim*innen in Deutschland, darunter auch Deutsche. Auch wenn das
Grundgesetz das Deutschsein mit der Staatsangehörigkeit begründet, herrscht
in der Mehrheitsgesellschaft ein anderes Bild: Deutsche sind jene mit
blonden Haaren, blauen Augen, heller Haut und angeblich keiner
Zuwanderungsgeschichte. [1][Wer außerhalb dieser Beschreibung bleibt, ist
entweder minderwertig oder gefährlich]. Rassismus wie aus dem Schulbuch.
Der gefährliche Mann mit dickem Bart, weißem Gewand, Granatenweste und
Ziege als Haustier ist spätestens seit 9/11 das Bild von Muslim*innen
weltweit, seit Pegida und AfD auch in Deutschland. So wird eine
rassistische Karikatur von einer nicht wirklich definierbaren Gruppe
gezeichnet, die jegliche Gewalt gegen alle, die angeblich zu dieser
diffusen Gruppe gehören, rechtfertigt. Man kennt die jeweiligen Gruppen,
Länder, Gesellschaften und Kulturen kaum oder gar nicht, und das braucht
man auch nicht: Es sind doch schließlich alle gleich.
Es ist nicht neu, dass Polizeibeamte mehrheitlich rechts gesinnt sind und
immer rechter werden. Dass sie sich so auf die betroffenen Männer
schmeißen, ist weniger verwunderlich als Bahnfahrer*innen, die diese
alarmierten. Es ist unfassbar, was für rassistischer Gewalt Muslim*innen
und als muslimisch markierte Menschen in Deutschland ausgesetzt sind –
tagein tagaus. Offensichtlich kann für sie etwas Banales wie Bahnfahren
lebensgefährlich werden. Es ist beschämend, dass Menschen unfähig sind,
sich selbst ein Bild von jenen zu machen, die seit Generationen in
Deutschland leben und teilweise Deutsche sind, und sich stattdessen bei
rassistischen Klischees bedienen. Oder ist es etwa nicht so? Werden blonde
Johannesse und Andreasse auch von Polizeibeamten fixiert, wenn sie der Bahn
hinterherrennen? Ich denke nicht.
5 Jun 2019
## LINKS
[1] /Islamfeindliche-Uebergriffe-in-Deutschland/!5585943
## AUTOREN
Sibel Schick
## TAGS
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Islam
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